Von Jürgen Heimann
Sie haben ihre besten Tage längst hinter sich. Trotzdem hängen noch zwischen 500.000 und 800.000 Exemplare in Deutschland herum und ab. Verwahrlost aussehende und das kleine Glück verheißende Anachronismen des Konsums. Kaugummiautomaten im Outdoor-Einsatz. Einstige Ikonen des Wirtschaftswunders, die, wie es die Frankfurter Rundschau einmal ausgedrückt hat, “als kuriose Zeugen vergangener Glücksmomente die Optik der alten Bundesrepublik konservieren”. Davon gibt es heute immer noch zehnmal mehr als Bankautomaten. Rein rechnerisch kommen auf jede Schule 15 Exemplare. Neben mit Touchscreen ausgestatteten und über Paypal abrechnenden Warenspendern oder Kaffee-Robots, die das Lieblingsgetränk nach elektronischer Gesichtserkennung ausspucken, wirken diese mechanischen Ewiggestrigen zwar wie aus der Zeit gefallen, haben selbige aber mehr oder weniger unbeschadet und in Aussehen und Design unverändert überdauert.
Wobei sich das Portfolio nicht auf Bubble Gum beschränkt. Süßigkeiten jedweder Art, Spielfiguren, Flummis, Anstecker, Krims- und klebriger Süßkram. Ringe mit unechten Edelsteinen. Phantasiefiguren aus Glibbermasse. Rosafarbene Gummi-Monster, die sich als Fingerkuppe verwenden lassen. Worauf Kinder halt so stehen oder standen, um hier einen Teil ihres ersten Taschengeldes zu investieren. Nicht wenige der heutigen Erwachsenen, die inzwischen achtlos dran vorbeigehen, dürften hier einst ihre erste selbstständige Transaktion als Konsumenten getätigt haben. Die Dinger gehören seit 60 Jahren zum Straßenbild. Was irgendwie auch ihre nostalgische Verklärung nachvollziehbar macht. Sie sind faszinierende Zeitzeugen der eigenen Kindheit.
Auf Augenhöhe mit den Kunden
Es sind meist nicht die ersten Adressen, an denen sich die oft unansehnlichen, verblichenen, verrosteten und mit Dellen übersäten Kästen finden. Grundsätzlich sind sie tief angebracht, damit jedes Kind gut dran kommt. Sie begegnen ihrer Klientel auf Augenhöhe. Den Erwachsenen, für die sie einst Quelle des süßen Glücks waren, reichen sie gerade mal bis zur Hüfte. Entscheidend für die Standortwahl ist das altersgerechte Publikumsaufkommen. Sind eine Grundschule in der Nähe oder ein Kindergarten, eine Haltestelle oder ein Spielplatz, erhöhen sich die Drehmomente. Wodurch Umsatz generiert wird. Obwohl der meist überschaubar ist. Die Spanne bewegt sich je nach Ort, Angebot und Nachfrage zwischen 20 und 100, in Ausnahmefällen 200 Euermännern pro Jahr.
Artefakte aus einer vergangenen Welt
Davon kann kein Anbieter und Bestücker, von denen sich etwa tausend in Deutschland den Markt teilen, leben. Es sei denn, er hat mehrere tausend solcher Pferdchen im Rennen. Aber auch dann ist’s ein mühseliges Geschäft. Zumal die Zeiten hierzulande bevölkerungstechnisch auch nicht mehr so rosig sind. Weniger Kinder, weniger Umsatz. Die aufgeweckten Kids von heute haben mitunter ja auch ganz andere Präferenzen. Sie rennen mit ihren Smartphones durch die Gegend, um bei Pokémon Go ein Relaxo zu fangen, oder lassen sich von Mama und Papa mit dem Auto zum nächsten Termin chauffieren, anstatt “uff de Gass” als Spontankäufer und im Vorbeigehen den Verlockungen eines Automatenschnäppchens zu erliegen. Ganz davon abgesehen, dass sich vielen Bedeutung und Zweck dieser Konstruktionen gar nicht erschließen. Sie erscheinen wie Artefakte aus einer anderen Welt.
Längst keine Goldgruben mehr
Die Geräte müssen (mehr oder weniger regelmäßig) befüllt werden. Das rote Metallgerüst bleibt hängen, lediglich das Innenmodul mit den Leckerlies wird ausgewechselt. Kosten entstehen aber auch durch die Anfahrten und die Wartung. Das Glas muss gesäubert, Drehgriff und Münzschlitz geölt werden. Die Kästen sind ob ihrer robusten Bauart und simplen Mechanik zwar fast unkaputtbar, aber es werden auch immer wieder Dinge in die Geldschlitze hineingesteckt, die dort nicht hingehören. Oder in den Ausgabeschacht. Vor und nach Silvester sind das bevorzugt Böller. Und dann geht schon mal die Plexiglasscheibe entzwei. So ein ausgewachsener Chinakracher kann enorme Sprengkraft entfalten. Auflagen von Gesundheitsbehörden und Ordnungsämtern müssen befolgt werden, während in manchen Städten sogar eine “Luftraumsteuer” fällig wird. Eben auch für entsprechende Automaten, die in den öffentlichen Raum hineinragen.
Die Eigentümer jener Gebäude, an denen die Tag und Nacht geöffneten Bonsai-Kioske angebracht sind, wollen ebenfalls nicht ganz leer ausgehen. Sie werden in der Regel mit 10 bis 20 Prozent am Umsatz beteiligt, bekommen prozentual also mehr als bei einem Zigarettenautomaten. Aufs Jahr gerechnet reicht dieses Zubrot aber meist noch nicht mal für eine Tüte frischer Sonntagsbrötchen.
Zwischen “Bubble King” und “Happy Stickies”
Selbst an sonnigen Tagen ist es schwierig, einen potentiellen Interessenten oder waschechten Automatenkunden auf frischer Tat zu ertappen. Weiß der Himmel, zu welch unchristlichen Zeiten die normalerweise zuschlagen und ihre Transaktionen abwickeln. Aber es muss sie geben. Sonst wären die optisch so abgegriffenen und oft mit Filzstiftbotschaften und/oder Schmierereien dekorierten Objekte ja längst ausgestorben – so wie die Dino-Saurier. Aber sie halten sich mehr oder weniger wacker und trotzen dem Konsumverhalten der Moderne. Es sind Solisten, oder sie kommen als Zwei-Schacht-Geräte daher. Mitunter stehen auch drei und mehr Warenkammern zur Verfügung, was die Angebotsvielfalt entsprechend erhöht.
Eine der bunten Kaugummikugeln kostet 10 Cents. Das gibt’s im Supermarkt als Megapack deutlich preiswerter, nur eben nicht in dieser Gestalt. Die hält nur der Großhandel vor. Und sie kommen in der Regel aus China. Für in Kapseln eingebettete Spielwaren, Kriegerfiguren oder Plastikschmuck “made in Fernost” werden je nachdem 20 oder 50 Cents fällig. Mitunter auch schon mal ein ganzer Eurodollar. Da überlegt sich der kleine Kunde die Investition schon sehr genau und muss sich schweren Herzens entscheiden. Nehme ich den “BubbleKing”, die “Spooky Eyes”, das “Rainbow Bracelet”, die “Happy Stickies” oder doch lieber den Goldring mit den rosa Steinchen? Die Schleimpeitsche, die im Dunklen leuchtet, wäre auch nicht schlecht. Oder der Schlüsselanhänger mit dem Traktor.
Was rauskommt ist oft Glückssache
Eine 90-Grad-Drehung und die Tür zum Billigspielzeughimmel öffnet sich einen kleinen Spalt. Und dann die Spannung, ob denn nun auch wirklich der gewünschte Artikel durch die Klappe rutscht oder etwas anderes dabei herausspringt. Oft lässt sich das nämlich nicht voraussagen. Was für viele “User” auch den besonderen Reiz ausmacht. Es hilft meistens wenig, dann gleich noch mal sein Glück zu versuchen. Denn die Automaten werden schichtweise befüllt, eine Lage Klimbim, eine Lage Kaugummi usw. Wenn also gerade ein Kaugummi rauskam, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass der nächste Versuch ein ähnliches Resultat zeitigt. Aber dann gibt es vielleicht statt eines “Maxy Galaxy” ein “Outrange Orange”.
Inzwischen auch beliebte Sammlerstücke
Diese kultigen Automaten gelten, ihrer ursprünglichen Umgebung entrissen und ihres eigentlichen Zweckes beraubt, inzwischen auch als beliebte Sammlerstücke. Bei ebay werden gut erhaltene Originale für 60 bis 90 Euro angeboten und erleben dann als Deko im Wohnzimmer ihren zweiten Frühling. Für 2018 gibt es sogar einen entsprechenden Jahreskalender, der sich ausschließlich auf solche Motive konzentriert. Kosten je nach Format zwischen 15,99 und 52,89 EUR. Und als Puzzlevorlage gibt es sie auch. Eine Reihe namhafter Fotografen/innen wie Merle Seedorf haben ihnen Ausstellungen gewidmet. Motto: “Was dabei herauskommt”. Während der Berliner Künstler Max Schwarck die Kästen seit Jahren porträtiert und daraus eine eigene Serie generiert hat. Titel: “Sticky Art Machines”. Was beweist, dass diese nicht nur die Phantasie von Kindern beflügeln.