Von Jürgen Heimann
Deutschland, Europa und die Welt erinnern sich an das Kriegsende vor 70 Jahren. Und das gilt auch für das kleine Bergdorf Hirzenhain im Nordosten des Lahn-Dill-Kreises. Und die Menschen hier erinnern sich mit Entsetzen auch noch an etwas ganz anderes. Einige Wochen bevor das Tausendjährige Reich endgültig geplatzt und am Abend des 8. Mai die bedingungslose in Reims unterzeichnete Kapitulation Nazi-Germanys in Kraft getreten war, hatte sich am Himmel des heutigen Eschenburger Ortsteils ein Drama abgespielt, an das Zeitzeugen noch heute mit empörtem Grausen zurückdenken. Drei US-amerikanische Jagdpiloten hatten am Vormittag des 21. März 1945 einen jungen deutschen Flugzeugführer, der sich durch Notabsprung aus seiner brennenden Maschine gerettet hatte, in die Zange und mit ihren Bordwaffen unter Feuer genommen. Während er noch mit dem Fallschirm zu Boden schwebte, trafen ihn die tödlichen Geschosse.Mit 92 Toten und Vermissten an den diversen Fronten musste auch Hirzenhain einen hohen Blutzoll entrichten. Aber der Ort selbst war von den Wirren und Schrecken des großen Krieges allenfalls gestreift, wenn nicht gar komplett verschont worden. Die Schlachten, Martial-Exzesse und Scharmützel, die großen wie die kleinen und lokal begrenzten, fanden woanders statt, teils sogar in unmittelbarer Nachbarschaft, aber nicht hier auf der Höhe. Eher schon in Haiger, in Niederscheld, in Medenbach Breitscheid, ja auch in Eibelshausen und Wissenbach und in Siegen. Dieser (damals jedoch keinesfalls beispiellose ) Akt feiger Brutalität war der erste und letzte unmittelbare Kontakt der Hirzenhainer mit den Schrecken waffenklirrender Sinnlosigkeit. Viele Dorfbewohner mussten aus unmittelbarer Nähe mit ansehen, was Historiker in Folge ein veritables Kriegsverbrechen nannten. Wenngleich: Die Definition war seinerzeit und in diesem Fall noch gar nicht so eindeutig möglich. Erst 1949, also vier Jahre später, wurden gezielte Angriffe auf Menschen an einem Rettungsschirm in einem Zusatzprotokoll zu Artikel 42 der Genfer Konvention 1949 explizit geächtet.
Keiner kannte ihn, aber alle kamen zur Beerdigung
Name des Opfers: Willi Ehrecke. Der Mann wurde 21 Jahre alt. Fünf Wochen vorher hatte er noch Geburtstag feiern können. Keiner kannte ihn, aber das ganze Dorf war auf den Beinen, um dem Toten, als er vier Tage später auf dem hiesigen Friedhof beerdigt wurde, die letzte Ehre zu erweisen. Seine Leiche war zuvor in der hiesigen Kirche aufgebahrt worden. Just während der Trauer-Zeremonie zog ein alliierter Bomberpulk in großer Höhe über der Ruhestätte vorbei. Angehörige einer Wehrmachts-Ehrengarde, die am Grab Aufstellung bezogen hatte, feuerten mit ihren Karabinern in den Himmel, was die Kampfpiloten dort oben natürlich nicht sonderlich beeindruckte, so sie es überhaupt wahrgenommen hatten. Aber das war, im Nachhinein betrachtet, gar nicht ungefährlich. In Afghanistan sind in der Neuzeit – unter umgekehrten Vorzeichen – schon ganze Hochzeitsgesellschaften durch Kampfhubschrauber und B-52-Bomber ausgelöscht worden, weil Gäste Freudeschüsse in die Luft abgegeben hatten und irgendwer sich dadurch provoziert (oder bedroht) fühlte: http://www.spiegel.de/politik/ausland/luftangriff-usa-beschiessen-afghanische-hochzeitsgesellschaft-a-203478.html
Das Grab des Piloten gleich am Eingang des Friedhofes, nur wenige Meter von der ersten Pforte entfernt, ist heute noch erhalten und wird von einer Hirzenhainer Einwohnerin gepflegt. Ein Dillenburger Geschäftsmann spendete Mitte der 90er Jahre tausend Mark, damit die mehr und mehr zerfallene Ruhestätte wieder in einen ordentlichen Zustand versetzt werden konnte. Jährlich am Volkstrauertag stellen Vertreter der Gemeinde und des VdK hier eine Blumenschale ab.
Die feige Tat wurde nie gesühnt
Gesühnt werden konnte die furchtbare Tat, die jedweden Vorstellungen vermeintlicher Ritterlichkeit unter Fliegern Hohn sprach, nie. Bekannt ist nur, dass die amerikanischen Thunderbolt-Flugzeuge zur 9. Luftflotte der US Army Air-Force gehörten. Die 404th Fightergroup hatte an diesem Tag Angriffe gegen Eisenbahnwagen zwischen Sechshelden und Haiger geflogen und das Haigerer Bahngelände mit Bomben eingedeckt. Dabei wurde der Bahnhof zerstört. Acht P-47 der 53th Sqadron der 36th Fightergroup griffen hinter Driedorf in Richtung Herborn einen Wehrmachtstransportzug an und zerstörten dabei eine Lok. Auf der Straße von Münchhausen nach Seilhofen attackierte dieselbe Einheit drei Lastwagen, während auch ein Haus in der Altstadt von Herborn zahlreiche Treffer abbekam. Die Verwüstungen waren so erheblich, dass die in dem Gebäude untergebrachte Post in die Aula der Hohen Schule verlegt werden musste. Diese Informationen entstammen dem vom „Arbeitskreis Luftkrieg“ des Herborner Geschichtsvereins herausgegebenen Buch „Der Luftkrieg im Dillgebiet“, der umfassendsten Dokumentation dessen, was sich zwischen 1939 und 1945 am Himmel unserer Region (und darunter) ereignet hat.
Doch die Erkenntnisse und Forschungsergebnisse waren zu dürftig, um jene, die Willi Ehricke auf dem Gewissen haben, im Nachhinein zu ermitteln und zur Rechenschaft zu ziehen. Möglicherweise wollte man das ja auch gar nicht. Vielleicht war es die Rache aufgepeitschter junger amerikanischer Jagdpiloten für die sogenannten „Fliegermorde“, die es bis dahin wiederholt im Reichsgebiet gegeben hatte. Abgestürzte bzw. abgeschossene alliierte Flugzeugbesatzungen wurden immer wieder von einem entfesselten Mob gelyncht, ohne dass die Behörden einschritten. Über 300 Fälle sind dokumentiert. Aber das eine entschuldigt das andere natürlich nicht. Mehr als 150 Todesurteile wurden in Folge bei den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen gegen die dafür Verantwortlichen gefällt.
http://de.wikipedia.org/wiki/Fliegermorde
Willi Ehrecke, eigentlich noch ein unerfahrenes Jüngelchen und alles andere als eine große Nummer unter den deutschen Jagdfliegern, war freilich nicht der Einzige, der sein Leben, nachdem abgesprungen, noch am Fallschirm hängend aushauchte. So wie ihm war es zuvor vielen Dutzenden deutschen Flugzeugführern ergangen, darunter hoch-dekorierten Fliegerassen wie beispielsweise Rudolf Ehrenberger (am 8. März 1944) und Franz Barten (4. August.1944). Aber letztere waren da nur die Spitze des mörderischen Eisbergs. Vornehmlich hatte es die Amerikaner aber auf die Piloten von Düsenflugzeugen abgesehen, die und deren Maschinen sie offenbar mehr als alles andere fürchten. Getreu der Devise: Ein toter deutscher Jet-Pilot kann uns nicht mehr gefährlich werden. So zu verfahren, soll auch Gegenstand eines inoffiziellen, internen Befehls gewesen sein. Aber das konnte nie verifiziert werden.
Schwere Luftkämpfe über Manderbach
Was den unfassbaren Vorfall, abgesehen von seiner Tragik, für die Hirzenhainer und Eibelshäuser so außergewöhnlich, um nicht zu sagen, sensationell machte, war auch, dass sie noch nie zuvor einen leibhaftigen Düsenjäger zu Gesicht bekommen hatten. Und genau mit einem solchen, als „Wunderwaffe“ gepriesenen, strahlgetriebenen Stahlvogel war Ehrecke an seinem Todestag unterwegs gewesen. Gemeinsam mit fünf weiteren Jet-Me’s, die zur 1. Staffel der I. Gruppe des bei Giebelstadt in der Nähe von Würzburg stationierten Kampfgeschwaders K 54 gehörten, war er in 3000 Metern Höhe über Manderbach/Frohnhausen in Luftkämpfe verwickelt worden. Ihnen gegenüber zehn bis zwölf P-47-Begleitjäger eines Bomberpulks, der es vermutlich auf Kassel abgesehen hatte. (Jabos dieses Typs waren es auch, die zwei Tage später den Eschenburg-Turm in Brand schießen sollten). Ehreckes Flugzeug kassierte mindestens einen schweren Treffer und drehte, dichte Rauschschwaden hinter sich herziehend, nach Osten ab. Notausstieg unweit von Hirzenhain, und dann nahm das Schicksal seinen Lauf. Siehe oben.
Hirzenhainer Buben beobachten, wie sich der getroffene Pilot unter den Einschlägen zusammen krümmte. Dann hing er reglos in den Fangleinen. Eine Junge, der zufällig in der Nähe war, hatte die Gestalt in Höhe des den Hirzenhainern als „B-Kopf“ bekannten Geländestreifens am Eiershäuser Hang kurz vor dem Aufprall am Boden noch auffangen können, doch hier kam jede Hilfe zu spät. Willi Ehrecke war vermutlich innerlich verblutet. In den Taschen des toten Unteroffiziers (Erkennungsmarken-Nummer 67412/419) fand man neben einem Zigarettenetui und einem leeren Notizbuch einen Trauring und einen Siegelring aus Edelstahl, beide mit den Initialen „W.H“. Was den Schluss nahelegt, dass er zumindest verlobt war. Doch den Namen einer etwaigen Ehefrau fand in der Korrespondenz zwischen Mitgliedern des Arbeitskreises Luftkrieg des Herborner Geschichtsvereins und Ehreckes bei Mageburg lebender Schwester nie Erwähnung. Der Eiershäuser Sepp Prosch hatte letztere vor Jahrzehnten einmal aufgesucht und von ihr für eine Dokumentation zahlreiche Fotos des Bruders erhalten. Dieter Hild, einer der führenden Herborner Luftkriegsforscher, hat das Vorkommnis akribisch recherchiert und konnte somit auch das persönliche Umfeld und die Laufbahn des toten, aus dem Brandenburgischen Breitenfeld (Altmark) stammenden Piloten aufzeigen. Hild gelang es auch, das größte Wrackteil des verunglückten Düsenjägers, eine Radnabe des Hauptfahrwerks, für die Sammlung im Herborner Museum zu sichern.
Absturzstelle heute noch zu erkennen
Die führerlose, brennende Me 262 war nach dem Ausstieg des Piloten in Richtung Roth getrudelt und unter lautem Getöse in einer Fichtenschonung im Eibelshäuser Gemarkungsteil „An der Burg“ unweit des Geländepunktes, den die Ortsansässigen „Eierbank“ nennen, zerschellt. Der Punkt markiert zugleich die höchste Stelle des heute hier vorbei führenden Natur-Erlebnispfades. An einer Mulde im Erdreich ist die Absturzstelle heute noch gut zu erkennen. Sie wurde in Folge zum Anlaufpunkt ungezählter Sammler und Souvenirjäger. Noch Jahrzehnte nach dem Crash wurden Teile gefunden.
Die Me 262 galt als das fortschrittlichste Flugzeug ihrer Zeit, überforderte aber viele Piloten, die in den letzten Tagen nach einer eher oberflächlichen Hauruck-Ausbildung in und mit ihr verheizt wurden. Eine,, wie viele sagten, geniale Konstruktion, die aber noch sehr unter Kinderkrankheiten litt. Insgesamt waren 1433 Stück dieses Typs gebaut worden, aber meist galten allenfalls hundert, eher weniger, als voll einsatztauglich. In den Museen dieser Welt stehen noch einige Original-Exemplare, so auch im Deutschen Museum in München. Inzwischen gibt es auch etliche flugfähige Nachbauten, bezeichnenderweise aus US-amerikanischer Produktion. Die USA hatten sich nach dem Krieg zahlreiche Muster als Beutestücke gesichert und profitierten in Folge immens von der innovativen Technik. Darauf gründet zu wesentlichen Teilen auch der exponierte Stand ihres eigenen Flugzeugbaus heute. Weitere Infos zur Me 262 hier: http://de.wikipedia.org/wiki/Messerschmitt_Me_262
Die „Warbirds“ als tödliche Bedrohung
Die Messerschmitt-Stiftung in Manching ist stolzer Eigner eines der in Everett/US-Bundesstaat Washington gefertigten „Remakes“. Die Maschine ist, egal auf welcher Airshow sie auftaucht, der unangefochtene Star. So faszinierend ihr Anblick auch sein mag, man sollte nie vergessen, wofür sie ursprünglich eigentlich konstruiert wurde: nämlich um zu töten und zu zerstören. Und das gilt auch für ihre (meist noch kolbenmotorgetriebenen) Konkurrenten auf der anderen, gegnerischen Seite des Himmels. All die „Mustangs“ (P-51), „Thunderboldts“ (P-47), „Lightnings“ (P-38) und wie immer sie auch hießen/heißen: Heute erfreuen wir uns an ihnen, wenn sie sie in friedlicher Mission über unsere Köpfe hinwegbrettern. Für die Generation unserer Eltern und Großeltern stellten diese „Warbirds“ aber eine ganz reale Bedrohung, Todesgefahr inklusive, dar. Viele von ihnen haben das am eigenen Leibe erfahren, oder es kostete sie gleich das Leben. Das sollte man vielleicht auch immer etwas im Hinterkopf behalten.