Rotorman's Blog

Feuchte Helden: Brrrr! Mach’ Dich nass!
AfD, ALS, Dick & Doof und Wasser marsch!

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Der „Ice-Bucket-Vogel“: Überlasst die Sache besser ihm: Er ist von Natur dafür ausgelegt. Foto: Peashooter/Carsten-Jünger/pixelio.de

Ich dachte ja, es wäre langsam ausgestanden. Aber nee. Das Eiskübeln geht weiter. Und die Einschläge kommen immer dichter. Die Schlinge zieht sich zu. Jetzt haben sich schon meine engsten Familienangehörigen von diesem viralen, sich unaufhaltsam in den sozialen Netzwerken verbreitenden Hype infizieren lassen. Aber ich, ich mache da nicht mit! Mit mir nicht. Nein, ich schütte mir keinen Eimer Wasser über den Brezel! Verschont mich bloß mit diesem unsäglichen “Ice-Bucket Challenge” (IBC), der, zugegeben, erfolgreichsten PR-Kampagne, seit wir Menschen von den Bäumen geklettert sind. Erfunden haben den infantilen Klamauk übrigens Laurel & Hardy alias Dick & Doof. Und das Ganze ist auch  genauso, wie der Kleine im Film heißt: doof!  Hier guggen: https://www.youtube.com/watch?v=BlctW6VGtlc

Apropos youtube:  Über 15 Millionen Einträge zum Thema listet dieses Videoportal auf eine erste Suchanfrage hin auf. Aber das ist wohl nur die Spitze des Eisbergs. Google erschlägt den Forschenden mit 429 Millionen Treffern. Ich kann’s nicht mehr sehen! Die idiotischen Filmsequenzen (und Fotos)  ähneln sich wie ein Ei dem selbigen – von einigen rühmlich-originellen Ausnahmen vielleicht mal abgesehen. Da bekübeln sich Hin und Kunz mit angeblich herunter gekühltem Aqua, mal infantil, mal wild und zu allem entschlossen dreinblickend. Meistens beides zusammen. Und dann, lasst es raus, dieses “Huuuch”. Es zeigt uns, das war aber jetzt eben aber verdammt frisch und unangenehm! Brrrrr!  Dabei haben die meisten dieser sich selbst verleugnenden Warmduscher die Brühe  vermutlich zuvor mal mindestens auf Zimmertemperatur aufgeheizt. Aber das sieht man ja im Film nicht.

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Nur die Harten kommen in den Garten! Helden des Eiswassers.

Die Thematik ist auch ein gefundenes Fressen für Cartoonisten, denen es gelingt, den ganzen Irrsinn mit wenigen Federstrichen zu skizzieren. Gernot Gunga (www.gunga.de) ist einer davon.  Zwei Pinguine auf einer Eisscholle:  „Ich verstehe nicht, wo dabei die Herausforderung liegen soll“, sagt der eine, während sich sein Kollege einen Eiskübel über den Kopf schüttet. Und Ralph Ruthe (www.ruthe.de), auch ein  begnadeter Vertreter dieses Genres, lässt zwei Kühe auf der Weide aufmarschieren. Der Bauer kommt just in dem Moment mit dem Trecker vorbei, als sich eines der Rindviecher einen mit Milch gefüllten Eimer übers Gehörn gießt. Kommentar des Landwirtes: „Morgen sperre ich denen das Internet!“

Geld-klein

Beim „Ice Bucket Challenge“ geht es nicht nur um Spaß und Selbstinszenierung, sondern auch um viel Geld. Über 100 Millionen Dollar an Spenden hat die ALS-Association in den USA seit Beginn der Kampagne eingenommen. Aber auch andere Organisationen wie die Deutsche Krebshilfe oder die Deutsche Gesellschaft für Muskelkranke vermelden eine erhebliche Zunahme an finanzieller Unterstützung. Foto: birgitH/pixelio.de

Worum ging’s da eigentlich noch mal? Ach ja: um die AfD!?? Nee, stopp, Kommando zurück, böse Verwechslung. AfD ist was anderes, ein anderes Thema. Wir reden ja hier nicht über intellektuelle Muskelschwäche. ALS ist das korrekte, richtige Kürzel. Es steht für “Amyotrophe Lateralsklerose”. Eine degenerative Erkrankung des motorischen Nervensystems, bei der es zu einer fortschreitenden und irreversiblen Schädigung der Nervenzellen, die für die Muskelbewegungen verantwortlich sind, kommt. Weil dagegen bislang kein Kraut gewachsen ist, führt die Erkrankung früher oder später zu einer vollständigen Muskellähmung, zum Atemstillstand und damit zum Tod. Sachen gibt’s! Davon dürften vor Beginn der Ice-Bucket-Epidemie die wenigstens der Wasser-Aktivisten gehört haben. Und die viele anderen, die trocken geblieben sind und es auch bleiben wollen, ebenfalls nicht. Zumindest das ist das große Verdienst dieser (un)durchsichtigen Kampagne: die ALS-Problematik thematisch in den globalen Fokus der Öffentlichkeit gerückt und ein gesellschaftliches Bewusstsein dafür geschaffen zu haben.
Matchgewinner und Nutznießer ist in jedem Fall die ALS-Association (ALSA) n den USA, eine, wie es so schön heißt, “Nonprofit-Organisation”, die die Erforschung dieser seltenen Nervenkrankheit unterstützt bzw. selbst betreibt. Innerhalb kürzester Zeit sind durch den Challenge über 100 Millionen Dollar an Spendengeldern auf deren Konten gelandet (Stand Anfang September 2014). 2,6 Millionen waren es im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Funktioniert also prima. Allerdings: Lediglich 28 Prozent der Einnahmen fließen auch tatsächlich in die reine Forschung. Der Rest geht für Verwaltung, Gehälter, Mittelbeschaffung, PR usw. drauf.

Das Gehalt der Vorstandsvorsitzenden lag 2013 bei  339.475 Dollar (257.526 Euro). Das entspricht einem Monatseinkommen von 21.460 EUR. Der Leiter ihrer der Finanzabteilung erhielt fast 153.000 Euro. Das waren für die Chefin knapp 13 Prozent (12,8) und für ihren Finanzchef  rund 7,5 Prozent (7,65) des jährlichen Gesamtspendenaufkommens. Dieses Jahr sind die Einnahmen Dank des Challenge-Hypes natürlich etwas höher. Wäre also doch mal Zeit für eine kleine Diätenerhöhung, oder?

 Die Organisation “Better Business Bureau” (BBB), das amerikanische Pendant Deutschen Zentralinstituts für Soziale Fragen (DZI) in Berlin, hat daran aber bisher nichts zu beanstanden. Die Rede ist von „angemessenen Leistungsheältern“. Ein Schelm, der Schlechtes dabei denkt.

Ice Bucket Challenge

Der bekannte Cartoonist Ralph Ruthe nähert sich dem Thema auf seine unnachahmliche Art. Grafik: ruthe/www.ruthe.de

Nicht unumstritten sind auch Art und Methodik der Forschung, die sich im Wesentlichen auf Tierversuche und -experimente stützt. Hauptsächlich, moniert die Bundesweite Vereinigung Ärzte gegen Tierversuche, würden dabei genmanipulierte Mäuse und Ratten zwangsverpflichtet, bei denen dann durch Ausschalten eines Gens ähnliche Symptome auftreten wie bei ALS-Patienten. “Die Tiere leiden an fortschreitenden Lähmungen und sterben qualvoll”, kritisieren die Veterinäre. Dabei sei seit Jahren bekannt, dass Tierversuche für die ALS-Forschung völliger nutzlos sind. Dr. med. vet. Corina Gericke, Vorstandsmitglied der Tierversuchsgegner: “Trotz jahrelanger Tierversuchsforschung sind bislang nur ein Dutzend Wirkstoffe, die bei Mäusen die Symptome linderten, in klinischen Studien am Menschen getestet worden”. Und, man höre und staune, alle – bis auf einen – haben vollständig versagt. Und bei dem verbliebenen war der Nutzen für die Patienten nur marginal.
Aus ganz anderen Motiven opponieren christliche US-Fundis gegen die ASL-Organisation. Den Evangelikalen geht es gegen den ideologisch-religiösen Strich, dass diese auch Stammzellenforschung betreibt. Und das darf ja, laut Bibel (???),  schon mal überhaupt nicht sein!
Zu welcher Sicht der Dinge man/frau auch tendieren mag, vielleicht wären hier bei uns in Deutschland die Krzysztof Nowak-Stiftung des VfL Wolfsburg oder die ALS-Ambulanz der Charité in Berlin, die sich auf die Behandlung und Betreuung von Menschen mit ALS spezialisiert hat, ja die besseren Empfängeradressen. Bei diesen, wie auch anderen hiesigen Organisationen, beispielsweise bei der Deutschen Gesellschaft für Muskelkranke (DGM) oder der Deutschen Herzstiftung, ist das Spendenaufkommen im Sog der Kampagne sprunghaft angestiegen. Eine erfreuliche Begleiterscheinung immerhin.
Davon einmal abgesehen, die Sinnfrage stellen sich sowieso die wenigsten der Aktivisten. Und die ursprünglichen Spielregeln sind, je mehr Drive und Eigendynamik die IBC-Kampagne entwickelt hat, auch verwässert worden. 10 Spenden-Dollar oder eben auch EUR für die ALS-Forschung wären, so war es mal angedacht, grundsätzlich fällig gewesen. War jemand für den Challenge ausgeguckt, hätte er diesen Basis-Betrag so oder so überweisen sollen/müssen/können. Nur für den Fall, dass er der feucht-fröhlichen “Herausforderung” nicht binnen 24 Stunden nachgekommen wäre, hätte sich die Summe verzehnfacht. Aber der Verdacht liegt nahe, dass es inzwischen sowieso nur noch ums Einnässen und nicht ums Spenden geht. Mal ehrlich: Wer von den vielen “Waterboardern”, die mir in den vergangenen Wochen die Facebook-Timeline zugemüllt haben, hat nach seiner Aufmerksamkeits-heischenden und per Posting verbreiteten Dusche tatsächlich noch Kohle für den vermeintlich guten Zweck überwiesen? Allzu viele dürften es nicht gewesen sein.

Und ganz ungefährlich ist der eisige Spaß ja auch nicht. Die  Inszenierungen werden immer spektakulärer. Es gab bereits zahlreiche Verletzte. Und einige der Protagonisten haben das Ganze sogar mit dem Leben bezahlt. Ein Feuerwehrmann aus Kentucky beispielsweise: http://www.spiegel.de/panorama/ice-bucket-challenge-feuerwehrmann-in-usa-stirbt-nach-stromschlag-a-992992.html

Gunga-ICe-Bucket

Diese Frage stellt sich nicht nur der Comiczeichner und Karikaturist Gernot Gunga. Grafik: Gunga/www.gunga.de

“Dir einen Eiskübel über den Kopf zu kippen, macht dich nicht zu einem besseren Menschen”, befindet die Kollegin Arielle Pardes. Und ein anderer resümiert: “Das Nervigste an der ganzen Sache ist  die Tatsache, dass man es hier mit einer Form von Narzissmus zu tun hat, die sich als Altruismus ausgibt”. In der Tat, bei dieser sprichwörtlichen Nabelschau geht’s doch eigentlich und in erster Linie nur um Selbstdarstellung, die vielleicht ein Stück weit auch vom Gruppenzwang befeuert ist. Wir möchten schließlich dazu gehören und strecken der Kameralinse dann halt unseren Waschbrettbauch entgegen oder verblüffen mit einer Copacabana-tauglichen Bikini-Figur. Leider oft genug  sind aber auch echte optische Ausreißer dabei. Und da machen sich Leute zum nassen Affen, von denen ich es eigentlich so nicht erwartet hätte. Sie dürfen sich da aber mit Mark Zuckerberg, Taylor Swift, Bill Gates und Heidi Klumm in guter Gesellschaft wähnen.
Gut, immer noch besser, als vor den Augen der Community eine Flasche Weizenbier auf ex zu saufen oder seinen eigenen Furz anzuzünden. Das galt ja, ist noch gar nicht so lange her, im Web auch mal als total chic. Auch auf die Gefahr hin, als Spielbremse, Spaßverderber,oder wie das heißt, für schuldig befunden zu werden: Statt dieser ganzen als Schneeballsystem ausgelegten “Schütt’-mich-zu”-Manie zu erliegen, könnte ich mir ja alternativ auch eine Wunderkerze ins Ohr stecken und an der Pommesbude auf dem städtischen Maktplatz La Paloma pfeifen. Wäre  intellektuell und niveau-technisch von vergleichbarer Substanz. Aber: Anschließend überweise ich dem Tierheim von Dillenburg – das ist eine als Stadt getarnte Fußgängerzone im Mittelhessischen –  25 Euronen.  Die gleiche Summe bekommen die örtliche Tafel, die Aktion “Brot für die Welt” und ein SOS-Kinderdorf meines Vertrauens. Da weiß ich wenigstens, dass das Geld gut angelegt ist und dort ankommt, wo es gebraucht wird.  Und das mit der Wunderkerze und dem Soundtrack überlege ich mir noch mal….

Und apropos Anzünden (siehe oben). Aus Amerika, woher auch sonst, schwappt eine neue Unfugs-Welle zu uns herüber, und die ist durch und durch pyromanischer Natur. Der Fire-Challenge. Bei dem Spiel mit dem Feuer reiben zumeist männliche Jugendlich ihren Körper mit einer brennenden Flüssigkeit ein und zünden sich anschließend an. Sobald Flammen zu sehen sind, wird das Feuer wieder gelöscht. Ein Freund hält mit der Handykamera voll drauf und filmt das Ganze von Anfang bis Ende.  Is‘ ja ‚n Ding! Ich überlege mir gerade, wen aus meinem Bekanntenkreis ich dafür nominiere. Die Liste wird immer länger….

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