Von Jürgen Heimann
Die wenigsten von uns dürften einem dieser zumeist sanften und anmutigen Riesen jemals in Natura begegnet sein. Die machen sich in der Lahn, am Bodensee oder im Heisterberger Weiher ja auch ziemlich rar. Ansonsten findet man die intelligenten Maxi-Säuger aber so gut wie in allen Ozeanen. Im nördlichen Polarmeer ebenso wie im nährstoffreichen Wasser der Straße von Gibraltar, bei Teneriffa, im Nordatlantik , im Pazifischen und Indischen Ozean. Allerdings mit abnehmender Tendenz. Viele der 90 verschiedenen Arten sind akut bestandsbedroht. Weshalb sich die internationale Gemeinschaft Anfang der 80er Jahre auch zu einem Walfang-Moratorium durchgerungen hatte, das die kommerzielle Jagd auf die Meeresgiganten verbot und 1986 in Kraft trat. Durch das Washingtoner Artenschutzübereinkommen (CITES) wurde in Folge auch weltweit jeglicher Handel mit Walprodukten verboten.
Trotzdem wurden allein in den 13 Folgejahren nach dieser Übereinkunft 33.500 weitere dieser Tiere geschlachtet. Inzwischen dürften noch ein paar mehr von ihnen dieses Schicksal geteilt haben, was zum größten Teil auf die Kappe von drei Nationen geht: Japan, Island und Norwegen. Diese maritimen Schurkenstaaten fühlen sich an die Übereinkommen nicht gebunden und harpunieren weiterhin munter drauf los. Wobei König Haralds Untertanen inzwischen die größten und „erfolgreichsten“ Schlächter sind. Die Skandinavier lassen doppelt so viele Opfer über die Klinge springen wie die beiden anderen Länder zusammen.
Die Wikinger laden durch: Auf, auf zum fröhlichen Jagen!
Und in diesen Tagen, Saisonauftakt, werden die Anker wieder gelichtet: „Auf, auf zum fröhlichen Jagen!“ Die Flotte der Wikinger schickt sich an, zu einem weiteren mörderischen Feld- und Raubzug in See zu stechen – traditionell begleitet von einem internationalen Aufschrei der Entrüstung. Alle Jahre wieder. Die Helden im Land der aufgehenden Sonne haben bereits zugeschlagen und in den zurückliegenden Wochen wieder hunderte Groß- und Zwergwale in der Antarktis massakriert. Mehr als 10.000 haben die Asiaten in den vergangenen 25 Jahren gemetzelt. Natürlich nur zu Forschungszwecken – und weil sie sich der Tradition verpflichtet fühlen. Dümmer geht’s nimmer!
Die Helden in den kleinen Schlauchbooten
Organisationen wie Prowildlife, Oceancare, Greenpeace, WWF, Sea-Shepherd oder IFAW (International Fund for Animal Welfare) laufen Sturm gegen diese sinnlose, blutige Orgie. Und wir werden demnächst wieder via TV dramatische Szenen zu sehen bekommen, wenn sich Aktivisten in kleinen Schlauchbooten den wuchtigen Riesenpötten entgegenstellen und sich, von Wasserkanonen unter Beschuss genommen, als menschliche Schutzschilde zwischen Harpunenrohren und potentiellen Opfern positionieren. Selbst auf die Gefahr hin, vom Feind gerammt und versenkt zu werden. Sie wissen um das persönliche Risiko. Es ist es ihnen aber wert. Und wenn nur einer dieser faszinierenden Säuger dadurch gerettet werden kann. In Zeiten wie diesen, aber auch nach entsprechenden Erfahrungen der Vergangenheit, sollte man mit der Verwendung des Begriffs „Helden“ vorsichtig sein. Aber wenn er auf jemanden zutrifft, dann auf diese Leute!
Weltweiter Abscheu über die norwegischen Schlächter
Millionen Menschen in aller Welt verleihen ihrem Abscheu gegen diese anachronistische Hatz aktuell in diversen Petitionen Ausdruck. So auch auf der Plattform AVAZZ, wo eine vor wenigen Tagen gestartete Kampagne binnen kurzem fast drei Millionen Unterzeichner gefunden hat. Und der Zähler rauscht im Sekundentakt weiter nach oben. Die Unterstützer der Aktion kommen aus Brasilien, Taiwan, Ägypten, Syrien, Griechenland, Südafrika, den USA, Australien, Vietnam, Frankreich, Iran, Spanien, Venezuela und Deutschland. Also praktisch von überall her.
Die Petition ist nicht nur an die norwegische Regierung adressiert, sondern auch an die Europäische Kommission. Und sie richtet sich an die Staats- und Regierungschefs all jener Länder, die norwegischen Walfleischtransporten bislang das Passieren ihrer Hoheitsgewässer gestatten oder sie sogar in ihren Häfen anlegen lassen. Würde es gelingen, nur einen Teil dieser Schlupflöcher und Schleichwege zu schließen, wäre das immerhin ein Anfang. Der norwegischen Regierung gingen die weltweiten Proteste bislang immer noch am Arsch vorbei. Aber an dieser Stelle, nicht dem Arsch, sondern den Routen und Häfen, würde es beginnen, weh zu tun.
In einer stillen Stunde: Erna, mach‘ Dir mal Gedanken!
Die Türkei hat ja erfahren müssen, was es für Auswirkungen haben kann, sich rigoros über alle Normen, internationale Vereinbarungen, Wertmaßstäbe und Fragen des Anstands hinweg zu setzen. Der Tourismus dort ist um über 30 Prozent eingebrochen. Und die Talfahrt hält an. Was hindert uns Urlauber eigentlich daran, auch die Norweger an dieser empfindlichen Stelle anzugreifen? Das mit einer grandiosen Natur gesegnete Fjordland wirbt ja mit dem Spruch „Norwegen erwartet Sie“. Lassen wir es doch einfach mal warten. Das wäre schmerzlich.
Dann könnten sich die forsche Erna, die Ministerpräsidentin, und ihre Kabinettskollegen in Oslo in einer stillen, abwägenden Stunde mal Gedanken machen. Und zwar darüber, was ihnen wichtiger ist – aus innenpolitischem Kalkül eine sterbende Industrie, eine aus der Zeit gefallene und völlig am Bedarf vorbei operierende Walfangflotte künstlich am Leben zu erhalten oder weiterhin auf Feriengäste zu setzen. Der Fremdenverkehr zählt zu den wichtigsten Einnahmequellen. Wir Deutschen stellen vor Schweden und England das größte Besucherkontingent. Jährlich strömen im Durchschnitt fünf Millionen Erholungs- und Abenteuersuchende über die Grenzen und lassen fast 6,5 Milliarden US-Dollar da.
Ein Produkt, das wirklich keiner braucht!
Das Land, das einen Fridtjof Nansen, einen Roald Amundsen, Knut Hamsun, Henrik Ibsen oder Edvard Munch hervorgebracht hat, zählt zu den reichsten und wohlhabendsten der Welt. Und hat es bestimmt nicht nötig, auf so überholte und überkommene Strukturen wie die der kommerziellen Walfangindustrie zu setzen. Um obendrein noch durch diverse Förderprogramme die Nachfrage nach entsprechenden Produkten, die aus den Kadavern der gemeuchelten Meeresgiganten generiert werden, anzukurbeln. Solche braucht heute wirklich kein Mensch mehr. Und kein Tier. Denn: Ein großer Teil des Fleisches wird zu Tierfutter verwurstelt, als Heilmittel vermarktet oder als Zusatzstoff unter diverse Kosmetika gebuttert.
In früheren Jahren wurde aus dem Fettgewebe von Mobby-Dicks Artgenossen Tran gewonnen und als Lampenöl genutzt. Der Bedarf nach solchem soll sich heutzutage aber in Grenzen halten. Höchstens die Amis hätten theoretisch Verwendung dafür. Weil die es ja nicht gebacken kriegen, ihre Hochspannungsleitungen unterirdisch zu verlegen. Deshalb fällt in Trumpeltanien selbst nach lauen Lüftchen regelmäßig der Strom aus – und die Yankees sitzen im Dunkeln. Da geht dann selbst die trübste Ölfunzel noch als glänzendes Licht am Ende des Tunnels durch.
Absatzflaute: Niemand will das Zeug mehr auf dem Teller haben
Zum Verzehr ist das Fleisch des Königs der Meere sowieso nur bedingt geeignet. Über Ethik, Moral und vor allen Dingen Geschmack lässt sich streiten, aber der Appetit müsste einem spätestens angesichts der exorbitant hohen Anteile an Pestiziden und Schwermetallen, wie sie regelmäßig in Walfleisch nachgewiesen werden, vergehen. Auch die Isländer wissen das. Hier sind es gerade mal 1,7 Prozent der Bevölkerung, bei denen hin und wieder Buckelwalsteak, Finnwal-Filet oder Minke-Lende auf den Teller kommt, auch wenn das Touristen gerne als einheimische Spezialität angedreht wird.
Anders formuliert: Nur 5.753 der 338.450 Iceländer sind keine Kostverächter. Die Mehrheit wendet sich angewidert von grenzwertigen Angeboten dieser Art ab. Bei den Japsen mag auch kaum einer mehr in ein Stück Finnwal-Nacken beißen. Japan war bislang der größte Absatzmarkt für Islands Finnwal-Produkte. Nachdem der quasi zusammengebrochen ist, haben die Geysir-Insulaner entschieden, auch in diesem Jahr die Jagd auf diese gefährdete Barten-Spezies, deren Vertreter bis zu 27 Meter lang werden, auszusetzen.
„Fortschrittliche Gesellschaft“: Tausend Zwergwale auf der Abschussliste
Das ist die gute Nachricht. Die schlechte: Die Hatz auf die Zwergwale vor Reykjavik geht ungebremst weiter. Und genau diese Art haben auch die Norweger vornehmlich im Visier. In diesem Jahr stehen wieder rund 1000 Tiere auf ihrer Abschussliste, wobei insbesondere fortpflanzungsfähige Weibchen gehetzt werden, was den Bestand im Nordatlantik langfristig ebenfalls gefährdet. Diese Tiere können bis zu 9,63 Meter lang und bis zu 11 Tonnen schwer werden. Die „Minkes“ erreichen ein Alter von im Durchschnitt 50 Jahren – wenn man sie lässt. Wiki und die starken Männer lassen sie aber nicht.
Das ist jetzt der Punkt, um Sandra Altherr, Biologin und Mitbegründerin von „Pro Wildlife“ in München, zu zitieren: “Wale zu schlachten hat in einer fortschrittlichen Gesellschaft keinen Platz – es schadet dem internationalen Ansehen des Landes”. Und das hat schon im Falle Norwegens, Islands und Japans beträchtlich gelitten!