Von Jürgen Heimann
Dieses Kooperationsmodell ist hessenweit einmalig – noch. Doch früher oder später dürften auch andere dem Beispiel der beiden Kirchengemeinden von Hirzenhain und Simmersbach folgen. Die stecken seit Anfang des Jahres 2020 quasi unter einer Decke und machen gemeinsame Sache. Da fand, wie sich gezeigt hat, zusammen, was zusammen passte. Vorteil: Die seelsorgerische Betreuung in beiden Ortschaften ist zukunftssicher, was sie aufgrund sinkender Mitgliederzahlen sonst auf Dauer nicht gewesen wäre. Auch hier geht es um Planstellen und Personalschlüssel.
Zwischen 1500 und 1800 Gemeindemitglieder sollten es nach gängiger Lesart der Kirchenleitung schon sein, um auf Dauer eine Pfarrstelle in Vollzeit zu rechtfertigen. Aber weder die Hirzenhainer (1230 Kirchenmitglieder), geschweige denn die Nachbarn im Tal (700) erreichen diese Marke noch. Also musste man sich etwas einfallen lassen. Und tat es auch.
Beide Seiten bleiben souverän
Das Gemeinschaftsprojekt trägt den etwas sperrigen Titel „Kooperationsraum in Eschenburg“. Dahinter verbirgt sich nichts anderes als ein freiwilliger organisatorischer Zusammenschluss der beiden Kircheneinheiten zu einem Ganzen, ohne freilich, dass dadurch eine der beiden Seiten ihre Selbstständigkeit und Souveränität verliert.
Beide Partner haben somit, wenn auch in kleinerem Rahmen, das nachvollzogen, was auf kommunaler Basis in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts zur Bildung der Großgemeinde Eschenburg führte. Und das war ja auch eine Erfolgsgeschichte. Dass die Orte kirchenorganisatorisch bis vor kurzem zu zwei unterschiedlichen Dekanaten gehörten, war kein Hinderungsgrund. Ebensowenig die Tatsache, dass Simmersbach lutherisch ausgerichtet ist, Hirzenhain aber reformiert. Simmersbach, bisher dem Dekanat Biedenkopf-Gladenbach angeschlossen, hat inzwischen mit Zustimmung der beiden Synoden die Seiten gewechselt und zählt jetzt zum Dekanat an der Dill.
Seelsorgerisch gut aufgestellt
In Zukunft werden sich zwei Pfarrer die Aufgaben in den beiden Eschenburg-Orten jeweils mit einer halben Stelle teilen und sich dabei gegenseitig unterstützen und vertreten. Und beide sind hier bestens be- und anerkannt. Da wäre Michael Brück (54), der seit 18 Jahren in Hirzenhain Dienst tut und der jüngst auch zum stellvertretenden Dekan gewählt worden ist. Und da wäre sein Amtskollege Eberhard Hoppe, der im Lahn-Dill-Kreis zugleich als leitender Notfallseelsorger verantwortlich zeichnet. Hoppe (63) wohnt mit seiner Familie in Eibelshausen. Er war und ist hier und in den umliegenden Dörfern seit vielen Jahren aktiv, bei Gemeindeabenden, Bibelstunden oder Gottesdiensten. Er war früher Verbandspfarrer des Ev. Gemeinschaftsverbandes Herborn. Ihm obliegt, so sieht es die interne funktionale Aufteilung vor, in Hirzenhain und Simmersbach künftig auch der Besuchsdienst, während sich Kollege Brück um die Konfirmanden, die gemeinsam unterrichtet werden, kümmert.
Die Gottesdienstzeiten wurden angepasst. So ist sichergestellt, dass sonntags die Glocken in beiden Orten zum Kirchgang rufen, und zwar alternierend um 9.30 und 10.45 Uhr. Ein- bis zweimal im Monat trifft man sich auch in der Friedenskirche am Hirzenhainer Ortsteil Bahnhof. An den kirchlichen Initiativen und Angeboten vor Ort (Jugendarbeit, Posaunenchor, CVJM-Sport usw.) ändert sich nichts, doch soll es zunehmend gemeinsame Aktionen und Veranstaltungen geben. Dass die beiden (nach wie vor eigenständigen) Kirchenvorstände künftig gemeinsam tagen, dürfte die „bilaterale“ Kommunikation und Synergie ebenfalls positiv beeinflussen.
Pfarrer Brück: „Eine Herzensheirat“
Überhaupt versteht man sich, wie die vergangenen Monate im Experimentalmodus gezeigt haben, prächtig. Und dass, obwohl man historisch gesehen ja aus zwei grundverschiedenen „Staaten“ stammt. Hier die Hessen, da die Nassauer. Aber da gibt es längst keine Vorbehalte mehr. Im Gegenteil. Gemeinsame Schnittstellen finden sich viele, der Grad der Übereinstimmung ist hoch. Deshalb spricht Pfarrer Michael Brück, der „Erfinder“ dieses Modells, auch von einer „Herzensheirat“.
Inzwischen ist auch der von Torsten Reh geleitete Chor „Surpr@ise“ längst keine rein Simmersbacher Angelegenheit mehr. 15 Hirzenhainer haben das vokalstarke Ensemble, das mit modernen und gospelbetonten Liedern brilliert, auf 35 Sänger anwachsen lassen. „Trainiert“ wird deshalb künftig auch einmal im Monat im Segelfliegerdorf. Inzwischen ist außerdem eine gemeinsame Internetpräsenz „auf Sendung“. Was wo geplant und los ist bzw. war findet der interessierte User tagesaktuell unter: www.kirche-eschenburg.de.
Verwaltungsmäßig sind die vier evangelischen Kirchengemeinden in Eschenburg noch einen über diesen Kooperationspakt hinausgehenden Schritt weiter gegangen. Ein gemeinsam betriebenes und in Eiershausen (Eckestraße 12) angesiedeltes Gemeindebüro ist seit dem 1. Januar diesen Jahres für die Kirchengemeinden Wissenbach, Eiershausen, Simmersbach und Hirzenhain zuständig. Drei Pfarramtssekretärinnen entlasten die Akteure vor Ort bei den immer immenser werdenden Verwaltungsaufgaben und ermöglichen so zeitliche Freiräume. Die Öffnungszeiten: Montags bis freitags von 10 bis 12 Uhr sowie dienstags und donnerstags außerdem von 15 bis 18 Uhr.
Amtseinführung durch Dekan Jaeckle
Festlich und offiziell besiegelt wurde der Bund am vergangenen Sonntag im Rahmen eines vom hiesigen Posaunenchor unter der Stabführung von Torsten Reh umrahmten Neustart-Gottesdienstes in der vollbesetzten Simmersbacher Katharinenkirche. Feierlichkeiten unter diesem Motto gab es am Wochenende in vielen Gemeinden des Dekanates, aber hier hatte der Leitspruch im wahrsten Sinne des Wortes doppelte Bedeutung. Dekan Roland Jaeckle war gekommen, seine beiden Kollegen offiziell in ihre neuen Ämter einzuführen, Michael Brück auch in das des stellvertretenden Dekans. Karin Theis (Vorsitzende des Simmersbacher Kirchenvorstandes), Heiko Holighaus (stellvertretender Vorsitzender des Hirzenhainer Kirchenvorstandes), Dr. Wolfgang Wörner (Vorsitzender des Dekanatsvorstandes an der Dill) sowie Jochen Hardt (Gemeinschaftsverein Simmersbach), Ramona Petersohn (CVJM Simmersbach) und Christian Hermann (CVJM Hirzenhain) assistierten ihm dabei und wünschten den engagierten Geistlichen ein erfolgreiches Wirken.