Von Jürgen Heimann
Politiker sind (weit) vorausschauende Leute. Weil sie ja nicht nur das aktuelle Geschehen, sondern auch immer den nächsten Wahltermin im Auge haben müssen. Und der steht in Hessen Ende des nächsten Jahres an. Da muss man frühzeitig versuchen, sich eine gute Ausgangsbasis zu verschaffen, egal wie, auf welche Weise und mit welchem Thema. Die beiden Oppositionsparteien SPD und FDP haben das natürlich auch erkannt und sind seit Wochen dabei, sich bei einer Klientel einzuschmeicheln, die traditionell eher der größeren Regierungspartei CDU zugetan ist: den Jägern und Jagdbefürwortern. Nachdem sich deren (normalerweise) recht einflussreiche Interessenvertreter und Lobbyisten beim Zustandekommen der neuen Jagdverordnung als stumpfe Waffe erwiesen hatten, sind die um ihre Pfründe fürchtenden Pirscher natürlich auch für Avancen der politischen Konkurrenz empfänglich. Sie sehen das ganz pragmatisch und zielorientiert.
Da bahnt sich eine neue (unheilige?) Allianz an. Natürlich: Große Visionen und Entwürfe haben auch die Genossen (nach wie vor) nicht zu bieten. Die blau-gelbe Drei-Pünktchen-Riege sowieso nicht. Deshalb versuchen beide Lager, ihr steiniges, unfruchtbares Feld anderweitig zu bestellen – unter Einsatz viel toxischer Rabulistik. Der Schäfer-Gümbel und der Rentsch-Florian aus Kasselanien haben dahingehend ihre ersten Nebelbomben gezündet. Während die „Liberalen“ schon vor Wochen Verfassungsklage gegen die bereits im Dezember 2015 verabschiedete neue Jagdverordnung eingereicht hatten, greifen die diesen Vorstoß unterstützenden blassroten Sozis auch von einer anderen Seite aus an. 1999 vom Wähler aus der Regierung verjagt, wird die SPD selbst zur Partei der Jäger, oder, wenn man so man will, zur Jagdpartei. Da bekommt der Begriff „Jagdgenossen“ eine ganz neue Bedeutungstiefe. Der Ministerpräsident muss sich jetzt aber anstrengen, um verloren gegangenes Vertrauen unter den verschreckten Nimrods zurück zu gewinnen. Vielleicht wäre mal wieder eine Gesellschaftsjagd für privilegierte Büchsenhelden fällig, wie sie im Herbst 2015 im Groß-Gerauer Forst für Schlagzeilen sorgte.
Schulterschluss: Gemeinsam für die Abschaffung der Schonzeiten
Während ihr neuer und an den Toren des Kanzleramtes rüttelnder Heilsbringer Martin Schulz mehr Tierschutz einfordert, verlangt die Hessische SPD-Fraktion in einem Antrag vom 28. März (Drucksache 19/4754) von der Landesregierung, das Jagdrecht zu ändern, und zwar dahingehend, den ganzjährigen Abschuss von Waschbären wieder uneingeschränkt zuzulassen. Auch deshalb, weil diese Tiere schließlich die Artenvielfalt und das biologische Gleichgewicht massiv bedrohen würden. Das haben wir doch schon mal irgendwo gehört. Und nicht nur einmal. Ständig. Zählt zum klassischen Liedrepertoire der außerparlamentarischen Lodenfraktion. Und außerdem wären ja da auch noch die erheblichen Schäden in Siedlungs- und Gartenanlagen, insbesondere in denen in Nordhessen, die auf das Konto der Räuber gingen, beklagen die Sozen. In Kassel, der Hauptstadt der Waschbären und Heimatstadt von Florian Rentsch, sieht man das weniger dramatisch, wie eine Nachfrage im Rathaus ergab. Dort hat die Bevölkerung nämlich gelernt, mit den Tieren zu leben. Von erheblichen von ihnen verursachten Zerstörungen, oder gar einer Besorgnis erregenden Zunahme derselben ist hier längst nicht mehr die Rede
Wo die SPD )mit-)regiert, sieht sie das anders
Die Einführung verbindlicher Schonzeiten für Klein-Petze und Füchse waren und sind wesentliche Elemente der vor allem auch von der grünen Umweltministerin Priska Hinz vorangetriebenen Neuregelung. Auch andere Bundesländer kennen solche Aus-Zeiten. Wo die SPD allerdings mit- oder sogar federführend regieren darf, in Baden-Württemberg, NRW, Rheinland-Pfalz, Berlin und Niedersachsen beispielsweise, gibt es diese Schutz-Regelungen ebenfalls, ohne dass die Sozialdemokraten vor Ort etwas dagegen einzuwenden haben. Sehen sie aber, wie aktuell in Hessen, auch nur den Hauch einer Chance, durch Besetzung gegenteiliger Positionen zu punkten, tun sie es natürlich. Eine andere Bezeichnung dafür ist Opportunismus. So geht (Partei-)Politik.
Politik auf dem Rücken wehrloser Kreaturen
Die Begründung der Hessen-SPD für ihre Eingabe ist ebenso durchsichtig wie (inhaltlich) schwach-brüstig und wird zu einem guten Teil von Populismus und wahltaktischen Überlegungen diktiert. Die Antragsteller negieren alle wildbiologischen Erfahrungswerte und wissenschaftlichen Erkenntnisse, was einzig und allein dem Zweck dient, aus dem künftigen Tod zigtausender Tiere Wählerstimmen zu generieren. Machtpolitik auf dem Rücken wehrloser Kreaturen. Andererseits ist der Vorstoß aber auch ein klassisches Paradebeispiel dafür, wie leichtfertig und blauäugig oppositionelle Landespolitiker der Jägerpropaganda aufgesessen sind. Vielleicht haben sie es gar nicht gemerkt, vielleicht aber auch doch.
„Goldene Mümmelmänner“ für tapfere Hasenfreunde
Es ist noch gar nicht so lange her, da ließen sich Heinz Lotz (Steinau an der Straße), der umweltpolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, und Landtagsvizepräsident Wolfgang Greilich (FDP) aus Gießen vor Ort im Landtagsgebäude von Vertretern der Jägervereinigung Oberhessen den „Goldenen Mümmelmann“ überreichen, einen „Naturschutzpreis“, bei dessen Vergabe recht fragwürdige Kriterien angelegt werden. Damit sollte das Engagement der wackeren Landespolitiker um den Fortbestand von Feldhase und Rebhuhn gewürdigt werden. Um diese hätten die sich nämlich verdient gemacht, indem sie klare Kante gezeigt und in der Diskussion um die Jagdverordnung gegen einen temporären Schutz ihrer Fressfeinde wie Fuchs, Waschbär, Marder und Krähen gestritten hätten. Dieses Kroppzeugs nimmt nämlich Überhand, heißt es. Und muss deshalb rigoros bekämpft werden. Und wer, bitteschön, wäre dafür prädestinierter als die Jäger?
Klagen gegen die Jagdverordnung als angewandter Naturschutz
Lotz ist Sprecher der SPD-Landtagsfraktion für Forst-, Jagd- und Fischereiwesen, Landwirtschaft, Naturschutz und Nachhaltigkeit. Nachdem sein Unions-Pendant Walter Arnold derzeit etwas schwächelt, inszeniert sich der Schornsteinfeger zunehmend als starker, unerschrockener Streiter für eine Wiederherstellung eines aus den Fugen geratenen Gleichgewichts in Wald und Feld. Wobei dies natürlich zu den Bedingungen seiner schießenden Geistesverwandten zu erfolgen hat. Mindestens ebenso verdient um eine intakte Natur gemacht hat sich Michael Stein, Jagdpächter und Jagdgenossenschaftsvorsitzender aus dem nordhessischen Ulfen. Und zwar indem er eine Normenkontrollklage gegen das Land Hessen führt, um die Schonzeiten für Fuchs und Waschbär per Gerichtsbeschluss zu kippen. Siehe hier:
Dieser mutige Vorstoß war den Oberhessischen Schützen ebenfalls einen güldenen Mümmel wert. Vogelsberg-Landrat Manfred Göhrig (SPD) – die phonetische Ähnlichkeit des Namens mit dem des seinerzeitigen Reichsjägermeisters, unter dessen Patronat die Raccoons 1934 in Deutschland angesiedelt worden waren, ist rein zufällig – ging diesmal leider leer aus. Dafür bekommt der frühere Landtagsabgeordnete, der dem taffen Lotz-Heinz als jagdpolitischer Sprecher seiner Fraktion vorangegangen war, einen von Waschbärfreunden gestifteten Alternativ-Orden: den „Silbernen Schupp“ mit Eichenlaub und Schwertern. Und zwar für den originellsten und durchdachtesten Vorschlag, wie man der Hessischen Umweltministerin eins auswischen und sie im eigenen Sinne gefügig machen könnte. Man sollte jeden gefangenen Waschbären einfach direkt im Ministerium in Wiesbaden abgeben, hatte der Kreis-Chef im März anlässlich der Eröffnung der Messe „Jagen-Reiten-Fischen-Offroad“ in Alsfeld empfohlen.
Nicht nur Waschbären haben ein gutes Gedächtnis
Besondere Umstände erfordern halt auch außer- bzw. ungewöhnliche Maßnahmen. Das war schon immer so. Apropos ungewöhnlich: Als Göhrig sich 2008 erstmals um ein Landtagsmandat beworben hatte, das er dann auch auf direktem Wege holte, hatte sein Schwiegervater Horst Schopbach, damals Präses des evangelischen Dekanates Alsfeld, einen Aufruf als Anzeige veröffentlicht, in dem er dringend riet, den Mann seiner Tochter zu unterstützen. Die CDU könne man nicht wählen, weil: Das wäre die „größtmöglichste, brutalste Verkommenheit“. Der Regional-Skandal schlug seinerzeit hohe Wellen, auch über die hiesigen Wahlkreisgrenzen hinaus. . Daher rühren wohl auch bis heute noch nicht ganz verheilte Wunden. Die ein oder andere Rechnung mag noch offen sein. Nicht nur Waschbären haben ein gutes Gedächtnis….
Wo die größten Feinde von Hase und Rebhuhn zu finden sind
Aber dass sie „ausgesprochene Fleischliebhaber“ sind und deshalb Hasen und Rebhühner ausrotten, wie von den Oberhessischen Nimrods und der Landes-SPD (wider besseres Wissen?) kolportiert, stimmt nicht. Diese Behauptung ist absurd. Waschbären ernähren sich überwiegend von Insekten, Würmern, Schnecken, Pflanzen und Obst. Das ist wissenschaftlich belegt. Schauen wir uns mal die aktuellen Streckenzahlen für das zurückliegende Jagdjahr 2015/16 an, um zu sehen, wo die größten Feinde sitzen. Die Statistik weist 241.289 erlegte Feldhasen aus, was einer Abschuss-Zunahme von drei Prozent entspricht. Die inzwischen mangels Masse nur noch verhalten vor sich hin rammelnden Hobbler fehlen jetzt natürlich beim österlichen Eierverteilen. Aber das ist eine andere Baustelle. Es waren auch keine goldenen, sondern lebende. Zumindest bis zum finalen Knall. Wodurch offensichtlich wird, wer (neben der intensiven Landwirtschaft) letztendlich die größte Bedrohung der sprintstarken Langohren ist. Haken schlagen wie diese kann sonst nur die SPD.
Nachprüfbare Fakten gegen durchsichtige Propaganda
Ja, und dann die Rebhühner. Die haben ja auch einen schweren Stand und werden gnadenlos verfolgt – vom bösen Fuchs und dem üblen Klein-Bären. Deutschlandweit haben die organisierten Weidleute im vergangenen Jagdjahr aber immerhin noch 2.683 Stück dieser wildlebenden Hühnervögel, die zu den besonders geschützten Arten zählen, abgeknallt. 15 Prozent mehr als in der Halali-Saison zuvor. In Hessen gibt es aktuell gerade noch 4.000 bis 7.000 Exemplare. Das Land leistet sich dahingehend ein ziemlich weitreichendes, von der Staatlichen Vogelschutzwarte begleitetes Rebhuhn-Management und hat sogar ein entsprechendes Artenhilfskonzept erstellt. In der jährlich angepassten Situationsbeschreibung kommen Prädatoren wie Fuchs oder Waschbären als Bedrohungs- oder Gefährdungsfaktor kurioserweise nicht mit einer einzigen Silbe vor. Auch in der aktuellen, vom 30. Januar 2017 stammenden Version nicht. Was mehr als deutlich beweist, dass hier des eigenen Vorteils wegen bewusst und gezielt Unwahrheiten verbreitet werden, seitens der Jäger und seitens der SPD.
37 ungeliebte Tiere und Pflanzen mit Migrationshintergrund
Während die Hessische Umweltministerin daheim die Standhafte gibt und (noch) allen Bestrebungen, die Schonzeiten für den Waschbären aufzuweichen, trotzt, ist die Grüne, darf sie nach Berlin reisen, wie ausgewechselt. Dort tagte am 31. März der Bundesrat. Die Länderkammer beriet über den von der Bundesregierung vorgelegten Entwurf des Durchführungsgesetzes zur EU-Verordnung 1143/2014 über invasive Arten. Hinter diesem monströsen Begriffskonstrukt verbirgt sich eine bereits 2015 verbindlich und rechtskräftig gewordene „Todesliste“ der EU-Kommission, durch die die Mitgliedsstaaten aufgefordert und gezwungen werden, 37 ungeliebte Tiere- und Pflanzenarten mit Migrationshintergrund auszurotten oder ihnen zumindest das Leben und Wachstum so schwer wie möglich zu machen. Hintergrundinformationen dazu hier:
Gewusst wie: Es gibt immer ein Hintertürchen
Deutschland hatte dieses Papier in der Entstehungsphase noch abgelehnt, weil darauf auch der Name des Waschbären steht, den man, weil seit 83 Jahren in Germany heimisch, nicht als Eindringling ansah und der auch im Bundesnaturschutzgesetz ausdrücklich als heimische Art definiert wird. Der Bundesrats-Ausschuss für Umwelt, in dem neben Priska Hinz noch neun weitere Länder-Umweltminister mit grünem Parteibuch Sitz und Stimme haben, empfahl deshalb eine ebenso pragmatische wie genial-einfache Lösung. Und die wurde schließlich auch so vom hohen Haus beschlossen. Dazu genügte im übertragenen Sinne ein einziger Federstrich. Und alles wird gut. Der Waschbär gehört, verfügte die Kammer, ab sofort nicht mehr zu Deutschland (und Europa). Die Klassifizierung „Heimische Art“ soll im Naturschutzgesetz getilgt werden. Weil man es, wie es sinngemäß in der offiziellen Begründung hieß, der Öffentlichkeit andernfalls nicht hätte vermitteln können, warum der Waschbär wie auch andere Tiere plötzlich ausgerottet werden soll und darf. Dahingehend braucht man jetzt keine Skrupel mehr zu haben. So einfach ist das. So funktioniert Politik.
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