Von Jürgen Heimann
Diesen denkwürdigen, auf der Facebook-Seite des Kreisjagdvereins Hofgeismar platzierten Satz muss man sich mal auf der mit viel Korn gestreckten Kimme zergehen lassen: „Jagdrecht steht immer für Unterstützung der Artenvielfalt und damit insbesondere für Naturschutz. Somit ist natürlich auch der praktikable Schutz des einzelnen Lebewesens in seiner ethischen Würde durch den Erleger zu gewährleisten. Dies dokumentiert jeder verantwortungsbewusste Jäger mit seiner umfangreichen Ausbildung. Man kann ihm (dem Jäger; Anm. der Red.) also vertrauen!“ Schluck!
Genau. Um die philosophische Tragweite dieser elementar-existentiellen Erkenntnis in all ihren Facetten ermessen und verstehen zu können, bedarf es freilich mehr als nur eines Schlucks aus der Pulle. Egal, ob diese von einem Hirsch-geweihten Kräuterlikör-Hersteller aus Wolfenbüttel abgefüllt wurde oder halt noch härteren Stoff beinhaltet. Ich möchte dem Urheber dieses Bonmots ja auch gar nicht unterstellen, dauerhaft von und aus diesbezüglichen Promille-Quellen zu schöpfen. Jeder wird halt mal schwach. Auch Andreas Dinges. So hieß einmal der Bürgermeister der im Nordhessischen gelegenen Gemeinde Calden. Die 8.000-Seelen-Ansiedlung erlangte bis dato vornehmlich durch ihren defizitären Geister-Flughafen Berühmtheit.
Ex-Bürgermeister sitzt im falschen Zug
Nachdem sich ihr ehemaliger Rathaus-Chef, den die Wähler im Oktober 2014 nach 18 Jahren in den verwaltungs-administrativen Ruhestand geschickt hatten, weiterhin jagdpolitisch so schwunghaft aus dem Fenster lehnt, ist dem Kaff auch ein Platz im deutschen Hege-Himmel sicher. Den Mann haben die Schatten der Vergangenheit jetzt eingeholt. Er hat viele Jahre als offizieller Vertreter der Kreis-Bürgermeister im Naturschutzbeirat des Landkreises Sitz und Stimme, ebenso im Ausschuss für Landwirtschaft und Umwelt des Hessischen Städte- und Gemeindebundes. Das prägt. Das kann man nicht einfach so abschütteln. Deshalb engagiert sich der ehemalige Bundeswehr-Hauptmann und sechsfache Familienvater auch nach seiner Außerdienststellung vehement für Naturschutz und Tierwohl. Hat halt dabei nur den falschen Zug genommen.
Vom „Erleger“ und der ethischen Würde des getöteten Tieres
Wie der „Erleger“ die ethische Würde des einzelnen von ihm zur Strecke gebrachten Lebewesens nun praktikabel schützt, um mir das vorstellen zu können, reicht die Phantasie nicht. Da kann man noch so viel Äbbelwoi putzen oder grenzwertiges Kraut schmauchen. Und dass man dem natürlich verantwortungsbewussten Jäger allein deshalb (blind) vertrauen kann, weil er angeblich eine umfangreiche Ausbildung durchlaufen hat, ist auch ein ziemlich wackeliger Steg, auf den ich, sollte er über einen reißenden Fluss führen, nie und nimmer einen Fuß setzen würde. Das täte auch Lenin nicht. Von dem stammt ja schließlich auch der Satz „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“.
Intensive Ausbildung: In vier Wochen zum „grünen Abitur“
Ich vertraue Verkehrspiloten, die erst nach vielen Jahren intensivster Schulung auf die Passagiere losgelassen werden und denen nach Lizenzerwerb immer noch ein erfahrener Aufpasser vom linken Sitz aus auf den Sidestick oder das Steuerhorn guckt. Die Weidmänner hingegen können ihr „grünes Abitur“ schon in vier Wochen bauen und dürfen dann, mit der Lizenz zum Töten in der Tasche, in Wald und Feld Herr über Leben und Tod spielen. Nur 26 Prozent des während der Vorbereitung vermittelten Wissensstoffs beinhalten wildtierkundliche Aspekte. Im Bio-Unterricht lernt jedes Kind ein Vielfaches über das komplexe Ökosystem Wald und dessen Bewohner. Wichtiger ist natürlich das Sachgebiet „Jagdpraxis“ (46 Prozent), also die theoretische Unterweisung in der Kunst des Tötens. Auch sehr bedeutend: Brauchtumspflege und Tradition. Mein Freund und Kollege Mirko Fuchs hat den langwierigen und mühevollen Weg, den angehende Naturschützer für den Jagdscheinerwerb auf sich nehmen müssen, anschaulich nachgezeichnet. Das sollte man sich in einer stillen Stunde mal zu Gemüte führen.
Aber die Herrschaften im grünen Wams bleiben, auch nachdem sie so schwer geprüft wurden, lernfähig und wissbegierig. Tipps und Tricks aus und für die Praxis, wie sich die Beute noch effektiver überlisten lässt, sind immer willkommen. Dahingehend deckt beispielsweise die privat betriebene „Hochschule“ der Rheinisch-Westfälischen Jäger (RWJ-Akademie) in Duisburg ein breites Themen-Spektrum ab. Dort können selbst erfahrene Pirscher in Sachen Strategie und Taktik noch was lernen. Beispielsweise, wie sie Krähen und Tauben noch ergebnisorientierter vom Himmel holen, die (eigentlich verbotene) Baujagd auf Füchse perfektionieren oder Donald Ducks realen Erben das Lebenslicht ausblasen. Dann braucht das der Fuchs nämlich nicht zu tun. Dem nimmt man ja andererseits übel, gar schrecklich unterm Entenvolk zu wüten.
Ja, und ein „Waschbär-Seminar mit Jagd“ am Edersee darf im Programm der Elite-Uni für praktisch bildbare Flinten-Heroes auch nicht fehlen. „Sehr erfahrene Praktiker erläutern den Kursteilnehmern die Grundlagen erfolgreicher Fangjagd und zeigen ihnen, wie man Waschbären streift“ heißt es in der Ausschreibung. Und die, also die Teilnehmer, nicht die Bären, dürfen dann das Gelernte vor Ort an eigens vorbereiteten Kirrungen selbst erproben. Da steigt der Adrenalinspiegel doch gleich ins Unermessliche. Wo, bitteschön, sonst gibt es so viel Kick für so wenig Geld?
Wie ich darauf komme? Caldens oben erwähnter Ex-Bürgermeister hatte sich bei seinen Hofgeismarer Jägerfreunden eingeschmeichelt, entsprechend positioniert und das hohe Lied des edlen Weidwerks gesungen. Dies in Zusammenhang mit einem an die Adresse eines streitbaren Kollegen aus Ulfen (einem Stadtteil von Sontra) gerichteten „Toi, toi, toi“ für dessen Kampf gegen das Land Hessen. Michael Stein, der dortige Jagdpächter und Vorsitzende der Jagdgenossenschaft, hofft, Teile der im Dezember 2015 in Kraft getretenen neuen Hessischen Jagdverordnung durch ein Normenkontrollverfahren zu Fall bringen zu können. Er weiß sich dabei der unverbrüchlichen Unterstützung durch den Hessischen Jagdverband sicher. Der Mann verlangt, die in der Verordnung festgeschriebenen Schonzeiten für Füchse und Waschbären ersatzlos zu streichen. Weil diese überzogen und unverhältnismäßig seien. Denn: Die Reinekes müssen die Heger zwischen März und Mitte August in Frieden lassen, die maskierten Kleinpetze dürfen sie zwischen Anfang März und Ende Juli nicht ins Visier nehmen. Dies auch, weil die verfolgten Kreaturen in dieser Zeit Junge haben und mit der Aufzucht des Nachwuchses beschäftigt sind.
„Argumente“ aus der weidmännischen Mottenkiste
Nachdem ein entsprechender, an das Hessische Ministerium für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz gerichteter Antrag abschlägig beschieden worden war und man im Hause Hinz bis heute keine Bereitschaft zeigt, diese Position aufzugeben, will der Kläger seine Forderung nun gerichtlich durchsetzen. Die Argumente jedoch, die er und eine ihn bei diesem Ansinnen unterstützende Finanzrichterin i.R. vorbringen, werden auch durch gebetsmühlenhaftes Wiederkäuen, wie es seit Jahren praktiziert wird, nicht stichhaltiger und glaubwürdiger. Füchse und Waschbären würden das Ökosystem und das Gleichgewicht der Natur gefährden, weil sie andere Tierarten, insbesondere Bodenbrüter, aber auch Hasen, Rehkitze und Enten dezimierten bzw. auszurotten drohten. Auch seien diese sich unkontrolliert und explosionsartig vermehrenden Räuber ja notorische Krankheitsüberträger und Seuchenschleudern. Wenn man den Plagegeistern nicht ganzjährig nachstellen dürfe, droht also das Chaos. Das klingt irgendwie sattsam bekannt. Der Untergang der Zivilisation wurde dahingehend und in diesem und ähnlichem Zusammenhang ja schon wiederholt vorausgesagt. Dieses Armageddon lässt immer noch auf sich warten. Ist ja wie bei den Zeugen Jehovas: Die müssen das Datum des von ihnen prophezeiten Weltenendes ja auch immer mal wieder nach hinten schieben.
Die Verschwörungstheorien der AfD
Was die Gründe für die dramatischen Populationssteigerungen der ungeliebten Prädatoren in unseren beschaulichen germanischen Wäldern anbelangt, da hat die AfD Sachsen, wild-biologisch und rasse-hygienisch immer auf der Höhe der Zeit, so ihre eigenen Theorien. Dran schuld sind radikale Tierschützer, hat Uwe Wurlitzer, der Parlamentarische Geschäftsführer der Landtagsfraktion der Vaterlandsretter, herausgefunden. Die würden nämlich zu Tausenden Waschbären, Marder, Nutrias und Iltisse aus Pelztierfarmen befreien, die sich dann in der Natur unverfroren breit machten. Das könnte, weil 1:1 auch auf Hessen übertragbar, des Rätsels Lösung sein. Hier zwischen Darmstadt, Wiesbaden, Bad Arolsen und Eschwege, gibt es ja ein flächendeckendes Netz entsprechender Pelztier-KZ’s.
„Füchse und Bären schmälern die Jagdpachteinnahmen“
Aber jetzt ist noch ein ganz neuer Aspekt aufgetaucht, und der ist finanzieller Art. Weil Fuchs und Schupp ja so vielen anderen Tieren den Garaus machten, würden auch die Einnahmen aus der Verpachtung bejagbarer Flächen drastisch sinken, warnen Kläger Michael Stein und seine Co-Autorin Annemarie Schwintuchowski. Dies, weil sich die Höhe der Pachtzahlungen nach dem Tieraufkommen richte. Mehr Waschbären und Füchse auf der einen bedeuten nach ihrer Berechnung weniger nützliche Tiere auf der anderen Seite. Das nenne ich doch mal ein richtiges Totschlagargument!
NACHTRAG, 21. April 2017:
Die nicht nur auf Hessen beschränkte Hexenjagd gegen die Bären geht mit unverminderter Härte weiter. So machte in diesen Tagen eine vom deutschen Jagdverband erstellte „Pressemitteilung“ die mediale Runde durch die Republik, deren Ziel es ist, die Tiere noch dämonischer erscheinen zu lassen als bislang dargestellt. Das Pamphlet wurde von vielen Redaktionen ungeprüft übernommen und 1:1 veröffentlicht, sogar von Spiegel online und dem Greenpeace-Magazin. Auch das ZDF machte sich die „Argumentation“ der Vernichtungsstrategen zu eigen und berichtete unreflektiert, welche invasive Mörderbande da in unserem schönen Land ihr Unwesen treibt.
Indoktrination schon im Kindesalter
Die Krone setzten dem Ganzen die Stuttgarter Nachrichten auf, die das Thema sogar auf ihrer Kinderseite „kindgerecht“ aufbereiteten und den Nachwuchslesern suggerierte, dass es im Interesse aller zwingend notwendig sei, die ungeliebten Kreaturen zu stoppen. Hier setzt die Indoktrination schon früh an, in der Hoffnung, die Saat möge aufgehen. Natürlich fehlt auch bei dieser neuen Offensive der dezente Hinweis nicht, die öffentliche Hand müsse die Jäger für ihren heroischen Kampf gegen die Killerbären finanziell entschädigen.
So sieht sauberer Journalismus aus
Der hehre journalistische Grundsatz “Audiatur et altera pars”, demzufolge stets auch die Gegenseite gehört werden sollte, wurde von den Medien in diesem Fall wieder völlig missachtet. Das wäre ja zu mühselig und aufwändig gewesen. Die Ehre der schreibenden und sendenden Zunft hat da die Badischen Zeitung ein klein wenig wieder hergestellt und den anderen redaktionellen Elfenbeinbewohnern in Deutschland mit der Lizenz zur Deutungshohehit gezeigt, wie man ein solches Thema journalistisch korrekt abhandelt. Die Freiburger erkundigten sich nämlich auch danach, wie ein unabhängiger Wildbiologe den Fall beurteilt. Ulf Hohmann (53) leitet seit 2002 die Forschungsgruppe Wildökologie an der Forschungsanstalt für Waldökologie und Forstwirtschaft in Rheinland-Pfalz. Der Mann, ein anerkannter Waschbärenexperte, der auch über die Population dieser Tiere in Deutschland promoviert hat, räumt im Interview mit gängigen Klischees und Vorurteilen und „Fake News“ auf. Was er zu sagen hat, steht hier:
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