Rotorman's Blog

Plakative Duftmarken, oder wenn
rostige Reißzwecken reden könnten

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Zwischen Partybeats und Adrenalin: Anachronismus im von Facebook und Twitter dominierten Web-Zeitalter. Plakative Info-Boards wie dieses trotzen dem Zeitgeist und sind unverzichtbarer Bestandteil der dörflichen Struktur.

Die hölzerne Türe, was immer sich hinter ihr verbergen mag, ist (ziemlich) verwittert. Der Lack ist ab. Und wo nicht, da blättert er. Der aus erodierten Reißzwecken und Fix-Klammern resultierende Metallanteil der Pforte ist mindestens ebenso hoch wie der des hölzernen Grundmaterials selbst. Rostige Scharnierblätter halten das Teil beisammen und aufrecht. Generationen haben hier ihre plakativen Duftmarken hinterlassen und tun es bis heute. Privatleute, Vereinsvorständler, Parteien, Kirchengruppen, Händler und Gewerbetreibende. Es sind Nachrichten, Ankündigungen und Verheißungen von und zwischen vorvorgestern, heute und morgen – ganz frisch noch, oder von Sonne, Wind und Regen verwittert und gebleicht, mit etwas Phantasie aber gerade noch zu erkennen. Papierene Fetzen, die im Wind flattern, vergilbte Schnipsel, die, aus heutiger Sicht, von verpassten Chancen und tollen Events in der Region künden. Von Märkten, Burschenschafts-Abenden, Konzerten, VHS-Kursen und Weight-Watcher-Diäten.
Der Gesangverein lädt zum Grillfest, die Feuerwehr fährt (wieder einmal) zur Brauereibesichtigung nach Krombach (da können sich auch trinkfeste Nicht-Mitglieder anschließen). Der Vogelschutzverein unternimmt eine Zwitscher-Wanderung, was generell auch wörtlich zu nehmen ist, während die Landfrauen einen Bus für einen Ausflug zur Beauty-Messe „Botox“ nach Castrop-Rauxel gechartert haben. Und DJ Hörsturz freut sich auf viele Gäste bei der Monats-Disco im Gasthaus „Dämmerschuppen“. Es gibt auch eine Laser-Show…. Aber die Konkurrenz schläft auch nicht. Bauerndisco mit DJ Gülle-Hülle im Nachbardorf, Second-Hand-Basar für Mettwürste aus der Freibank mit abgelaufenem Haltbarkeitsdatum im CVJM-Vereinsheim und, und, und…
Die Formate der Aushänge sind so unterschiedlich wie die Anlässe und bewegen sich irgendwo zwischen Handezettelgröße und DIN-A-1. Grellbunt, Hochglanz oder Seidenmatt, mehr oder weniger professionell gestaltet, lustig, phantasievoll, trocken, verkrampft oder von kindlicher Naivität zeugend. Das volle Programm. In Schwarz-Weiß gehalten, im Copyshop vervielfältigt oder auf dem heimischen Tintenstrahler ausgedruckt. Das Schriftbild, von ein paar Regentropfen benetzt, zeigt hier und da bereits Auflösungserscheinungen und verläuft. Kreative und dilettantische Layouter halten sich auf engstem Raum an den Händen.

Eigentlich ein Anachronismus

Solche Stellen gibt es nahezu in jedem Dorf. Meist an zentralen Punkten mit entsprechendem  Publikumsverkehr. Unweit einer Pommes-Bude vielleicht. Wie in Hirzenhain. Aber der Name des Ortes ist austauschbar, das System nicht. Während man/frau an der Currywurst lutscht, lässt sich angesichts der bunt und grell gestalteten Verlockungen an der Plakatwand vis-a-vis das nächste Wochenende schon planen, oder das übernächste. Es sind die Litfaßsäulen des flachen, platten  (aber auch mal bergigen) Landes, interaktive Inseln der Kommunikation in der Provinz. Multimedia-Plattformen, ohne Multi aber mit viel Media – oder halt umgekehrt. Im von Facebook und Twitter geprägten Internet-Zeitalter eigentlich ein Anachronismus. Entscheidender Vorteil: Man muss nicht lange fragen, sondern darf per se das Einverständnis des Eigentümers voraus setzen, hier plakatieren zu können. Das ist bei entsprechenden Aushängen in Geschäften ja anders.

Aber solche Punkte sind auch Austragungsorte gnadenloser Konkurrenzkämpfe. Hier gilt das Gesetz des Stärkeren, hier herrscht Anarchie.  Anders als bei kommerziell genutzten und betriebenen  Werbeflächen, wo immerhin einige, das einträgliche Neben- und Miteinander garantierende Grundregeln gelten, macht hier jeder was er will. Da werden schon mal, vielleicht im Schutz der Dunkelheit und nach dem Motto „Hoppla, jetzt komm‘ ich“, andere Plakate einfach überklebt oder heruntergerissen, um Platz für das eigene zu schaffen. Spricht jetzt nicht gerade für die Veranstalter und ihre Drücker-Kolonnen, ist aber nun mal leider so.

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Tanzen auf ganz vielen Hochzeiten: Rostige und verblichene Zeugen einer ereignisreichen Vergangenheit.

Die Tür, Hintergrund tausender und abertausender Anschläge, hat schon viel erlebt. Sie sah Stars aufsteigen und verlöschen, kommen und gehen. Prominente und weniger prominente Namen pappten an ihr. Einige sind immer noch aktuell und in aller bzw. vieler Munde, andere längst in der Versenkung des Vergessens ertrunken. Das gilt auch für die Headbanger  aus dem Lager der kleinen und großen Politik, solche mit regionaler Reputation, andere von und mit internationaler Strahlkraft. Hier hingen im Bundestagswahlkampf 1972 schon die Konterfeis von SPD-Kanzler-Ikone Willy Brandt und seines blassen-schmierigen Herausforderers Rainer Barzel mehr oder weniger einträchtig nebeneinander. Vier Jahre zuvor hatte ein Plakat für die erste Ausgabe der Fernsehsendung „Starparade“ in der Siegerlandhalle Reklame gemacht. Moderator war ein gewisser Rainer Holbe, und mit dem Bekanntheitsgrad von James Last, der in der Krönchenstadt seinen ersten TV-Auftritt absolvieren sollte, war es damals auch noch nicht so weit her.

Zwischen Rory Gallagher und dem Whisky-Bill

Gitarren-Gott Rory Gallagher, der sich einst  herabließ, auf dem Motodrom bei Haiger-Allendorf in die Saiten zu langen und der ja leider viel zu früh das Zeitliche gesegnet hat, durfte in diesem erlauchten Kreis auch nicht fehlen. (Das Plakat habe ich mir übrigens rechtzeitig  unter den Nagel gerissen und gesichert). Aber das war 16 Jahre später, anno 1984. 132 Monde zuvor hatten in der Flughalle am Eiershäuser Hang die Mehrnsteiner Musikanten aus Tirol zum 50-jährigen Jubiläum des Segelfliegerclubs aufgespielt und sollten es in den vielen Jahren danach bis zum Überdruss noch gefühlte weitere 30 Male tun. Und als der legendäre Whisky-Bill noch in Saft und Blüte stand, auch an dieser Stelle erfuhr das Party-Volk, welches Saturday Night Fever als nächstes angesagt war.
Anfang der 80-er hatte sich Jennifer Rush („Power of Love“) ins obere Dietzhölztal verirrt, um in der Mehrzweckhalle von Rittershausen mit Hammer-Stimme und rassigem, natürlichem und spät-jugendlichem Charme zu punkten. Auch an dieses Plakat erinnere ich mich noch. Heute, nach unzähligen Schönheits-OP’s, sieht die Ex-Künstlern aus, als hätte der bekiffte Maskenbildner der Muppets-Show bei ihr halbherzig eine verlorene Wette eingelöst. Der Herborner Hessentag 1986 prangte in plakativer Form natürlich ebenfalls an dieser Pforte. Und mit wem und wo sich wild herumkickende, abgehalfterte Traditions-Elfen diverser Bundesliga-Clubs in ihrem verblassenden Glanz  hierzulande auch immer messen wollten, es stand hier geschrieben – und mutierte zum sportlichen Mega-Event.

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Könnten all diese Reißwecken und Heftklammern reden…

Und so stehen bzw. haften all die verrosteten Reißnägel und –stiften, die nur noch zu erahnenden Tesafilm-Reste und die mit Grünspan überzogenen Heftklammern als Platzhalter kleinerer und größerer Ereignisse der lokalen und der eigenen Historie. Sie alle könnten eine eigene, durchaus spannende Geschichte erzählen. Es sind elegische Wegmarken und rudimentäre Überbleibsel einer vergangenen Zeit, aus selbiger gefallen, angereichert mit Erinnerungen und erfüllt von Versprechen der nahen Zukunft. Derzeit im thematisch kontrastreichen Angebot: das Benefiz-Tandemspringen der Breitscheider Fallschirmsportler  zu Pfingsten  und die You FM-Partybeats am 18. Juni in Dautphetal.

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