Von Jürgen Heimann
Als Auswärtiger war etwas mühsam für ihn, den Ort des Geschehens auf Anhieb zu finden bzw. anzusteuern. Die durch den Ausbau der Ortsdurchfahrt geänderte Verkehrsführung macht es den meisten nicht gerade leicht, ans anvisierte Ziel zu kommen. Aber so eine innerörtliche Odyssee offenbart ja auch die versteckten Schönheiten Hirzenhains. Jury Bazarov aus dem Ortsteil Wissenbach, der sich um das Amt des Eschenburger Bürgermeisters bewirbt (die Wahl ist am 11. September), hat sich am Mittwoch dieser Woche vor Ort mit Vertretern der Bürgerinitiative „Unterm Klein-Loh“ getroffen. BI-Sprecherin Jacqueline Gawlik und ihre Mitstreiter wehren sich gegen den von der Gemeinde geplanten Luxusausbau ihrer Straße, die einzelne von ihnen mit Beiträgen in Höhe von 44.000 Euro belasten soll und mitunter ruinieren dürfte.
Nun kann der Bewerber um ein so wichtiges Verwaltungsamt im Vorfeld keine Versprechen machen, die vielleicht später nicht einzuhalten sind. Im Falle des 41-Jährigen auch deshalb nicht, weil er in den aktuellen lokalen Kommunalgremien keinen Fuß in der Tür hat und dort nicht vertreten ist. Aber ein Kandidat kann zuhören und hinterfragen. Das tat Bazarov, der in der Gemeinde Neunkirchen im Siegerland im Fachbereich Zentrale Dienste/Finanzen tätig ist, eineinhalb Stunden lang aufmerksam. Für die betroffenen Anrainer eine völlig neue Erfahrung. So etwas waren und sind sie von politischen Gremien ihrer eigenen Gemeinde einfach nicht gewohnt.
Bei dem anstehenden Projekt hatte man sie quasi vor vollendete Tatsachen gestellt. Motto: Hund friss oder stirb! Weder den hiesigen Ortsbeirat, geschweige denn die Administration, noch die politischen Parteien und ihre Fraktionen mochten hören, was diejenigen, die ja die Zeche letztlich zahlen sollen, zu dem Vorhaben zu sagen haben, welche Änderungs- oder Verbesserungsvorschläge sie hätten, welche Alternativen sie aufzeigen. Alle diesbezüglichen Einwände und Eingaben wurden in den Wind geschlagen oder mit dem knappen Einwand „Geht nicht“ verworfen. Basta. Wir hatten ja mal einen heuer ziemlich ins Zwielicht gerutschten Bundeskanzler, der auch gerne nach dieser Devise verfuhr.
Schlüssige Antworten auf die Fragen, ob dieser allenfalls von vier Autos pro Tag genutzte Weg tatsächlich auf fünf Meter verbreitert werden und mit einem zusätzlichen Gehsteig für Fußgänger (gibt es hier so gut wie keine) versehen werden muss, sind die Verantwortlichen bis heute schuldig geblieben. Auch warum man keine Einbahnstraßenregelung in Erwägung ziehen würde, kann ihnen keiner so richtig erklären. Von einem dilettantischen „Gutachten“ des Ordnungsamtes abgesehen, dessen Mitarbeiter lediglich § 45, Abs. 9 der StVO abgeschrieben und daraus abgeleitet hatte, solches wäre einfach nicht drin. Dabei sehen die entsprechenden Ausführungsbestimmungen zig Ausnahmen vor. Gut, oder nicht gut: Aktuell gehört die Strecke tatsächlich zu den Hauptverkehrsadern im Dorf. So viel Fahrzeugverkehr, bedingt durch die geänderte Verkehrsführung durch den Ausbau der Ortsdurchfahrt , gab es hier noch nie. Aber normalerweise herrscht dort automobil tote Hose.
In dem fruchtbaren Meinungsaustausch mit Jury Bazarov kamen auch jene Punkte zur Sprache, bei denen die Gemeinde im Vorfeld des Straßenausbaus ihre Hausaufgaben ganz offensichtlich nicht gemacht hat. Ist eine Verkehrszählung vorgenommen worden, deren Resultat belegt, dass eine solch breite Straße mit Trottoire zwingend ist – oder auch halt nicht? Sind überhaupt Alternativen geprüft worden? Sind naturschutzrechtliche Vorschriften, die bei Straßenbau- und ausbauten zwingend zu berücksichtigen sind, beachtet worden? Hat man auch nur mit einem Gedanken die sozialen Auswirkungen, die dieses Projekt auf die Anrainer hat, in Erwägung gezogen? Gab es eine Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) mit Darstellung umfassender Umweltauswirkungen? Existiert ein Landschaftspflegerischer Begleitplan, eine FFH-Verträglichkeitsprüfung oder ein Artenschutzrechtlicher Fachbetrag?
Alles wohl eher nicht. Dabei liegt das Gebiet direkt am Ortsrand, wo die spärliche Wohnbebauung an Wiesen und Sumpfgebiet grenzt. Natur pur eben. Und genau dort, jenseits des Wegs in Blickrichtung Lixfeld hatte die Gemeinde sogar noch zusätzliche Bauplätze (Anschlußbebauung) ausweisen wollen. Hätte dafür aber die Grundstücke der Anlieger erwerben müssen, die diese natürlich nicht hergeben wollen. Weil sie sich, was nachvollziehbar ist, die schöne Aussicht nicht verbaue lassen bzw. die Kleingartengelände, die sie bewirtschaften, weiter nutzen wollen. Weiter östlich im Wiesengrund sprudeln außerdem mehrere Quellen. Das blaue Schild „Wasserschutzgebiet“ das dort früher stand, verschwand über Nacht auf mysteriöse Weise.
Die Bürgerinitiative „Unterm Klein-Loh“ hat inzwischen den Gemeindevorstand schriftlich aufgefordert, das Vorhaben zunächst auszusetzen, und zwar so lange, bis die offenen Fragen geklärt bzw. erschöpfend beantwortet sind. Die Bauarbeiten sollten eigentlich, so ist es ausgemacht, bereits am 12. September starten. Damit könnte sich die Gemeinde jedoch selbst ins Knie schießen.