Von Jürgen Heimann
Weiß der Himmel, aus welcher Versenkung dieses Uralt-Video jetzt wieder aufgetaucht ist. Das vom tollkühnen, nervenstarken Kunstflug-Piloten, der während einer Vorführung die komplette rechte Tragfläche seiner Maschine verloren hatte und sie trotzdem sicher, wenn auch etwas holprig, landen konnte – also das Flugzeug, nicht den Flügel. James Andersson ist seitdem ein (Aero-)Held – obwohl es diesen Teufelskerl als solchen gar nicht gibt – trotz einer eigenen Webseite. Die gibt es aber auch nicht mehr. Inzwischen durchlebt der fliegerische, am 29. Oktober 2008 bei Youtube erstmals online gegangene Geniestreich seinen zweiten (oder dritten) Frühling. Die spektakulären Aufnahmen verbreiten sich in den sozialen Netzwerken erneut wie ein Virus und sorgen daselbst wieder für ungläubiges, fassungsloses Staunen.
Vor neun Jahren hatten der nur 1:07 Minuten lange „One-Wing-Landing-Clip“ erstmals das Licht von Youtube, MyVideo, MySpace, DailyMotion, Vimeo, Sevenload und das zig anderer Plattformen erblickt. Er avancierte zum millionenfach angeklickten Hit, und das aus dem Stand von Null auf Hundert. Ein Selbstläufer. Binnen eines Monats verzeichnete die Story vom „Best Air Race Pilot ever“ über 5 Millionen Views. Allein auf Youtube gab und gibt es über 350 Adaptionen. Das heißt, mehr als 350 User haben den Streifen dort noch einmal selbst hochgeladen. Inzwischen sind noch ein paar hinzugekommen. In mehr als 200 nationalen und internationalen Foren und Communities sowie auf über 200 Blogs wurde damals darüber spekuliert und diskutiert, gemutmaßt und analysiert. Und jetzt geht das wieder los.
So etwas würde noch nicht mal Toni Eichhorn hinkriegen
Die Gretchenfrage seinerzeit wie heute lautet: Ist ein solches Manöver flugphysikalisch überhaupt denkbar und möglich? Kann ein Motorflugzeug mit nur einem Flügel sicher und unbeschadet landen? Natürlich nicht! So was würde noch nicht mal Toni Eichhorn hinbekommen, und der ist ja dahingehend schon mit allen himmlischen Wassern gewaschen. Schon jeder Flugschüler im ersten Lehrjahr weiß, dass er verloren wäre, sollte an seinem Brummer eine Fläche verlustig gehen. Das Flugzeug geht in diesem Fall ins Steiltrudeln über, aus dem es, und da kann der Pilot machen was er will, nicht mehr herauskommt. Die Maschine würde in Folge mit dem Rumpf senkrecht in den Boden einschlagen. Aus die Maus! Da beißt die auch keinen Faden (mehr) ab.
Donald Trump-el würde von „Fake News“ sabbeln
Aber vielleicht, unter bestimmten Voraussetzungen, beeinflusst von besonders günstigen, wundersamen Umständen und Fügungen, eventuell mit Unterstützung einer Engel-gleichen Helferriege, könnte doch…? Nee, auch dann nicht. Trotzdem gibt es ja filmische „Beweise“, die das Gegenteil belegen bzw. belegen sollen. Ja, die gibt es. Aber sie sind gefälscht. Donald US-Trampel würde von „Fake News“ sabbeln – und hätte, wenn auch nur in diesem einzigen Fall, mal recht. Das Ganze ist das Ergebnis eines von langer Hand vorbereiteten und geschickt inszenierten Täuschungsmanövers unter Einsatz modernster CGI-Techniken. Das Kürzel steht für „Computer Generated Imagery“, der englische Fachausdruck für mittels 3-D-Computergrafik erzeugte Bilder und Animationen. 40 Personen waren an der Sache beteiligt, über Wochen.
Der Filmdreh war im Sommer 2008 auf dem Flugplatz des Luftsportvereins Itzehoe (EDHF) über die Bühne gegangen. Warum der Airport „Hungriger Wolf“ heißt, weiß ich aber auch nicht. Zum Einsatz kamen damals eine reelle Aeorobatic-Maschine vom Typ Extra EA-200 und ein maßstabsgerechtes, dem Original ziemlich ähnlich sehendes Modellflugzeug. Dem war später in der Nachbereitung am Bildschirm noch die Lackierung des Originals verpasst worden. Mit der Miniaturaversion jedoch wurden die haarsträubenden Szenen gedreht, die echte Schwester taucht nur kurz am Anfang und am Ende im Bild auf.
Der Teufelsflieger war nur eine fiktive Figur
Der Pilot, angeblich ein bekannter Air-Racer, ließ sich feiern. Doch James Andersson war eine Erfindung der Macher, eine fiktive Figur, der man, um dem Ganzen noch mehr Glaubwürdigkeit zu verleihen, neben einer eigenen Internetpräsenz, die binnen weniger Tage 60.000 Besucher zählte, sogar einen Twitter-Account spendiert hatte. Und ein auf seiner Website veröffentlichtes, nach der glücklichen Landung geführtes Interview mit ihm gab der Sache noch mehr Gewicht. Dort waren auch Fotos eingestellt, die den Star-Piloteur und sein Flugzeug bei einem Red Bull-Luftrennen in Budapest in Aktion zeigten. Mit Photoshop kein Problem.
Hinter dem Projekt standen damals der Marketingexperte Martin Dräger, der Filmproduzent Jan Behrens und der Mathematiker Dr. Markus Schwehn. Diese fidelen Drei hatten sich im Auftrag des jungen, zeitgleich gestarteten Modelabels „killathrill“ (www.killathrill.com) ins Zeug gelegt und ganze Arbeit geleistet. Natürlich hatte das Ergebnis Schwächen und wies logische, sachliche und fachliche Unschärfen auf. Aber das war beabsichtigt, um in Folge die Diskussion und Spekulation anzuheizen und zu beflügeln. Das Kalkül ging auf.
Ungereimtheiten sollten die Diskussion beflügeln
Was den ungläubigen Thomas und seine Freunde stutzig machen bzw. ihnen auffallen sollte: In einigen Szenen hatte das Flugzeug ein Spornrad, in anderen war es mit einem Schleifsporn ausgestattet. Die Lackierung des Seitenleitwerks wechselte mitunter von einer Sekunde zur anderen, die Maschine trägt kein Kennzeichen oder eine Nationalflagge – meistens zumindest. Auch war das Motorengeräusch schlecht synchronisiert. Wenn ein solches Flugzeug am Prop hängt, müsste Vollgas mit stetigen Lastenwechseln zu hören sein. War aber nicht. Die Tragfläche bricht gerade ab, aber nach der Landung sind weder Steuerseile, noch Leitungen oder andere Teile an der Bruchstelle zu sehen. Es gab auch keine Bruchwolke. Eine solche ist aber bei einem echten Strukturversagen in der Regel deutlich zu beobachten. Und was derlei Ungereimtheiten alles noch mehr sind und waren. Aber wir wollen ja nicht kleinlich sein.
Innerhalb einer Woche nach Erstveröffentlichung war das Video auf den diversen Plattformen bereits drei Millionen mal aufgerufen worden. Nach rund vier Wochen hatte der Beitrag allein auf Youtube schon fünf Millionen Klicks. Dass da nicht alles mit rechten Dingen zugegangen war, hätte den staunenden Usern Pro 7 verraten können. Aber wer möchte sich schon von diesem Privatsender eines Besseren belehren lassen? In diesem Fall wäre es jedoch hilfreich gewesen:
Galileo Gerücht: Flugzeug landet mit einem Flügel von funvideosaustria
Neues Modelabel legte furiosen Start hin
Worauf der Blick des Zuschauers immer mal wieder kurz gelenkt wurde, war das Wort „killathrill“ – als Beschriftung auf der Oberseite der Tragflächen und am Rumpf des Flugzeugs angebracht. Mehr war auch nicht nötig. Der Begriff wurde in Folge zigtausend mal auf Suchmaschinen nachgefragt und stieg dort im Ranking immer weiter nach oben. Der Traffic auf der Homepage des heute vor allem für seine „Shock Shirts“ bekannten Modeanbieters entwickelte sich entsprechend. Und genau das hatten die Macher ja bezweckt. Es gibt keine belastbaren Zahlen darüber, wie sich das unmittelbar auf den Umsatz der im Pinneberger Handelsregister als GmbH eingetragenen Firma mit Sitz im benachbarten Halstenbek ausgewirkt hat. Aber sie war in aller Munde – und ist es inzwischen wieder. Insofern war die Kampagne ein Riesenerfolg. Vielleicht haben ja dieselben Leute sie aus eben diesen Gründen jetzt noch einmal reaktiviert.
So funktioniert „Viral Marketing“
Das Projekt ist ein Lehrbeispiel aus der Zauberkiste des aktiven Viral Marketings. Der oben erwähnte Martin Dräger ist Geschäftsführer der in Hamburg beheimateten DSG Dialog Solutions Group, die sich auf diese besondere Disziplin spezialisiert hat und beispielsweise auch Obi, AEG, Philips, T-Online und Schwäbisch Hall zu ihren Klienten zählt. Dass es sich bei der ganzen Operation um einen „viralen Fake“ handelte, hatte er bereits im Dezember 2008 auf seinem „Viral Marketing Blog“ verraten.
Die Faker plauderten aus dem Nähkästchen
Im Pro 7- „Wissens“-Magazin „Galileo“ war einige Tage vorher bereits unter Mitwirkung der Aktivisten gezeigt und erläutert worden, wie der Spaß realisiert wurde und mit welchen Tricks man gearbeitet hatte. Aber das schienen zumindest diejenigen, die sich in Folge in den einschlägigen „F(l)ach-Foren über die Machbarkeit derartiger Manöver die Köpfe heiß geredet hatten, nicht gesehen zu haben. Ein Video vom Making-of auf dem Flugfeld in Itzehoe:
Virales Marketing, auch Virusmarketing genannt, nutzt soziale Netzwerke und Medien, um mit einer meist ungewöhnlichen oder hintergründigen Nachricht auf eine Marke, ein Produkt oder eine Kampagne aufmerksam zu machen. Für eine entsprechende epidemische Verbreitung sorgen die User dieser Plattformen dann schon selbst, wie hier anschaulich zu beobachten war und ist.
Warum das Moorhuhn Johnnie Walker säuft
Die bekannteste Form von sich im Netz wie Virus verbreitenden Inhalten ist das Virale Video. Und um ein solches handelt es sich in dem vorliegenden Fall. Aber es gibt auch andere Varianten. Eines der ersten Erfolgs-Beispiele für virales Marketing war das Werbespiel Moorhuhn, das von der Firma Phenomedia AG für Johnnie Walker entwickelt wurde. Innerhalb kürzester Zeit erreichte das Spiel eine enorme Popularität, die sich auch auf die Marke übertrug. Mit Nachfolgern von Moorhuhn versuchten später auch Firmen wie Computer Channel, Quam, Bild und Haribo an den Erfolg anzuknüpfen.