Von Jürgen Heimann
Vor die Wahl gestellt zu joggen oder zu knuddeln, würde ich mich, klarer Fall, für die zweite Option entscheiden. Wobei das eine das andere ja nicht unbedingt ausschließt. Beides ist am 21. Januar aber ausdrücklich erwünscht. Wobei das mit dem auf den eigenen Beinen Durch-die-Gegend-Keuchen nicht wörtlich genommen werden darf. Es genügt völlig, das entsprechende Outfit zu tragen. Die Frage, welches, erübrigt sich ja wohl: Wir begehen den “Internationalen Tag der Jogginghose”. Der wird, ausgehend von Österreich, seit 2009 zelebriert. Eine deutlich längere Tradition hat hingegen der “International Hug Day”. Den gibt es schon seit 1986. Das Wort “hugging” kommt aus dem Englischen und bedeutet “umarmen”. Handelte es sich bei diesem Verbrüderungs- und Verschwisterungs-Rundumschlag ursprünglich noch um eine nationale, anfänglich auch nur auf den US-Staat Michigan beschränkte Aktion, wird mittlerweile auch in Kanada, Australien England, Russland, Polen und bei uns in Deutschland an diesem Tag mehr oder weniger geschmust was das Zeug hält. Denn mal los! Auf ein Neues!
Dem Appell zum globalen Knuddeln liegt die Überlegung zu Grunde, dass sich viele Menschen heutzutage nicht mehr trauen, öffentlich Zuneigung und Sympathie gegenüber anderen zu bekunden. Gefühle zu zeigen sei etwas aus der Mode gekommen, heißt es in der Begründung. Der Termin wurde auch ganz bewusst gewählt. Der 21. 1. liegt genau in der Mitte zwischen zwei hoch emotionalen Festen: zwischen Weihnachten, das auch als “Fest der Liebe” bezeichnet wird, und dem Tag des Heiligen Valentin; dem „Valentinstag”. Der ist ja, wenn auch inzwischen durch und durch kommerzialisiert, als “Tag der Liebenden” gesetzt. Valentin von Terni wird von den Katholen sowohl als Heiliger als auch als Märtyrer verehrt. Er war am 14. Februar 269 hingerichtet worden. Kaiser Claudius II. hatte den amtierenden Bischof von Rom einen Kopf kürzer machen lassen, weil dieser entgegen der ausdrücklichen Anweisung seiner Querulenz kraft Amtes Liebespaare nach christlichem Ritus getraut hatte.
Inmitten der aktuell dunklen, kalten und trostlosen Jahreszeit könne etwas menschliche Herzlichkeit ja durchaus gut tun und helfen, die oftmals gedrückte Stimmung etwas aufzulockern, befinden Adam Olis und Kevin Zaborney, die „Erfinder“ des Knuddeldays. Der Aktionstag soll einen Anreiz darstellen, Freunden oder Mitgliedern der Familie durch eine Umarmung zu signalisieren, dass diese einem etwas bedeuten. Ob daheim auf dem Sofa, auf der Arbeit oder unterwegs. Die Gelegenheiten zum Knuddeln seien vielfältig.
Theorie und Praxis: Mut zur textilen Peinlichkeit
Soweit zur Theorie. Beseelt von entsprechenden Überlegungen hatte sich mein Nachbar im vergangenen Jahr in der Fußgängerzone unserer weltoffenen Provinzhauptstadt gleich mehrere deftige mit übelsten Beschimpfungen einhergehende Watschen eingefangen. Aber vielleicht war er bei der Wahl seiner Zielpersonen auch etwas zu ehrgeizig und ambitioniert gewesen. Nach in Folge ähnlich schmerzvollen Abfuhren im Bahnhofsrestaurant und an der Bushaltestelle und, um künftig der Gefahr vorzubeugen, als aufdringlicher Lüstling in Verruf zu geraten, zeigt der brave Mann dieses Jahr gleich Mut zur textilen Peinlichkeit und geht im sportlichen Laufdress zur Arbeit. Das Risiko, dass die Kollegen das blaue Auto mit der muskelbepackten Besatzung rufen, ist durchaus real, aber Karl-Robert kann sich ja auf besagten Jogginghosentag berufen.
Sportlicher Überfall auf Getränkemarkt
Den hatten vier Grazer Gymnasiasten vor acht Jahren als einmaligen Faschingsgag initiiert. Nach dem durchschlagenden Premierenerfolg entwickelte die Sache in Folge eine ungeahnte Eigendynamik. Als “Event” auf Facebook beworben, fanden sich bereits im ersten Jahr 130.00 (virtuelle) Teilnehmer. 2011 waren es bereits über 600.000 aus mehr als 50 Ländern. Sie sind aufgerufen, zu diesem Termin Fotos von sich in Jogginghosen zu posten, ob die nun in der Schule, der U-Bahn, dem Büro oder bei diversen Freizeitaktivitäten aufgenommen worden sind: www.facebook.com/jogginghosentag. Das mit den Freizeitaktivitäten muss ein User missverstanden haben. Er schickte das Foto aus einer Überwachungskamera, das einen bewaffneten Räuber bei einem Überfall auf einen Getränkemarkt zeigte. Natürlich trug der Maskierte eine Jogginghose.
Karl Lagerfeld und die gestylte Zeitungsausträgerin
Ihren anfänglichen Charme hat die Veranstaltung inzwischen dadurch eingebüßt, dass zunehmend kommerzielle Anbieter auf den Zug aufgesprungen sind und den 21. Januar für eigene Aktionen vereinnahmen, um günstige Angebote zu bewerben – für Jogginghosen natürlich. Über die Modezar Karl Lagerfeld sagt, wer selbige trage, hätte die Kontrolle über sein Leben verloren. Davon mal abgesehen: Für ein Kleidungsstück, in dem so viele Leute auf der Couch lümmeln, Fernsehen glotzen und Chips futtern, hat das Textil schon einen ziemlich ungewöhnlichen Namen. Anderseits gilt, wie unsere Zeitungszustellerin zu sagen pflegt: „Wer mich in der Jogginghose nicht mag, hat mich gestylt nicht verdient!“ Zum Glück begegnen wir uns nie, da sie zu einem Zeitpunkt unterwegs ist, an dem wir noch tief schlummern und von Jogginghosen träumen.
Ein schwarzes Datum für die Autofahrer
Was hat bzw. hatte dieser 21. Januar sonst noch zu bieten? Mal abgesehen davon, dass der Heimatschriftsteller Ludwig Thoma (1867) und der Tenor Plácido Domingo (1941) irgendwann in grauer Vorzeit an diesem Tag ihre ersten Schreie taten. Gilt auch für den glanzköpfigen Lollipop- Lieutenant Theo Kojak alias Aristoteles Savalas (1924). Derweil verabschiedeten sich George Orwell (1950), Wladimir Iljitsch Lenin (1924) und der französische König Ludwig XVI. (1793) just an diesem Tag von dieser Welt. Letzterer tat das auch nicht ganz freiwillig. Am 21. Januar 1925 wurde die Republik Albanien ausgerufen, auf den Tag genau 29 Jahre später lief das erste atomgetriebene Unterseeboot, die Nautilus, in den USA vom Stapel. Ein schwarzes Datum für die sportlichen Autofahrer in Deutschland war der 21.1. 1957. Die Polizei setzte erstmals ein Foto-Radargerät zur Tempoüberwachung ein. Aufs Tempo drückten auch die beiden Concordes, die am 21. Jänner 1976 zeitgleich in London und Paris zu den ersten Überschall-Linienflügen der Luftfahrtgeschichte abhoben. Destinationen waren Bahrain am Persischen Golf und Rio de Janeiro.
Trinität und binomiche Formeln
Überhaupt hat es die Zahl „21“ ja auch ohne dass sie mit diesem blöden Januar oder einem der folgenden kalten Monate verknüpft ist in sich. Nicht nur, weil sie angeblich für Erfolg, Erfüllung und Vollkommenheit steht, wie esoterisch angehauchte Numerologen und Zahlenmystiker behaupten. In ihr manifestierte sich, sagen andere, auch die Trinität „Vater, Sohn und Heiliger Geist“: 2+1= 21. Während ein mit mir weder verwandt noch verschwägerter Mathematiker etwas von einem “ganzzahligen Erlebnis ganzer Zahlen als Folge der 3. Binomischen Formel” faselte. Was ich aber, ehrlich gesagt, nicht verstanden habe.
Die vollkommene Zahl als umgedrehte „12“
Unser belesener Bofrost-Mann drückte sich da schon verständlicher aus: Die 21 sei eine binäre Palindromzahl (10101) und repräsentiere innere Symmetrie. Daneben sei sie das Produkt aus der Dauer einer Mondphase multipliziert mit der Anzahl der Leuchtintervalle. Da 7 auch für die Gesamtdauer des Universums stehe, könne man sagen, dass sich mit der 21 die Dauer des Universums multipliziert mit der Dreifaltigkeit darstellen ließe. Ähmm??? Noch mal langsam von vorne! Gaaanz langsam! Häufig werde aber auch übersehen, dozierte der Mann unbeirrt weiter, “dass die 21 die Differenz aus einer vollkommenen Zahl ergibt, und zwar einer, deren echte Teilersumme der Zahl selbst entspricht“. Das käme extrem selten vor. Daneben sei die 21, die ja nichts anderes als eine umgedrehte 12 wäre, die erste Zahl nach der 5, die an ihren Flanken von Primzahlen beschützt werde…???
„Tag des Sockenschusses“ mit „Zinn 40“ und „Vat 69“
Ja nee, ist klar! Auf die Zahl 21 komme ich ja auch, wenn ich eine Flasche Zinn 40 zur Hälfte leere, den verbleibenden Inhalt mit zwei multipliziere, davon 50 Prozent abziehe und dem Ergebnis rechnerisch 2,5 Prozent der Ausgangs- und Ursprungskapazität bezogen auf das spezifische Volumen das Fusels zuschlage. Selbstverständlich unter Berücksichtigung der Heisenberg’schen Unschärferelation bei paralleler Einbeziehung des Gauß’schen Fehlerintergrals. Die dem Ganzen zugrunde liegende Formel, die natürlich auch die analytische Fortsetzung der Fakultät und die Mächtigkeit des Kontinuums berücksichtigt, ist eigentlich ganz simpel. Weil x ja eben gleich -b plus ist (oder auch umgekehrt) und unter der Wurzel von b zum Quadrat wird, das man/frau dann lediglich noch mit -4 x a x c multiplizieren und dann durch 2a teilen muss. Man kann das auch auf „Pastis 40“, „Vat 69“ und „Stock 84 Brandy“ übertragen. Und das Ergebnis ist immer das Gleiche. Oder dasselbe: 21! Daraus ergibt sich die logische Schlussfolgerung: Der “Tag des Sockenschusses”, so er denn mal eingeführt wird, muss unbedingt und zwingend auf einem 21. liegen. Der Monat ist da völlig egal. Zum Wohl!