Rotorman's Blog

Rote Slips, Panda-Booster und Wotans
üble Jungs zwischen den Wäscheleinen

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Aberglauben unter der Gürtellinie: Rote Slips in der Silvesternacht bringen Glück und die große Liebe. Davon sind viele in Italien und Brasilien überzeugt. An der Frage, ob man die Dinger anbehalten muss oder nicht, scheiden sich die Geister.

Von Jürgen Heimann

Dass die Griechen beim Silvester-Pokern jeweils einen dreistelligen Millionenbetrag verzocken, die Italiener (und Brasilianer) in dieser denkwürdigen Nacht rote Slips tragen, die Chinesinnen Mandarinen ins Meer werfen und Butler James zum gefühlten zehntausendsten Male über den ausgestopften Tigerkopf stolpert, kann man jetzt nicht dem Heiligen Papa in die Designer-Schlappen schieben. Auch wenn der Todestag eines von Jorge Mario Bergoglios Vorgängern dem Kind den Namen gab und den willkommenen Anlass für die abenteuerlichsten Umtriebe liefert. 1681 Jahre nach dem Ableben von Papst Silvester I. am 31. Dezember 335  n. Chr. in Rom  lassen wir (und andere) es am letzten Tag des Jahres mächtiger krachen denn je. 133 Millionen Euro werden allein die Deutschen diesmal beim großen pyrotechnischen Rundumschlag in die Luft jagen. Aber der Bräuche und Traditionen, das alte Jahr zu verabschieden und das neue willkommen zu heißen, gibt es natürlich noch mehr. Und sie unterscheiden sich von Land zu Land.  

Von den Böllern und Raketen mal abgesehen, gehören, obwohl längst zu Staub zerfallen, Freddie Frinton und die von ihm so unnachahmlich umsorgte Miss Sophie (May Warden) einfach dazu. In vielen unserer Nachbarländern ebenfalls. Sei’s drum, dass sich in der Regel deutlich mehr als zwei Personen um die Party-Büffets diesseits der Glotze drängen, das televisionäre “Dinner for One” ist an Silvester Pflicht und Kult. Da kann man noch so hektisch durch die Kanäle zappen. Irgendwo säuft Butler James die Blumenvase garantiert auf Ex aus. The same procedure as every year! Aber erst müssen wir ja mal die Weihnachtsfeiertage mit Anstand hinter uns bringen. Aber dann..

Karpfen und Suppe: Für jede Linse eine Münze

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Die Deutschen lassen es krachen und werden zum Jahreswechsel für 133 Millionen Euro Böller, Kracher rund Raketen Zünden. Foto: Pixabay

Der Silvesterkarpfen verabschiedet sich in die ewigen Jagd- und Anglergründe. Eine Schuppe des soeben verspeisten Kois als Talisman in der Geldbörse soll deren Inhalt vermehren. Hopfen wir das Beste! Wenn der Karpfen Glück hat, gibt’s an diesem Abend stattdessen Fondue oder Raclette, aber kein Geflügel. Weil das Glück sonst weg fliegt. Nur die Rheinländer bilden da eine Ausnahme und fordern ihr Schicksal mit der Neujahrsgans förmlich heraus. Wahlweise steht auch Linsensuppe auf dem Speiseplan. Sie verheißt Geldsegen. Das glauben nicht nur wir, sondern auch die Tschechen (šťastný nový rok!) und die Amis. Zumindest letztere im Süden der Staaten. Für jede Linse eine Münze. Bei den Brasilianern ist da die Anzahl der Bohnen im klassischen Feijoada-Eintopf entscheidend.

Glücksbringer von Victoria’s Secret

Die Südamerikaner zielen, wie unsere sich ebenfalls ein “Felice anno nuovo” wünschenden Italo-Freunde als passionierte Dessous-Fetischisten auf den Bereich unterhalb der Gürtellinie. Es muss ja nicht gleich was von Victoria’s Secret sein. Aber rote Slips an Silvester getragen verheißen die große Liebe. Sich dieses Textilteils zu entledigen kann die Dinge mitunter auch wesentlich beschleunigen. An ihren Tangas sollt ihr sie erkennen. Da wird sofort sichtbar, mit welcher Landsmännin man(n) es zu tun hat. Bei weißer Unterwäsche liegt die Sache etwas anders. Sie lässt eher unverbindlich auf ein harmonisches neues Jahr hoffen. Das fängt im kalten Germanien schon mal beschissen an, wenn der Neujahrs-Berliner statt der erhofften Marmeladenfüllung Senf enthält. Was demjenigen, der reinbeißt, aber Glück verspricht. Apropos: Die Damen im Amazonas-Land huldigen an Silvester auch der Meeresgöttin Yemanja, werfen Blumen in die See und lassen kleine, mit Süßigkeiten gefüllte Schiffchen zu Wasser. Das soll die Fruchtbarkeit stärken und die Beziehung festigen.

Mit Speck fängt man Mäuse, mit Mandarinen (Ehe-)Männer

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Niemand kommt an ihnen vorbei: Butler James und Miss Sophie gehören zu Silvester wie Sekt und Pyrotechnik. Foto: Screenshot

Auch in Xi Jinpings gelben Riesenreich pflegen die Ladies eine besondere Tradition. Um potentielle Ehemänner anzulocken, werfen unverheiratete Chinesinnen jeweils Mandarinen ins offene Meer. Da scheint der Trick mit den Höschen doch der pragmatischere zu sein. Im Reich der Mitte pflegt man Silvester allerdings auch erst am Tag des ersten Vollmonds nach dem 21.Januar zu feiern. Eine Stunde vor Mitternacht werden alle Fenster geöffnet, damit das Glück ungehindert einziehen kann. Vor Beginn des Neujahrsfestes muss das Haus gründlich gesäubert und mit Bambuszweigen geschmückt werden –  um die bösen Geister vertreiben. Am Neujahrstag wäre ein solcher Frühjahrsputz kontraproduktiv, da man dann in Gefahr läuft, das Glück gleich mit hinaus zu kehren.

Jahrhunderte lang wurde der Jahresbeginn zu unterschiedlichen Zeiten gefeiert. Erst 1691 legte Papst Innozenz XII. den Neujahrsbeginn für das Abendland auf den ersten Januar fest. Die Ivans rechnen da anders und orientieren sich am Julianischen Kalender. Weihnachten feiern die Russen demzufolge erst in der Nacht zum 7. Januar, Neujahr ist bei ihnen am 13. Januar. Dann gibt’s viel Wodka, Borschtsch und Kutya. Bei letzterem handelt es sich um ein Porridge-ähnliches Gericht aus Weizen- und anderen Getreidekörnen, die für Hoffnung stehen, sowie Honig und Mohn, die Freude und Erfolg bescheren sollen.

Böse Geister auf der Kölner Domplatte

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Heißes Pflaster: Alles blickt nach Köln. Nach den Vorfällen im vergangenen Jahr sollen über 2000 Sicherheitskräfte rund um den Dom für Ordnung sorgen. Foto: Pixabay

Zurück ins Michel-Land: Neu ist, dass die Polizei in diesem Jahr eine Schutzzone um den Kölner Dom einrichten will. Das deutet darauf hin, dass die Sheriffs aus den Vorfällen der letzten Silvesternacht gelernt haben. Mit 1.500 Beamten zeigt die Trachtengruppe Präsenz. Hinzu kommen 600 Mitarbeiter vom Ordnungsamt und privaten Sicherheitsfirmen.  Düsseldorf verbietet das Zünden von Krachern in der Altstadt. Aber sonst und andernorts der übliche Wahnsinn und das volle Programm. Reden wir erst gar nicht von den guten Vorsätzen. Um deren Halbwertzeit ist es ja nicht so toll bestellt und sie haben sich meist schon am nächsten Tag von selbst erledigt. Die Sektkorken knallen mit den Panda-Boostern, XXL-Celebration-Crackern und Waco-Abschussrampen um die Wette. Mit dem Lärm, weniger aufwändig durch Schellen oder auch Peitschen erzeugt, hofften die Menschen früher Unglück und böse Geister vom neuen Jahr fern halten zu können. Dem gleichen Zweck diente in anderen Gegenden Deutschlands das “Neujahrsräuchern”. Beim Begehen der Wohn- und Arbeitsräume und gegebenenfalls Stallungen waberte gesegneter Weihrauch durch die Luft. Die Akteure trugen abschreckende Masken, um böse Geister zu vertreiben. Dafür brauchen viele von ihnen heute gar keine Masken mehr. Auch sind die Dämonen, die wir bekämpfen, ganz andere.

Heißes Blei und schicksalhafte Äpfel

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Am letzten Tag des Jahres keine (Reiz-)Wäsche zum Trocknen an die Leine Hängen. Wotan und Co wären „not amused“, wenn sie sich in den Leinen verfangen.

Eine andere Intention lag dem anno-batsch in Westfalen praktizierten “Neujahrshämmern” zu Grunde. Der Schmied und seine Gesellen versammelten sich am Amboss, um, klopf-klopf, wild entschlossen das alte Jahr mit Schlägen auszuhämmern. Der Brauch hat sich mit dem Aussterben dieses ehrbaren Handwerks erledigt. Und etwas Aberglaube darf auch sein. Deshalb lautet die Maxime: Bloß an diesem Tag keine Klamotten waschen! Deshalb, weil Wotan, der Toten- und Sturmgott, an Silvester mit seinem Teufelsheer die Gegend unsicher macht. Er wäre “not amused”, würden sich seine Spießgesellen in den Wäscheleinen verheddern. Während nicht wenige meinen, aus den mehr oder weniger abstrakten Figuren, die beim Bleigießen entstehen, auf künftige Entwicklungen schließen zu können, versuchen die Tschechen ihr Schicksal aus einem halbierten Apfel herauszulesen. Bilden die Kerne ein Kreuz, droht Unheil; in Sternform stehen sie für Glück.

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Perlwein und Glücksspiel. Die Griechen verzocken in der Silvesternacht jeweils einen dreistelligen Millionenbetrag. Und gute Vorsätze, wie beispielsweise der, das Rauchen aufzugeben, sind bei ihnen genauso wenig wert wie in anderen Teilen der der Welt. Fotos: Pixabay

Toasts wie “Prosit Neujahr” oder “Guten Rutsch” haben historische Wurzeln. “Prosit” entstammt dem Lateinischen und besagt so viel wie „Lass es gelingen“. Mit dem “guten Rutsch” hingegen ist nicht das erfolgreiche Schlittern in das neue Jahr gemeint. Der Spruch lässt sich von dem jiddischen Wort „Gut Rosch“ ableiten, was wiederum “Anfang” bedeutet. Demnach wünscht man sich nicht (nur) einen guten Übergang ins neue Jahr, sondern mehr noch einen guten Anfang und gutes Gelingen für geplante Vorhaben, welcher Natur sie auch sein mögen. Dass der Hausherr, weil Scherben ja angeblich Glück bringen, nach dem mitternächtlichen Countdown das ausgetrunkene Glas rückwärts über die Schulter gegen die Wand wirft, kommt heuer eher seltener vor. Oft fällt ihm der Kelch ja von alleine aus der Hand…..

Weintrauben, Ringe und trinkfeste Schotten

Die Dänen steigen wenige Sekunden vor Mitternacht auf einen Stuhl und springen von dort aus ins neue Jahr, während wir schon Stunden zuvor von einem solchen gefallen sind.  Die Spanier stellen sich der Herausforderung, um Punkt Mitternacht mit jedem Glockenschlag eine Weintraube zu verschlucken. Wer es nicht schafft, dem droht Ungemach im neuen Jahr. Próspero Año Nuevo! Dieser Brauch soll als Trinksportvariante demnächst olympische Disziplin werden. Statt mit Weintrauben wird der Wettstreit dann aber mit Schnaps ausgetragen. Im Silvestersekt der Spanier findet sich oft auch ein goldener Ring, der Glück bringen soll. Deshalb saufen die Toreros ihren Cava auch nicht auf Ex. Den trinkfesten Schotten ist der Perlwein zu dünn. Sie bevorzugen stärkeren Stoff und stoßen mit Hot Pint, einem Punsch aus Starkbier, Whisky und Eiern an.

Die Argentinier halten es stattdessen mit Biedermann und dem Brandstifter und zündeln lieber. Bei ihnen hat das Verbrennen des  „año viejo“ (auf Deutsch: “altes Jahr” Tradition. Das wird durch eine Papp-oder Stofffigur symbolisiert, die oft Politikern, berühmten Fußballspielern oder Zeichentrickfiguren aus Filmen verblüffend ähnlich sehen. Indem sie abgefackelt werden, hofft man, all das Schlechte des vorangegangenen Jahres hinter sich lassen zu können.

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Countdown: Die Toreros lassen es sportlich angehen. Punkt Mitternacht zu jedem Glockenschlag eine Traube. In einigen Teilen Deutschlands, in Tschechien und im Süden der USA ist dicke Supp‘ obligatorisch. Die verheißt Geldsegen Es gilt: Für jede Linse eine Münze. Und das Bleigießen ist ebenfalls nicht tot zu kriegen. Fotos: Pixabay/ Bundesumweltamt

Ein dem Traubenverspeisen vergleichbares Prinzip liegt dem griechischen Basiliusbrot-Essen zu Grunde. In dem Laib ist eine Münze eingebacken. In wessen Stulle sie sich befindet, dem winkt Erfolg – und er kann das Geldstück dann in Folge bei der obligatorischen Pokerrunde einsetzen. καλή χρονιά! Viele Hellenen verzocken beim traditionellen Silvester-Spiel Jahr für Jahr Haus und Hof. Die lernen einfach nicht dazu, im Gegensatz zur Kölner Polizei… A Happy New Year!

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