Rotorman's Blog

45 Millionen Eintagsküken wandern
jährlich in den Schredder oder werden vergast

Schalen

Aus dem Ei in den Schredder: Küken, die in der Geflügelindustrie als Hähne schlüpfen, haben schlechte Karten und wandern direkt in die Häckselmaschine. Foto: Pixabay

Von Jürgen Heimann

Sie sind geboren, um zu sterben. Küken, die in den industriell geführten Mast- und Zuchtbetrieben als Hähne aus den Eiern schlüpfen, haben schlechte Karten. Ihr Geschlecht kostet sie den Kopf. Und den behalten sie meist nur wenige Augenblicke oben. Weil die Tiere für die Eierproduktion wertlos sind, werden sie geschreddert oder vergast. Und das quasi im Akkord. Sie sind wertlose und deshalb lebensunwerte Abfallprodukte der auf produktive Effizienz getrimmten Massentierzucht.  

Die Entscheidung, ob diese flauschigen Geschöpfe zerfetzt werden oder ersticken dürfen, trifft der “Produzent”. Er ist der Herr über Leben und Tod. Letzterer, der Tod, kommt entweder blutig-brutal oder leise daher, was in der finalen Konsequenz aber auf das Gleiche hinausläuft. Die Opfer können es sich sowieso nicht aussuchen. Das hängt halt von der in der Firma installierten Exekutions-Hardware ab.

Küken aussortieren (männl./weibl.) in einer Brüterei.

Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen: Die Selektion erfolgt bereits kurz nach dem Schlüpfen. Für 45 Millionen Küken heißt das jährlich „Letzte Ausfahrt Schredder“. Foto: Peta/Karremann

Der Weg über den Regenbogen führt in diesem Fall über Routen: Entweder werden die Todeskandidaten im Häcksler bei lebendigem Leib in eine blutig-schleimige Glibber-Masse verwandelt oder aber in  CO2 „gebadet“, was „humaner“ klingt als es ist. Das Gas wird in einen mit mehreren hundert Küken besetzten Behälter eingeleitet. Bewusstlosigkeit und Tod treten dann in der Regel innerhalb von wenigen Sekunden ein, weil das Gift den Sauerstoffgehalt des Blutes extrem absenkt. Medizinisch ist dieser Prozess als Bohr- oder Haldane-Effekt bekannt. Oft haben sich die Insassen der Box aber zuvor schon gegenseitig zerquetscht.

Die Gas-Methode hat den Vorteil, dass man die Kadaver anschließend gewinnbringend weiter verwenden kann. Tiefgefroren werden sie an Zoos, Reptilienhandlungen und Heimtiermärkte verscherbelt. Zerrieben machen sie auch als Fischfutter eine gute Figur. Auszug aus der entsprechenden Werbung: „10 Eintagsküken für 1,78 Euro. Reduzierter Preis. Der natürliche Knabberspaß für Katzen, Frettchen und Hunde…“

Schauen wir uns mal an, wie präzise und effizient der Schredder-Prozess abläuft:

Im vergangenen Jahr wurden auf diese Weise deutschlandweit rund 45 Millionen Eintagsküken eliminiert. Das sind rund 123.000 Stück täglich. Was noch einmal einer Steigerung um eine Million entspricht. Krass! Und das, obwohl die damalige Bundesregierung wiederholt getönt hatte, diese schöpfungsverachtenden Massentötungen “schnellstmöglich” beenden zu wollen. Gut, das war jetzt Ex-Agrarminister Christian Schmidt (CSU), der sich da publikumswirksam aus dem Fenster gelehnt und entsprechend in Szene gesetzt hatte. Als solcher zeichnete der Ehrenpräsident des deutschen Glyphosat-Fanclubs ja auch für den Tierschutz verantwortlich. Genauso gut hätte man auch einen mehrfach vorbestraften Pädophilen zum Leiter einer Kindergarten-Krabbelgruppe machen können.

Mitgeschöpfe, keine  Wegwerfware

Aber inzwischen steht ja Julia an der Spitze des Hauses. Frau Klöckner obliegt es, das Herumeiern zu beenden und den im Koalitionsvertrag festgeschriebenen Passus, diese Praxis  bis zur Mitte der Legislaturperiode abzuschaffen, umzusetzen. Schaun ‘mer mal, wie Schmiergeld-Franz es formulieren würde.  Goethes Faust hat sich dazu ja bereits 1808 folgendermaßen geäußert: “Die Botschaft hör’ ich wohl, allein mir fehlt der Glaube”. Immerhin hat die Ministerin in ihrer Antrittsrede im Bundestag erklärt, Tiere seien Mitgeschöpfe und keine Wegwerfware. Was angesichts der Realität erst mal etwas hohl klingt. Aber: Sie wolle die Gesetzeslücken, die das Zerkleinern der Hühner-Minis ermöglichen, deshalb schließen, versprach die Rheinland-Pfälzerin. Daran und noch an einiges andere mehr erinnert die Verbraucherschutzorganisation “Food Watch” die CDU-Politikerin mit einer bundesweiten Unterschriftenaktion, die nicht nur ein  komplettes Schredderverbot zum Ziel hat.

Was ist drinne

Eine Frage, die über Leben und Tod entscheidet. Inzwischen gibt es aber Verfahren, das Geschlecht bereits frühzeitig im Ei zu bestimmen. Foto: Pixabay

Tatsächlich gibt es Alternativen dazu, aber die sind offensichtlich noch nicht “markt-kompatibel”. Wissenschaftler aus Leipzig und Dresden haben längst Methoden entwickelt, die eine frühzeitige Geschlechtsbestimmung schon im Ei ermöglichen. Und zwar zu einem Zeitpunkt, an dem der darin enthaltende Embryo noch schmerzunempfindlich ist. Das Ei könnte dann einfach  aussortiert werden.

Die Geflügelwirtschaft bremst

Doch der Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaftet dämpft schon mal allzu optimistische Erwartungen. Bis die entsprechenden Geräte flächendeckend in den Brütereien zum Einsatz kämen, werde es wohl noch etwas dauern. Frühestens Ende dieses Jahres könnten die ersten (Test-)Apparaturen scharf geschaltet sein. Auch, so die Lobby der professionellen Eiermänner, müsste die Anschaffung aus Steuermitteln subventioniert werden. Ja nee, ist klar.

Bis heute klagen die Gaga-Bosse und ihre Funktionäre ja, dass sie für eine ganz andere dem Tierwohl geschuldete Pioniertat nicht angemessen honoriert würden. Sie haben sich „freiwillig“ verpflichtet, auf die Praxis, Küken, aus denen einmal Legemaschinen werden sollen, die Schnäbel zu kappen, zu verzichten. Diese Regelung gilt bundesweit seit 2017. Ob sich alle auch dran halten? Diese angeblich schmerzfreie Prozedur war bis dato bei Hennen in der Boden- und Freilandhaltung die Regel.

„Freiwilliger“ Verzicht auf das Schnabelkürzen

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Die Praxis, Küken den Schnabel zu stutzen, damit sie sich, zu Legemaschinen gereift, später nicht in der Enge der Massenställe gegenseitig verletzen, ist angeblich seit 2017 abgeschafft.Foto: Peta

Die mit Nerven durchsetzten Schnabelspitzen wurden dabei mit einer heißen Klinge oder einem Laser abgetrennt, um zu vermeiden, dass die Tiere sich später gegenseitig picken, verletzen oder gar töten. Das Schnabelkürzen ist ein typisches Symptom der Massentierhaltung: Die Tiere werden den schlechten Haltungsbedingungen angepasst, anstatt die Haltungsbedingungen den Tieren anzupassen. Wären die Gegebenheiten nicht so schlecht und weniger stressverursachend, würden Verhaltensstörungen wie Federpicken und Kannibalismus gar nicht erst auftreten. Aber das ist nur die eine Seite der Medaille. Die Hühnerbarone haben noch viel mehr Dreck am Stecken. Einige weitere erschreckende Beispiele:

Skandalöse Rechtsprechung

Natürlich haben es die Brütereien mit der Systemumstellung hin zu einer Früherkennung des Geschlechts nicht besonders eilig. Weil die eben auch mit Kosten verbunden ist. Und solange Gerichte wie das Oberverwaltungsgericht Münster das Kükenschreddern als “Teil der Verfahren zur Versorgung der Bevölkerung  mit Eiern und Fleisch” adeln and absegnen, wird sich auch nichts  ändern. Diese skandalöse,  im Mai 2016 ergangene Feststellung ist natürlich Wasser auf die Mühlen der Bremser und hebelt das Tierschutzgesetz aus. In dessen § 1  heißt es “Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen“. Den “vernünftigen” Grund haben die Robenträger ja jetzt nachgereicht. Siehe oben.

Verbote der Länder sind wirkungslos

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Die deutsche Geflügelwirtschaft erweckt gerne den Anschein, als läge ihr nichts so sehr am Herzen wie das Wohl der Tiere. Einer ihrer Slogans lautet: „ Wir sind dabei, das beste Geflügelland der Welt zu werden“.

Da nützt es auch wenig, dass Länder wie Hessen und Niedersachsen diese Praxis längst rechtskräftig verboten haben. Der Haken daran: Das Verbot greift erst dann, wenn auch eine Technik verfügbar ist, die das massenhafte Töten von Küken überflüssig macht. Verfügbar ist sie, aber mit deren Einführung haben gewisse Stellen keine Eile. Warum wohl?

Das Massensterben geht weiter

Das Massensterben geht also erst einmal ungebremst weiter. Schon seit Jahren rennen Tierschützer vergeblich dagegen an. Die gängige Praxis fußt auf rein wirtschaftlichen Überlegungen. Es geht, natürlich, um Profit. Männliche Küken können keine Eier legen. Als Masthähnchen sind sie aber völlig untauglich, weil diese speziellen Hybrid-Hühnerrassen einzig und allein auf einen extrem hohen Eier-Output hin gezüchtet werden, ganz schlechte Futterverwerter sind und deshalb für die Lebensmittelproduktion nix taugen. Also Rübe ab! Wie es freilich denen geht, die leben dürfen, ist zweitrangig. Die Nachteile dieser “Optimierung”: Die Turbo-Hennen leiden. Die Sterblichkeitsrate ist hoch,  Knochenbrüche und Brustbeinschäden infolge einer zu geringen Knochenfestigkeit, Eileiterentzündungen und eine große Anfälligkeit für Infektionskrankheiten sind als fatale Folgen an der Tagesordnung. Aber das nimmt man halt als Kollateralschäden hin.

Dann aber auch noch die unnützen Hahnenküken groß zu ziehen, wäre ja jetzt wirklich zu viel verlangt. Denn: Wollte man die aufpäppeln, um sie beispielsweise später als Brathenderl zu verticken, wäre dafür das Vierfache der Futtermenge notwendig. Seit 2013 gibt es zwar die  “Bruderhahn-Initiative Deutschland” (BID), die da etwas gegensteuert, aber das ist letztlich nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Hier zahlen die Kunden der angeschlossenen Öko-Betriebe vier Cent mehr pro Ei und finanzieren damit die Aufzucht der männlichen Küken mit. Indem auf der anderen Seite die meisten Verbraucher aber zu den kostengünstigeren Angeboten beim Discounter greifen, alimentieren sie das Schreddern der Küken und nehmen dies automatisch und stillschweigend in Kauf. Darüber sollte man sich im Klaren sein.

Aber das ist ja nichts alles. Wer sich beispielsweise Eiernudeln der Marken Birkel und 3 Glocken auf den Teller schaufelt, ist ebenfalls indirekt am Kreislauf millionenfachen Tierleids beteiligt.   Vertrieben werden diese Produkte von der in Mannheim ansässigen Newlat GmbH. Die wiederum bezieht ihre Waren von der Niederländischen Global Food Group. Die Tierrechtsorganisation Peta hat hinter die Kulissen der GFG-Zulieferbetriebe in Holland und Polen geschaut. Das dabei zustande gekommene Videomaterial  ist nur schwer erträglich:

Da weiß man nicht, ob die geschredderten Eintagsküken nicht vielleicht das bessere Los gezogen hatten.

Herumkurieren an Symptomen

Doch machen wir uns nichts vor: Ein gesetzlich verankertes Verbot dieser Praxis hieße letztlich auch nur, an den Symptomen eines sowieso kranken Systems herum zu kurieren. Und zwar ohne dieses per se in Frage zu und das Grundübel ab zu stellen. Reden wir erst gar nicht von der Massentierhaltung und ihren Auswüchsen an und für sich. So lange sich Genetiker, Züchter und Halter dem gnadenlosen Preisdiktat des Marktes und somit der Geiz-ist-Geil-Mentalität vieler Verbraucher unterworfen und verpflichtet sehen, wird sich nichts ändern. Dann zielt ihr Streben weiterhin einzig und allein darauf ab, den Legebatterien und Turbo-Mastanstalten die “perfekten” und speziell an ihre jeweiligen Produktionsbedürfnisse angepassten Lebendmaschinen zuzuführen. Was sich dann an der Supermarkt-Kasse auch für den Endabnehmer rechnet.

Keine eierlegenden Wollmilchsäue

Familienidyll

Familienidyll: Zwischen dem Alltag in den Massenställen der Geflügelindustrie und solchen Aufnahmen liegen Welten. Allenfalls werden sie von den Hühnerbaronen mal zu Rekamezwecken benutzt. Foto: Pixabay

Auf der Suche nach Alternativen und somit ethisch vertretbaren Lösungen stolpert man zwangsläufig und immer wieder über den Begriff “Zweinutzungs-Hühner”. Das sind jetzt zwar nicht gleich eierlegende Wollmilchsäue par excellence, aber uralte Rassen, wie sie mitunter schon auf den Bauernhöfen unserer Vorfahren herum gegackert und gescharrt haben. Vielleicht sollten wir zu dieser traditionellen Form des Wirtschaftens zurück finden, auch wenn’s vielleicht ein klein wenig mehr kostet.

Da gibt es Altsteirer, Dresdner, Wyandotten, Dorkings oder Sulmtaler. Das sind Eier- und Fleischlieferanten in Personalunion, auch wenn sie  ihrer Bestimmung nicht so effizient nachkommen (können) wie ihre “hoch spezialisierten” und auf Akkord programmierten kasernierten Brüder und Schwestern. Aber eine wachsende Zahl von Abnehmern, die ihren Bedarf  bei zertifizierten Bio-Erzeugern decken, kennt schon den Unterschied zwischen Quantität und Qualität. Das macht ein klein wenig Hoffnung.

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