Von Jürgen Heimann
Auto- und Beifahrer kamen aus Simmersbach und standen, aus Richtung Hornberg herannahend, mit knurrenden Mägen ratlos und verzweifelt vor einer Barrikade. Bis hierhin und nicht weiter signalisierte selbige in Höhe des Abzweigs nach Lixfeld (Hirzenhainer Straße) und „Unterer Aue“. Die beiden hatten sich telefonisch in der „Pizzeria“ Toni eine Fruti die Mare sowie Agilo e Olio und Mango-Chicken zum Essen bestellt. Die Leckereien in Empfang zu nehmen, stellte beide aber zunächst vor unlösbare Probleme. Wie dahin kommen? Uff! Wie sag ich’s meinem Kind? Selbst Ortskundige mit Pfadfinder-Diplom tun sich aktuell schwer damit, entsprechende Ausweich- Umgehungs- und Schleichrouten aufzuzeigen und Ortsunkundigen allgemein verständlich zu beschreiben. Weil: Sie wissen es ja selbst nicht genau, wie und wohin der Hase läuft. Wer derzeit im unteren Drittel von Hirzenhain einen bestimmten Punkt ansteuern möchte, könnte auch Lotto spielen. Die Gewinnchancen sind genauso hoch.
Hirzenhain gleicht derzeit einer Festung. Die Ortsdurchfahrt (Kreisstraße 30) wird seit Montag/Dienstag auf Geheiß des Lahn-Dill-Kreises bis voraussichtlich Ende September für 415.000 Euronen ausgebaut und ist gesperrt. Da geht so gut wie nix mehr. Das Chaos blüht. Die Bauleitung obliegt Hessen-Mobil. Noch Fragen? Dass die Strategen von Hessen Mobil , also vor allem die aus der Dillenburger Moritzstraße – früher, in seriöseren Dienstzeiten, firmierte die Groß-Behörde noch unter dem Namen „Hessisches Straßenbauamt Dillenburg“ – nicht immer wissen was sie und mit wem sie es zu tun haben, belegen die Umleitungsschilder, die im Zuge des Ausbaus der Ortsdurchfahrt an exponierten Standorten platziert wurden. Wenn die Sachbearbeiter noch nicht mal wissen, wie man Hirzenhain richtig schreibt, sondern von „Hirzenhein“ reden, malen und schreiben, kann das mit der eigentlichen Planung und Verkehrsführung doch auch nicht weit her sein.
Das verspricht auf jeden Fall noch lustig zu werden. Bis zur Straße „Klein-Loh“, aus Richtung Oberdorf kommend, ist die automobile Straßenwelt im Segelfliegerdorf derzeit ja noch einigermaßen in Ordnung. Noch. Aber ab da beginnt der Irrsinn. Und der hat offenbar Methode. Momentaufnahmen vom Dienstag dieser Woche. Viele Anrainer, auch jene in den in die Ortsdurchfahrt m mündenden Seitenstraßen, bewegen sich am Rande des Nervenzusammenbruchs. Wie und auf welchen Schleichwegen sie zu ihren Häusern gelangen können und sollen, lässt selbst Navigationsgeräte des gehobenen Preissegments in die Knie gehen. Die Einmündung der Faulchenstraße in Höhe des Feuerwehrgerätehauses: blockiert. Jene aus der Oberen Aue ebenfalls. Ein paar Meter weiter nördlich zeigt sich auch die Straße Klein Loh ziemlich zugeknöpft und verschlossen.
Gut, es gibt schon Alternativen. Ganz clevere „Unterm Klein-Loh“-Anwohner beispielsweise zuckeln in Richtung Lixfeld, biegen nach rechts in einen unbefestigten Feldweg ab und kämpfen sich von dort aus holprig zu ihren „Luxus-Villen“. Motto: Von hinten durch die Brust ins Auge. Und um das Tohuwabohu zu komplettieren, liegt auch der neue Hilfssheriff auf der Lauer und passt auf, dass alles seine Unordnung hat. Inspektor Kojak aus dem Siegerland ist sich dabei auch nicht zu schade, sich mit “Verkehrssündern”, die sich mit ihren Autos an den Absperrungen vorbeigemogelt haben, eine filmreife Verfolgungsjagd zu liefern.
Sollten in den nächsten Wochen Unbekannte mit Stricken um den Hals an diversen Hirzenhainer Laternenmasten baumeln, sind bzw. waren das Transportfahrer, die versucht hatten, das Lebensmittelgeschäft Baum in der Straße Klein-Loh mit Waren zu beliefern. Sie haben aus Verzweiflung Suizid begangen. Aber dabei ist das doch gar nicht so schwer, bis zu dem einzigen Geschäft des Dorfs zu gelangen, dem zudem noch eine Bäckerei angeschlossen ist.
Man braucht nur, aus Richtung „Maulaffenplatz“ kommend, vor der evangelischen Ortskirche nach rechts in die schmale Lohstraße abzubiegen. Gut, das kann jetzt auch mal verdammt eng und haarig werden. Zumal dann, wenn hier Anwohner parken. (Die könnten doch eigentlich Maut erheben und sich so ein kleines Zubrot verdienen). Aber mit etwas Augenmaß, das den meisten Brummi-Fahrern ja zueigen ist, klappt das schon. Ein paar Meter weiter wartet aber dann die nächste Herausforderung. Eine verdammt scharfe, spitzwinklige und steil bergan führende Linkskurve zu nehmen, würde selbst einen Max Verstappen vor erhebliche Probleme stellen. Und zurück geht es nach Löschung der Ladung nur rückwärts. Schafft das der Lkw-Lenker tatsächlich ohne irgendwo anzuecken, ist er für den Rest des Tages nicht mehr zu gebrauchen und beschließt seine Schicht als psychisches Wrack.
Für die Metzgerei Müller, direkt an der unteren Hauptstraße gelegen, empfiehlt sich hingegen eine Belieferung durch Lufttaxis. Solche hat der hiesige Segelfliegerclub aber, glaube ich, noch nicht in seine Flotte integriert. (Jungs, jetzt macht mal langsam hinne!) Aber es eilt eigentlich doch nicht so. Der Fleischerladen nimmt derzeit eine Auszeit und hat geschlossen. Weil eh kein Kunde den Weg dorthin findet. Am Dienstag wurde noch jeder Käufer mit Handschlag und einem persönlich gehaltenen Ständchen begrüßt, aber schon am nächsten Tag verebbte der Zustrom und pendelte sich bei Null ein.
Es ist nicht so, dass die betroffenen Anwohner dieses Chaos mit stoischer Gelassenheit hinnehmen, und zwar in der nicht ganz unberechtigten Hoffnung, dass es irgendwann auch vorbei sein wird. Ein Anlieger, der anonym bleiben möchte (Name der Redaktion bekannt), formulierte es so: Derjenige, der diese temporäre Verkehrsführung ersonnen hat, müsste gezwungen werden, mit einem Teelöffel drei Zentner Briketts in eine Tupperdose zu schaufeln und die Steinkohle-Pellets anschließend Stück für Stück einzeln in den fünften Stock zu tragen. Bis keines mehr übrig ist. Dummerweise gibt es aber keine fünstöckigen Häuser in Hirzenhain.
Das mit dem Steinkohle-Schippen ist ja keine so schlechte Idee angesichts der versiegenden Erdgaszufuhr aus Russland. Auch die meisten kommunalen Einrichtungen der Gemeinde Eschenburg, das defizitäre Hallenbad sowieso, werden mit Putins Exportschlager geheizt, während der elektrisch angetriebene Dienstwagen, mit dem unser Bürgermeister umweltbewusst durch die Gegend fährt, mit Strom genährt wird, der aus eben jenen umstrittenen russischen Energieressourcen hergestellt wird, durch deren Verkauf Wladimir sein Ukraine-Massaker finanziert. Aber wir schaffen das schon, das mit der kommunal-lokalen Energiewende bei uns. Da bin ich mir ganz sicher!