von Jürgen Heimann
Reden wir mal über den Fuchs. Also nicht den Reinecke. Sondern über einen Zweibeiner gleichen Namens. Jenen Johann Jakob, der zu den schillerndsten Figuren der Hirzenhainer Kirchengeschichte zählt. Ein halbes Hundert Pfarrer hat die Gemeinde seit Beginn der Aufzeichnungen verschlissen. Der erste seiner Art hieß Iodocus, der vorerst letzte ist Michael Brück. Dazwischen wirkten hier mitunter ziemlich kantige Vertreter dieses Standes. Und besagter Fuchs war der außergewöhnlichste von allen.
Der Knabe war im Ort ununterbrochen 41 Jahre als Seelsorger tätig, von 1789 bis 1830. Und hat während dieser Zeit einen Klopper nach dem anderen rausgehauen. Als “Bauernpfarrer von Hirzenhain” sollte der wackere Geistliche in die Annalen eingehen und brachte es (ungewollt) zu überregionaler Berühmtheit. Zum Leidwesen seiner Vorgesetzten in Dillenburg, die die Umtriebe dieses Herren mit wachsender Skepsis beobachteten. Was ihm selbst aber völlig schnuppe war. Angst vor großen Tieren hatte dieses Original nie. Und dass das Konsistorium dem selbstbewussten und renitenten Eigenbrötler in den letzten Jahren seines Wirkens nacheinander sechs Vikare als Aufpasser auf den Hals hetzte, vermochte diesen kaum auszubremsen.
Mit Autoritäten, insbesondere solchen der hochnäsigen Art, hatte es der Perner sowieso nicht so. Das galt auch für seine unmittelbaren Vorgesetzten. Als diese Jahre nach der in 1725 erfolgten Kirchenrenovierung einen abschließenden Baubericht einforderten und sich nach dem Verbleib des Wetterhahns erkundigten, beschied er diesen lapidar: “Den hot der Hoabsch (Habicht) gefresse!” Wiederholt kam es vor, dass sich Leute beim Konsistorium über des Pfarrers geharnischte Predigten, Wortwahl und Ausdrucksweise beschwerten. Als die vorgesetzte Stelle zwecks Überprüfung deshalb einmal eine Abschrift der Predigt anforderte, ließ Fuchs wissen, er spreche grundsätzlich frei und aus dem Stegreif, bot aber an, persönlich in die Stadt zu kommen und den Herren eine andere Predigt zu halten, so Bedarf danach bestünde. Bestand nicht.
Doch dieser Geistliche war kein Don Camillo, sondern, wie es sein Biograf und Amtsnachfolger Friedrich-Wilhelm Cuno später formulierte, “ein Pfarrer von echtem Schrot(h) und Korn”. Apropos Korn. Einen solchen, oder zumindest etwas geistig Vergleichbares, mochte der streitbare und mitunter aufmüpfige Seelsorger auch. Zum Frühstück genehmigte er sich hin und wieder gerne mal ein Schnäpschen. Aber nur eins. Weil er dem neumodischen Zeugs namens Kaffee, das gerade aufgekommen war, partout nix abgewinnen konnte. Dazu eine Suppe und ein Stück Roggenbrot – und fertig war das üppige Breakfast.
Ein stockkonservativer Ehrenmann
Cuno nannte ihn einen “Ehrenmann vom Scheitel bis zur Sohle”. Der Kerl war stockkonservativ, wenn nicht sogar reaktionär, aber gradlinig und prinzipienfest. Fuchs, der die Nachfolge seines nach Ballersbach wechselnden Bruders Johann Moritz angetreten hatte, sollte seine Gemeinde in Folge gehörig aufmischen und brachte nicht nur selbige, sondern auch die verwahrlosten Kirchengrundstücke auf Vordermann. Vor allem den Jugendlichen zeigte er im gründlichen Katechismusunterricht, wo der Hammer hing. Als geistlicher Vorturner und Respektperson duldete der Mann weder Nachlässigkeiten noch Disziplinlosigkeiten und legte viel Wert auf Zucht und Ordnung. Die Hirzenhainer liebten ihn, hatten aber auch gewaltigen Respekt.
Vor allem der Tatsache, dass Fuchs seine Predigten auswendig in Hirzenhainer Mundart hielt, war es geschuldet, dass sein Ruf als “Hirzenhainer Bauernpfarrer” schon sehr bald weit über die engen Ortsgrenzen hinaus reichte. Er dozierte deshalb auf “Platt”, damit seine Schäfchen, einfache Landleute, die ja in ihrer Mehrheit auf einer “recht niedrigen Bildungsstufe” verharrten, auch kapierten, was er meinte. Beispielweise dann, wenn es darum ging, seinen andächtig lauschenden Zuhörern komplexe Glaubensfragen zu vermitteln.
Was die sich unter einer (Kirchen-)Gemeinde vorzustellen hatten, erläuterte Fuchs einmal folgendermaßen: “Däj Gemoa is es Gebinn Reiser. Däj kloane Reisercher enn Stäckelcher seu däj Bouwe enn de Marercher. Däj Knüppel enn däj gruße Reiser des seu de Mannsleu enn de Weiwer. Der Hauptklowe dozwischen is der Bür’moaster, en des Kurdelche woas drimgebunne es enn alles beinoa hält, des seun aich”. Schlussfolgerung: „Wu koan Perner ist, do is aach koa Gemoa, do is nur en wille Hoaf Duerchenoa!”. Damit wäre eigentlich schon alles gesagt gewesen. Aber das war erst der Anfang.
Die Kirche zeigte sich, wenn der populäre Geistliche Gottesdienst hielt und seiner Gemeinde die Leviten las, in der Regel brechend voll. Hier entlarvte er auch schon mal von der Kanzel herunter vor versammelter Mannschaft einen Dieb, der ihm zuvor einen Krautkopf vom Acker stibitzt hatte. Und das mit einer Methodik, die selbst einem Inspektor Columbo zur Ehre gereicht hätte. Dass seine Rhetorik von ausgewiesener Originalität war, hatte sich schnell auch in den Nachbarorten herum gesprochen. Da war es nur eine Frage der Zeit, bis diese Kunde auch Dillenburg erreichte. Was zur Folge hatte, dass sich immer mal wieder feine Herren aus der Stadt auf den langen Weg machten, um dem “Starprediger” zu lauschen.
Böcke und Maulaffen aus Dillenburg
Dazu gehörten mit schöner(Un-) Regelmäßigkeit auch Beamte des Landgestüts. Dass diese es meist an der nötigen Andacht und inneren Kontemplation fehlen ließen und nur auf Unterhaltung aus waren, ärgerte den Pfarrer gewaltig. Bis ihm eines Tages der Geduldsfaden riss. Fuchs stieg auf die Kanzel, entfaltete umständlich ein Blatt Papier und verlas in gestochenem Hochdeutsch seine Bestallung als Pfarrer. Er schloss mit den Worten: “Daraus folgt, ich stehe hier für meine Schafe aus Hirzenhain und nicht für die Böcke aus Dillenburg!” Zwei Oranienstädter, Vater und Sohn, verwies er, weil der Junior ob der Ausdrucksweise des Pfarrers recht unverschämt gegrinst hatte, ein anderes Mal mit den folgenden Worten des Saales:”Kirchedäiner, werf den Dillenburger junge Maulaff naus. Den ahle kannste de em da nochwerfe!”.
Die Unsitte, während seiner Predigten ein Nickerchen zu halten, hatte Fuchs den Seinen schon gleich nach seinem Amtsantritt ausgetrieben. Der Perner schleppte zur Predigt einen kapitalen Ziegelstein auf die Kanzel und legte ihn griffbereit an den Rand. So aufmerksam hatte die Gemeinde, mächtig gespannt darauf, was passieren würde, den Worten eines Predigers noch nie gelauscht. Zum Ende seiner Ausführungen hob Fuchs den Stein mit beiden Händen über den Kopf, was einige weibliche Gottesdienstbesucher dazu veranlasst haben soll, sich schutzsuchend hinter den Kirchenbänken zu verkriechen. Doch der Zeremonienmeister erklärte nur lächelnd: Der Stoa hot seu Schuldigkeit gedou, hau hot ko’er geschloofe”. Das soll auch danach so gut wie nie mehr vorgekommen sein.
Keine Esel zum Reiten
Weil dem wackeren Pfarrer mit fortschreitendem Alter längere Wege zu Fuß zu beschwerlich wurden, hatte er sich einen alten Klepper angeschafft. Während eines Ritts nach Dillenburg soll ihm der Landesmarschall begegnet sein. Der hohe Beamte spöttelte: “Herr Pfarrer, Sie auf einem Ross?! Christus hatte nur einen Esel, als er in Jerusalem einzog”. Der Konter kam wie aus der Pistole geschossen und saß: “Seit der Herzog alle Esel zu Landesmarschällen macht, sind keine zum Reiten übrig geblieben!” Von dieser Episode kursieren allerdings verschiedene Versionen.
In seiner Abschiedspredigt haute Fuchs folgende Sätze raus: “Ets soin aich’s laad, de Hirzehoaner Säu zu huire. Ets schmeiß’ aich de Gahsel en de Stäcke furt, moag säih, wer mit och furtig wird!” Der Mann starb am 22. März 1830 im Alter von 83 Jahren. Zur Beerdigung (“Su en Parrer kräije mer nit wirrer”) war das komplette Kirchspiel auf den Beinen. Der Platz reichte nicht aus. Man begrub ihn auf dem Kirchengrundstück, in der Ecke diesseits der Begrenzungsmauer, hinter der die steinerne Treppe auf die Lohstraße führt. So ist er den Nachkommen jener Menschen, denen er zeitlebens Trost, Beistand und Zuspruch gespendet, sowie seiner Wirkungsstätte, für die er sich Zeit seines Lebens eingesetzt hatte, noch heute nahe.