Rotorman's Blog

Fressen, bis der Arzt kommt: Immer mehr
Spachtel-Gurus prahlen mit ihren Gourmet-Exzessen

Schnappschuss. Wir lassen es uns schmecken. Und alle Welt soll es sehen.

Von Jürgen Heimann

Eigentlich dachte ich, das sei endlich vorbei und der kurzfristig aufgeblähte Trend wäre (nach einem aufstoßenden Bäuerchen) rum. Was für ein Trugschluss! Jetzt geht es vermehrt wieder los. Die Social-Fucking-Szene, nee, halt, Social-Cooking-Szene  blüht auf wie seit Jahren nicht mehr. Nein, da ist nicht nur Kotelett-Harald, der wirklich jedes Detail seines Frühstücks, Mittag- oder Abendessens fotografiert und ins Netz stellt; selbst bislang als honorig  geltende Zeitgenossen, von denen man dies nie und nimmer erwartet hätte, springen auf diesen Zug auf und veröffentlichen bei Fäitzebook und anderen Netzwerken Fotos ihrer kulinarischen Exzesse.

Selbige sind in der Regel zunehmend vegetarischer bzw. veganer Natur und insofern vom missionarischen Überzeugungsdrang, wir müssten unsere Ernährungsweise gefälligst ändern, beseelt.  Da werden Eintopf-Pampen von zweifelhaft ästhetischem Charakter serviert, Zucchini-Aufläufe  und –Boullions,  angesichts derer sich der deutsche Aphoristiker und Suppenfreund Georg Christoph Lichtenberg (1742 – 1799) mit Magenblähungen im Grabe umdrehen würde;  da gibt es Auberginen-Ricotta-Lasagne aus dem Dampf mit Parmesan-Petersilie, “Verdure miste“, abgerundet durch frittierte Salbeiblättchen, von legiertem, rechtsdrehenden und selbstverständlich sautiertem ostwestfälischem Topinambur-Sirup dekoriert.  

Dafür, dass sie Wachtel-Lende, die gemeinsam mit zarten, ausdrucksstarken und charmanten Spargelspitzen zu einem zitrusartigen und im weiteren Verlauf fruchtig-geschmeidigen Chutney gegart wurden, propagierte, wurde eine  Angehörige der Facebook-Gruppe „Salat 2.0“ mit einer zweiwöchigen Veröffentlichungssperre belegt. Sie musste außerdem 50 Euro Strafe zahlen, die zweckgebunden der Radieschen-Kolchose „Völlig fertich vom Rettich“ zugute kam.

 Dass alle, oder doch die meisten dieser Gaumen-explosiven Geschmackswunder selbstverständlich von der jüngst angetrauten Liebsten mit Liebe zubereitet und in romantischer Atmosphäre bei Kerzenschein serviert werden, braucht nicht extra erwähnt zu werden. Da läuft einem ja auch so schon das Wasser in den Augen zusammen.

Kaum zu glauben, was ein einziger Food-Junkie im Laufe weniger Tage in den sozialen Netzwerken an fotografischen Belegen für seine gourmet-technischen Ausschweifungen verbreitet. Interessiert’s jemand?

Die kleinen, ätzenden Facebook-Schubecks  scheinen sich mittlerweile wieder unkontrolliert zu vermehren. Wer, bitteschön,  gebietet ihnen Einhalt? Vom Frühstück angefangen, dem kleinen, stärkenden  Vormittags-Snack über das fette, opulente Mittagsgericht, das mit Torten und Teilchen versüßte Kaffee-Kränzchen am Nachmittag bis hin zur abendlichen Fressorgie mit x Gängen. Oftmals gibt’s aber auch noch was für den kleinen Hunger zwischendurch. (Und meist lassen es die Kameraden ja nicht bei einem Foto davon bewenden. Nein, es muss immer gleich eine komplette Serie sein!)

Ich, nein, wir, sind also jederzeit darüber im Bilde, mit was sich die Verdauungsenzyme, Peptidasen, Lipasen und Nukleasen der Autoren gerade in diesem Augenblick herumschlagen. Wie oft habe ich diesen Kerlen  schon alle Nahrungsmittelunverträglichkeiten und Magengeschwüre dieser Welt an den unersättlichen Hals gewünscht. Doch sie sind kreativ. Jeden Tag nur Bouillon-Tassen mit zweifelhaftem, trüb-durchsichtigem Inhalt abzulichten, ist diesen schmerzfreien Küchen-, Herd- und Mikrowellen-Wüstlingen auf Dauer nämlich zu langweilig.  Was ich verstehen kann.

Kaum zu glauben, was ein einziger Food-Junkie im Laufe weniger Tage in den sozialen Netzwerken an fotografischen Belegen für seine gourmet-technischen Ausschweifungen verbreitet. Interessiert’s irgendjemand? Der Cartoonist Ralph Ruthe hat es auf den Punkt gebracht. Was er denn da mache, fragt der Schwimmer den eine Kamera in seinen Flossen haltenden Haifisch. Der: „Ich fotografiere mein Abendessen für Facebook!“

„FB“ und andere Social-Media-Plattformen bieten Menschen mit grenzenlosem Mitteilungsbedürfnis eine optimale Spielwiese. Da kann jeder verzapfen, was er will. Großen Mist ebenso wie Gehaltvolles. Und wenn man/frau gar nix mehr zu sagen hat, schlägt die große Stunde der “Foodies”. Also jene Mampf-Terroristen und Spaghetti-Knipser, die ihr virtuelles Umfeld mit Schnappschüssen ihrer Tafelfreuden zubomben. Eine euphemistisch als “Social-Cooking” verharmloste Seuche, die erschreckende Ausmaße angenommen hat. Diese Schlemmi-Poster sind unersättlich. Essen, und darüber zu schwadronieren, ist ihr Lebensinhalt. Ich kaue, also bin ich! Und sie können das ja leider nicht für sich behalten. Esse gut und rede darüber!

Gewusst wie: So eine schnöde Lasagne ansprechend in Szene gesetzt, macht auch schon was her. Foto: Pixabay

Jeder Facebook-Nutzer hat wohl so einen Fein(d)schmecker auf seiner Buddy-Liste stehen, der ihm und den anderen Leidensgenossen mit schöner Regelmäßigkeit die Timeline mit Essens-Fotos  zumüllt. Und die dazu gehörigen Texte erschöpfen sich in lautmalerischen „Mjamms“, „Boaaaahs”  und “Hmmm’s”. Da bewundere ich immer auch zugleich die sprachliche Ausdruckskraft. Bei Twitter, Google + oder Instagram ist es ähnlich. Sollen sich die Soziologen, Psychologen und Psychoanalytiker über das Warum und Wieso den Kopf zerbrechen, mich nervt das einfach nur. So oft kann man den Finger gar nicht in den Hals stecken, um anschließend in den digitalen Papierkorb auf dem Desktop zu reihern.

Mindestens genauso ätzend sind allerdings die Humor-Experten, die die Ihren täglich mindestens mit einem, aber in der Regel gleich mehreren Zwerchfell-Krachern beglücken: „Kommt ein Mann zum Arzt….“ Die Witze entstammen zumeist einer Zeit, als das Tote Meer noch gesund war und Barney Gerölleimer und Fred Feuerstein in der Steinschleuder-Kompanie Küchendienst schieben mussten, weil sie den Dino ihres Kommandeurs grün angemalt hatten. Dagegen nehmen sich die „luschtigen“ Schenkelklopfer eines Fips Asmussen wie intelligent gestrickte Satire aus der Zukunft aus. Aber das ist wieder ein ganz, ganz anderes Thema.

Zweisprachig aufgewachsene Jung-Wachtel in Aspik

Es ist ja gar nix dagegen einzuwenden, wenn der ein oder andere mal das erlesene, vom festlichen Kerzenlicht beschienene Silberhochzeitsmahl, das er sich mit der Alten beim Fiester-Sepp (4 Michellin-Sterne) einzuverleiben gedenkt, vorher mit dem Schmartdvohne ablichtet und zeitnah ins Netz stellt. Man(n) gönnt sich ja sonst nix! Der erste Happen des Premium-Menüs ist noch nicht zerkaut, das wissen die Freunde bereits um das Schicksal der knusprigen, zweisprachig aufgewachsenen Jung-Wachtel im Aspikdressing. (Wir reden jetzt nicht von der Ehefrau.) Aber müssen es andererseits profane, speckige Hamburger oder eklige, im eigenen Saft gesiedete  Bockwürstchen sein, die da täglich formatfüllend auf dem Monitor aufpoppen?? Die tun‘s zur Not zwar auch, aber zumeist sind die praktizierenden Food-Pornografen schon etwa anspruchsvoller.

Kotelett-Harald ist der Facebook-Schuhbeck Nr. 1

Als ein  ganz Großer der “Social-Cooking”-Szene gilt Kotelett-Harald* (*Name von der Redaktion geändert), der unter dem Pseudonym “Gewürzgurke” gourmet-techisch in den unendlichen Weiten des Social-Webs für Entsetzen sorgt. Ich kenne ihn (nur) flüchtig. Anfänglich übte sich der Spachtel-Guru ja noch in für seine Verhältnisse vornehmer Zurückhaltung und stellte einmal täglich ein Foto seines (natürlich selbst zubereiteten) Mittags- oder wahlweise Abendessens zur Schau. Darauf war Verlass, das konnte man notfalls geflissentlich ignorieren oder einfach wegdrücken. Inzwischen ist der ätzende kleine Facebook-Schuhbeck aber dazu übergegangen, die Ernährungslinie des gesamten Tages komplett online zu präsentieren. “All inclusive

Vom ästhetischen Reiz schleimiger Seitan-Frikadellen

Nicht ganz so unerträglich, aber nichtsdestotrotz ebenfalls recht ätzend sind die Pixel-Absonderungen aus der Attacke-Abteilung der Veganer, einer militanten, ideologisch gestählten  Splittergruppe der Vegetarier. Und in dieser gelten besonders jene als am fanatischsten, die erst vor kurzem aus dem Lager der Carivoren desertiert sind. Motto: Die größten Kritiker der Elche waren früher selber welche! Vom missionarischen Drang beseelt, Fleisch- in Pflanzenfresser zu verwandeln, scheuen sie keine Mühen und Kosten. Aber diese Veggies haben dazu gelernt, kämpfen jetzt mit dem Florett statt mit dem Schwert. Ihre Beispielfotos sind von brillanter, ästhetischer Tiefe und Bedeutungsschwere. Und wie man matschigen Beluga-Linsenpuffer, schleimige Seitan-Frikadellen oder Torfu-Bandnudeln aus welkem Gemüse optisch so in Szene setzt, dass selbst einem Steak- und Schweinelenden-Freak das Wasser im Munde zusammenläuft und über die Lippen schwappt, darüber gibt es ja inzwischen im Internet erschöpfende Tutorials und Beispielfilme. Anerkannte Food-Stylisten plaudern aus dem Gewürzkästchen. Motto:  So gelingt die Nahrungsaufnahme!
Aber jetzt bin ich doch wieder neugierig, was heute Abend bei “Kotelett-Harald” Leckeres auf den Tisch kommt….

Der bekannte Cartoonist Ralph Ruthe bringt den ganzen Irrsinn wieder einmal mit wenigen Federstrichen auf den Punkt. Grafik: Ralph Ruthe/www.ruthe.de

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