Von Jürgen Heimann
Tun wir unserer Leber mal etwas Gutes und gönnen ihr eine kleine Verschnaufpause. Denn sie hat es mit unsereins ja nicht immer leicht. Deshalb gibt es jeweils am 20. November eines jeden Jahres (ausnahmsweise) auch nur Mineralwasser und/oder Saft zu trinken. Keinen Alk. Der neunte Tag nach dem offiziellen Karnevalsbeginn ist nämlich als „Deutscher Lebertag“ gesetzt und liefert den passenden Rahmen für diese asketische Selbstbeschränkung. Er war 1999 von der Deutschen Gastronomen-Liga – nee, stop, „Gastro-Liga“ hieß die – ins Leben gerufen worden und wird seitdem bundesweit begangen – ohne dass es jemand merkt. Das war auch diesmal nicht anders. Und jetzt? Geht’s natürlich weiter wie gehabt. Der Aktionstag ist nun nicht unbedingt als Feiertag für passionierte Druckbetanker ausgelegt, bedeutet andererseits aber auch nicht, dass Turniertrinker zwingend im Büßergewand in die Kneipe gehen müssen. Er dient dem Zweck, die Bevölkerung über Ursachen, Verlauf, Therapie und Vermeidung von Lebererkrankungen zu informieren.
Die Leber ist das wichtigste menschliche Stoffwechselorgan. Bei schätzungsweise fünf Millionen Deutschen soll das keilförmige und im Normalfall zwischen 1500 und 2000 Gramm schwere Etwas, dessen größter Teil sich in ihrem rechten Oberbauch austobt, jedoch nicht besonders gut drauf sein. Und das liegt weniger daran, dass ihnen da eventuell eine Laus drüber gelaufen ist, die dann möglicherweise anschließend einen sitzen hatte. Frisch von der Leber weg sei deshalb gesagt: Bei mehr als der Hälfte aller Lebererkrankungen ist oder war übermäßiger und chronischer Alkoholgenuss/-missbrauch mit im feucht-fröhlichen Spiel. Das endet dann im schlimmsten Fall auf dem Friedhof, wie dem St. Oliver Cemetery unweit von Cork. Das liegt in Irland. Dorthin hat es Rory Gallagher final verschlagen, einen der besten Blues-Gitarristen der Welt. Er könnte ein Lied davon singen, wenn er noch singen könnte. Tut er aber nicht. Hat er jedoch, 1974: „Too much Alcohol“. Geiler Song. Aber der Text ist ziemlich wirr und lässt gewisse Rückschlüsse auf den Durst des Klampfe spielenden Lyrikers zu.
Der trinkfreudige Ire starb 47-jährig am 14. Juni 1995 an den Folgen einer Lebertransplantation. Seine alte, also die Leber, nicht die Transplantation, hatte, weil überbeansprucht, schlapp gemacht. Und das Ersatzteil war nicht kompatibel. “In memorian“ haben sie jetzt sogar eine Guinness-Marke nach ihm benannt. Gallagher hatte sich, während die Kollegen alle möglichen Drogen reinzogen, immer tapfer an einem Glas Bier/Whisky festgehalten. Was ihm letztlich aber auch nichts nutzte. R.I.P.!
Vielen ist ihre beleidigte Leber völlig wurscht
Bis zum Beweis des Gegenteils gilt für die Hinterbliebenen weltweit deshalb nach wie vor: Zwischen Leber und Milz passt immer noch ein Pils. Getreu der Devise “alles Gute kommt vom Ober” geben sich Millionen deutscher Michel und Michelinen täglich die Kanne. Und sprechen dann, wenn zu viel Wodka dabei war, am nächsten Morgen nach dem Aufwachen mit russischem Akzent. Ihnen ist ihre beleidigte Leber völlig wurscht. Sie möchten diese am liebsten irgendwann einmal an der Biegung der Theke begraben sehen. Was oft schneller der Fall sein kann als erwartet. Der Preis für ihren unsoliden Lebenswandel ist nämlich heiß – und hoch. Im Vergleich zu Vertretern aus dem Trockendock werden notorische Schluckspechte nämlich mitunter nur halb so alt. Dafür sehen sie Zeit ihres Lebens aber vieles doppelt. Wollen freilich nicht an die damit verbundenen Risiken erinnert werden. Nachdem mein Nachbar in der Zeitung von den schlimmen Folgen des Trinkens gelesen hatte, hat er es aufgegeben. Das Lesen. Obwohl er weiß, dass jemand, der regelmäßig weiße Mäuse und Ratten sieht, deshalb noch lange kein Naturforscher ist.
Zwischen Friedrich Nietzsche und Udo Lindenberg
Die Meinungen und Ansichten gehen diesbezüglich auseinander. Während Friedrich Nietzsche einmal behauptet hat, durch Alkohol entwickle sich der Mensch auf jene Stufe zurück, die er eigentlich überwunden zu haben glaubte, erkannte Thomas Christian Dahme, es gäbe keinen Grund, Alkohol zu trinken, wohl aber stets einen Anlass. Von Udo Lindenberg stammt die Aussage, der zufolge Realität nur eine Illusion ist, die sich aus Mangel an Alkohol einstellt. Winston Churchill sah es unter psychologischen Aspekten: “Man soll dem Leib etwas Gutes bieten, damit die Seele Lust hat, darin zu wohnen”. Dennoch gilt, was der olle Goethe einst rausgehauen hat: “Kein Genuss ist vorübergehend, denn der Eindruck, den er hinterlässt, ist bleibend”.
Doch die Teutonen halten es da lieber mit Wilhelm Busch: “Das Trinkgefäß, sobald es leer, macht keine rechte Freude mehr”. Mit einem jährlichen Pro-Kopf-Verbrauch von 10,6 Liter reinen Alkohols liegen die modernen Germanen knapp über dem EU-Durchschnitt. Die Esten, die Schluchtenscheißer, Franzmänner, Iren, Tschechen, Luxemburger, Ungarn und Iwans sind ihnen da aber stets einen Drink oder zwei voraus, wie eine Statistik der OECD belegt. Sie alle legen ihr Geld vorzugsweise in Feuerwasser an. Wo sonst gibt es 40 Prozent und mehr? Nichtsdestotrotz: Neuneinhalb Millionen Bundesbürger saufen überdurchschnittlich viel und prosten im roten und als riskant geltenden Bereich. Obwohl sie doch wissen, dass steter Tropfen die Leber höhlt. Die Frage, wie lange sie trinken müssten, um auf 0,8 Promille zu kommen, ist schnell beantwortet: Erst einmal zwei Tage gar nicht.
Viele weibliche Hormone im Bier
Als problematisch gilt, wenn Frauen täglich mehr als ein Glas Bier (0,3 Liter) bzw. mehr als ein Glas Wein (0,1) schlucken. Für die Herren der Schöpfung gilt der doppelte Grenzwert. Da hat sich der liebe Gott bestimmt etwas dabei gedacht. Apropos Frauen: Wissenschaftler haben festgestellt, dass der Anteil weiblicher Hormone im Bier doch größer ist als bisher angenommen. Wer zu viel davon intus hat, kann nämlich nicht mehr Auto fahren und redet viel dummes Zeug.
Jeder Bundesbürger kippt im statistischen Mittel pro Jahr hundert Liter Gersten- sowie über 20 Liter gegorenen Rebensaft. Hinzu kommen dann noch mehrere Liter Sekt und Spirituosen. Und dann heißt es mitunter auch schon mal: “Wo früher eine Leber war, ist heute eine Minibar!” Nun wächst die bekanntlich mit ihren Aufgaben, also die Leber, nicht die Minibar. Das hat Dr. Eckart von Hirschhausen festgestellt. Der Mann ist Kabarettist, von Hause aus aber auch Mediziner. Aber kein Internist. Das sind jene Weißkittel, die einen Leberkranken auf Herz und Nieren untersuchen und dann bei manchem Patienten eine Organverschiebung diagnostizieren. Weil deren Leber im Arsch ist. Dr. Hirschhausen hat übrigens mit “magna cum laude” promoviert, und zwar über die “Wirksamkeit einer intravenösen Immunglobulintherapie in der hyperdynamen Phase der Endotoxinämie beim Schwein”. Alles klar? Das aber nur nebenbei.
Malochen in der Hochleistungsfabrik
Die Leber ist eine Art Hochleistungsfabrik, in der ziemlich krasse Akkordvorgaben gelten. Sie sammelt Nährstoffe im Körper, filtert gefährliche Gifte aus dem Blut und produziert Galle für die Verdauung. Auch für den Hormonhaushalt ist sie zuständig. Werden dem Multifunktionstool jedoch mehr Gifte zugeführt als es verarbeiten kann, beeinträchtigt das seine Funktion. Die Folge ist eine Art Burnout. Und dann geht es bergab, mit der Leber und ihrem Besitzer. Ohne dass der es zunächst merkt. Und wenn er das tut, kann es, weil die Schäden in diesem fortgeschrittenen Stadium irreversibel sind, zu spät sein.
Permanente Müdigkeit, Abgeschlagenheit, Appetitlosigkeit, Völlegefühl, Blähungen und ein Druckgefühl im rechten Oberbauch können auf eine Fettleber hindeuten. Als untrügliche Signale für eine auch als Schrumpfleber bezeichnete Leberzirrhose gelten Leistungsminderung, Konzentrationsschwäche und Müdigkeit. Diese Symptome zeigt mein Arbeitskollege ebenfalls. Dabei ist er strikter Abstinenzler.
Rendezvous mit dem Gilb
Weitere Merkmale, die auf eine Leberschädigung hinweisen, sind Hautzeichen, die sich unter anderem durch rot gefärbte Kleinfingerballen und/oder durch spinnen- bzw. sternförmig nach außen hin verlaufende Stecknadelkopf große Gefäßknötchen im Gesicht und am Körper bemerkbar machen. Die ursprüngliche Annahme, es handele sich bei der Gesichtskosmetik des Büro-Gegenübers um geschmacklose Tattoos oder die Bremsspur eines verunglückten Kayalstiftes, war also wohl doch falsch.
Aber auch wer als wandelnder Gilb daherkommt, könnte entsprechende Probleme haben. In Frankreich war das früher die Regel. Dort waren Yellow-Scheinwerfer an Autos die Norm. Heute sind sie nur noch bei alten Karossen zulässig. Nun gilt Gelb ja als Signalfarbe, die einen Zwischenzustand an- und aufzeigt, eine Vorstufe der Warnung. Im Islam hingegen wird Gelb als Farbe der Erleuchtung angesehen. Obwohl die rechtgläubigen Muselman(n)en doch gar nicht saufen dürfen. Ja was denn nun?
Ersatzteile sind ziemlich rar
Eine gelblich gefärbte Haut oder gelbe Augen deuten darauf hin, dass da irgendetwas aus dem Ruder gelaufen ist. Ein Bluttest verschafft Gewissheit. Kostet 30 Euro, ist aber in erwiesenen Verdachtsfällen gratis. Und wenn die sich bestätigen, ist es eh egal. Für die, die es gar nicht erwarten können: Die Deutsche Leberhilfe bietet einen anonymen Online-Test an. Ein paar Fragen beantworten, und man weiß nach noch nicht einmal zwei Minuten, was seine Leber geschlagen hat. Hab’ ich einmal gemacht, nie wieder! Trotzdem mal bei Google nachgefragt, was ich mir denn bitteschön unter einem Gastroenterologen vorzustellen hätte. Das ist wohl jetzt doch keine Fachkraft aus dem Hotel- und Gaststättengewerbe.
Auf ein Ersatzteil kann und darf man/frau sich, siehe oben, in solchen prekären Situationen auch nicht immer verlassen. Ganz davon abgesehen, dass viel zu wenig Spenderorgane zur Verfügung stehen. Zwischen Angebot und Nachfrage klafft eine erhebliche Lücke. 2016 wurden in Deutschland 888 Lebertransplantationen vorgenommen. 1.284 Patienten kamen neu auf die Warteliste. Die weltweit erste erfolgreiche OP dieser Art war 1967 in Pittsburgh, Pennsylvania vorgenommen worden. Zwei Jahre später knüpften deutsche Mediziner an der Uniklinik in Bonn daran an.
Risiken aus Keller, Küche und Arzneischrank
Der Schnaps, den ja angeblich der Teufel gemacht hat, soll für vieles verantwortlich sein. Aber daneben gibt es auch noch weitere Auslöser für entsprechende Organ-Schädigungen. Hepatitis-Viren beispielsweise, Übergewicht, Stoffwechsel- und Autoimmunkrankheiten. Inzwischen unterscheidet man rund hundert verschiedene hepatische Krankheitsbilder. Aber im finalen Ergebnis bleibt es sich sowieso egal, ob der Betroffene nun an einer Fettleber, an Leberzirrhose oder Leberkrebs krepiert.
Auch organische Lösungsmittel, die häufig in Farben, Spezialreinigern, Fleckenentfernungsmitteln sowie in Kunst- und Klebstoffen verwendet werden, können dem Hepar eins auswischen, ebenso Pestizide und Schwermetalle. Vorsicht ist auch bei schimmeligen Lebensmitteln geboten. Nicht zu vergessen der Inhalt des Arzneischrankes. Bestimmte Medikamente, vor allem solche gegen Schmerzen und Rheuma sowie Schlaf- und Beruhigungspillen, können, über einen längeren Zeitraum “genossen”, dahingehend fatale Auswirkungen zeitigen. Besonders schädlich ist auch die Kombination aus Alkohol, fettreichem Essen und Bewegungsmangel. Das hatten die in besagtem Online-Test auch so gesehen.
Was wir von Prometheus lernen können
Die Regenerationsfähigkeit der Leber ist im Vergleich zu anderen Organen des Körpers relativ ausgeprägt. Stirbt ein Teil ab, wird sie verletzt oder sonst beschädigt, kann das betroffene Gewebe wieder neu gebildet werden. Voraussetzung ist, dass weniger als fünfzig Prozent der funktionellen Masse des Organs geschädigt wurden. Doch die meisten Akut-Patienten haben dieses Stadium längst hinter sich gelassen. Über diese Diagnose tröstet dann auch nicht die Story von Prometheus hinweg. Der Knabe war der griechischen Mythologie zufolge ja an einem Felsen festgeschmiedet worden. Als Strafe dafür, dass er den Menschen das Feuer gebracht hatte. Ein Adler flatterte seitdem jeden Morgen pünktlich zum Frühstück vorbei und hackte dem armen Kerl ein Stück der Leber heraus. Was diesen aber nicht sonderlich beeindruckte, da die Teile bis zum nächsten Tag nachwuchsen. Das waren noch Zeiten!