Rotorman's Blog

Kein “grüner Fassonschnitt”: Wer seltener
Rasen mäht, bremst das Insektensterben

Rasen

Millimeter-Grün ist in etwa so nährreich wie eine Betonfläche. Deshalb dem Rasenmäher lieber mal eine Auszeit gönnen: Foto: Pixabay

Von Jürgen Heimann

Das tapfere Schneiderlein hat ja vorgemacht, wie sich gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen lassen. Wobei die Zahl variabel ist und an die jeweilige Situation angepasst werden kann. Die daraus abgeleitete Redensart besagt nichts anderes, als dass sich mehrere Aufgaben mit einer einzigen Maßnahme erledigen lassen. Irgendwie hat das auch ein bisschen mit Synergieeffekten zu tun. Auf die Bewirtschaftung des eigenen Gartens projiziert, wären solche “Verbundresultate” schon erzielbar, wenn man dem knatternden Schnitter einfach mal eine Aus-Zeit gönnt.

Das dient auch der eigenen Bequemlichkeit – und den Insekten. Wir reden hier von mehr als sieben. Anders ausgedrückt: Wer seltener Rasen mäht, lockt u.a. Wildbienen und Schmetterlinge an. Millionen Gartenbesitzer können sich entspannt zurücklehnen, wenn sie die röhrende Motorschere bzw. die mit Hand- oder Elektrokraft betriebene häufiger einmal im Schuppen stehen lassen. Wer weniger oft mäht, fördert die Artenvielfalt. Oder zumindest das, was davon noch übrig geblieben ist.

Biene

80 Prozent unserer Wild- und Nutzpflanzen sind zwingend auf eine Bestäubung durch Bienen und andere Fluginsekten angewiesen. Bleiben die aus, wird’s eng mit der Ernte. Foto: Pixabay

Das hält das beklagte Insektensterben zwar nicht auf, verlangsamt es aber möglicherweise. Vor allem für die fliegende Fraktion unter den Kerbtieren ist es inzwischen ja längst nicht mehr fünf Minuten vor, sondern exakt Zwölf. Deren Bestand  – die Wissenschaftler sprechen von “Biomasse”  – ist in den vergangenen 20 Jahren um 80 Prozent zurückgegangen. Neben einer intensivierten Landwirtschaft, Pestizideinsatz, Stickstoffbelastung, Lebensraumveränderung und Lichtverschmutzung gelten verschwindende Futterquellen in den Gärten als Ursachen. Am Rückgang der Schmetterlinge, Wild- und Honigbienen lässt sich das exemplarisch beobachten.

Dramatischer Rückgang um 80 Prozent

Den dramatischen Schwund belegt ein Beispiel aus Krefeld (Nordrhein-Westfalen). Insektenkundler hatten dort 1989 auf einer Wiese eine Insektenfalle aufgestellt. Darin fingen sie Insekten mit einer Gesamtmasse von 1.400 Gramm. Als sie den Versuch 2013 wiederholten, waren es nur noch 300 Gramm. Und seitdem ist die Zeit ja nicht stehen geblieben. Man merkt es an der Windschutzscheibe des eigenen Autos. Die ist heuer selbst nach längeren Überlandfahrten noch blitzeblank. Früher pappten da zigtausende zerquetschte Viecher dran.

Nun könnte uns das Schicksal dieser mitunter lästigen Brummer und Summer ja eigentlich  egal sein, wäre da nicht ein klitzekleines Problem: 80 Prozent unserer 3.000 Wild- und Nutzpflanzen sind nämlich zwingend auf eine Bestäubung durch Bienen und andere Fluginsekten angewiesen. Bleiben die aus, bekommen wir nicht nur im Obstbau chinesische Verhältnisse. In Xi Jinpings Riesenreich  ist man inzwischen sogar gezwungen, die entsprechenden Kulturen per Hand zu bestäuben.

Bei uns in Deutschland versucht man die Lücke auf andere Weise zu fällen:  “Rent a Maja”. Es gibt inzwischen  ein Internetportal, über das in befruchtende Bedrängnis geratene Bauer Bienenvölker zum Bestäuben chartern können. Die werden dann beispielsweise aus Brandenburg ins Alte Land bei Hamburg gekarrt, um dort im Rahmen eines befristeten Einsatzes die Plantagen zu bedienen. Diese Methode ist nicht neu, gewinnt aber für die Branche zunehmend an Bedeutung. In Deutschlands größtem Anbaugebiet wird das seit Jahren so praktiziert. Dort kommen jährlich rund 4.000 Bienenvölker als Saisonarbeiter zum Einsatz.

Wildblumenwiese

Echte Alternative zum Wembley-Rasen: Eine Wildblumenwiese im Garten ist ein Schlaraffenland für nützliche Insekten – und sieht obendrein prächtig aus. Foto: Pixabay

Gärten könnten kleine Zufluchten für Wildtiere sein: für Insekten, Vögel, Igel und andere. Viele Besitzer bevorzugen jedoch den “grünen Fassonschnitt”. Sie stehen auf kurz getrimmten Rasen und allenfalls exotisches Begleitgrün. Oder sie pflanzen gleich gar nichts an, sondern verwandeln Beete in Steinwüsten. Ein Englischer Rasen ist für die nützlichen Insekten so nahrhaft wie eine Betonfläche! Darf das Gras jedoch wachsen, zieht es innerhalb kurzer Zeit Wildbienen und Schmetterlinge geradezu magisch an. Pflanzen wie Hornklee oder Löwenzahn sind beispielsweise eine lebenswichtige Nahrungsquelle für sie. Ist die Insektenvielfalt durch das Rasenwachstum erst gestiegen, stellen sich schnell weitere nützliche Gäste ein. Neben Vögeln, die sich von Larven, Käfern und Würmern ernähren, kommen Wildtiere wie Igel und Marienkäfer in den Garten. Und wer das grüne Paradies nicht nur optisch weiter aufwerten möchte, kann mit der Anlage einer pflegeleichten Wildblumenwiese nichts falsch machen. Im Gegenteil.

Aber es nutzt wenig, darüber zu reden und entsprechend zu handeln, wenn nach wie vor hunderttausende Tonnen als Pflanzenschutzmittel getarnte Insektenvernichter auf unseren Äckern versprüht werden. Zwar hat die EU unlängst die Freilandnutzung dreier besonders toxischen und vor allem für Bienen gefährlichen Neonicotinoide  verboten, doch es sind noch genügend andere Nervengift-Varianten im Handel, die Maja und Co., aber auch Ameisen und Wasserorganismen gefährlich werden können. Deshalb fordert beispielsweise auch der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) ein komplettes EU-weites Verbot von Insektiziden dieser Wirkstoffgruppe. Sehr zum Ärger des Bauernverbandes übrigens. Die Agrar-Lobby warnt bereits wieder vor erheblichen Qualitäts- und Ertragsverlusten. Die werden, siehe oben, noch wesentlich drastischer und umfassender sein, wenn es nix mehr zu vergiften gibt.

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So lange die Agrarindustrie hunderttausende Tonnen an Insektenvernichtungsmitteln versprüht, nutzt der schönste naturnahe und biologisch bewirtschaftete Garten nix. Foto: Pixabay

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