Von Jürgen Heimann
Für welche Klamotten wir uns beim Griff in den (meist hoffnungslos überfüllten) Kleiderschrank morgens auch entscheiden, Plastik bzw. Chemie ist immer dabei. Ein Blick aufs Etikett, und es wird deutlich: Ohne Synthetikstoffe läuft heute so gut nix mehr. Wobei Polyester mit einem Anteil von 60 Prozent unangefochten die textilen Charts anführt. Man kennt das Zeugs unter Markennamen wie Trevira, Diolen oder Polartec. Es ist, wie unsere Volkskanzlerin sagen würde, “alternativlos” – und bei der Herstellung von Bekleidung längst unverzichtbar, was in gleichem Maße für Fleece und Acryl gilt. Das Material hat unbestreitbare Vorzüge. Aber auch gravierende Nachteile. Es ist preiswert, ebenso wie die daraus hergestellte Garderobe, die leicht, langlebig, formstabil und meist knitterfrei daher kommt und außerdem angenehm zu tragen ist. Daran haben in Folge jedoch unsere Meere, unser Planet und letztlich wieder wir zu tragen, das dann aber schwer….
So kann es passieren, dass uns ein (klitzekleiner) Teil des Lieblings-T-Shirts auf dem Mittagstisch wieder begegnet – obwohl es doch frisch gereinigt im Schrank hängt. Beim Waschen lösen sich Mikrofasern daraus, die die dumme Angewohnheit haben, sich nicht durch natürliche Prozesse abzubauen. Sie sind gegen den Zahn der Zeit gefeit und überleben hunderte von Jahren. Diese mikroskopisch kleinen Winzlinge gelangen, so sie in der Kläranlage ertappt werden, über den entsorgten Klärschlamm zurück ins Erdreich und finden sich dann irgendwann in unseren Nahrungsmitteln oder im Trinkwasser wieder.
1,53 Mio. Tonnen Mikrofasern landen jährlich im Meer
Schlüpfen die Flusen hingegen durchs mehr oder weniger engmaschige Klärwerk-Netz, was in 40 Prozent der Fälle so ist, führt der weitere Weg über die Flüsse ins Meer. Ihr jährlich um 1,53 Millionen Tonnen aufgestockter Anteil am dort herum dümpelnden Plastikschrott beträgt inzwischen zwischen 15 und 31 Prozent. Was auf Europa und Zentralasien bezogen bedeutet, dass jeder Bürger jährlich den Gegenwert von 54 Plastiktüten ins Meer spült. Die Geschuppten, doof wie sie sind, verwechseln die Mikrofasern mit Plankton und bringen sie uns später Nahrungsketten-technisch bedingt zurück auf den Tisch. Angereichert mit vielen weiteren giftigen Substanzen. Die Redensart “sich den Mund fusselig reden” resultiert vermutlich daraus.
Plastik enthält nicht nur selbst Giftstoffe, sondern wirkt beim Schwimmen durch den Ozean wie ein wahrer Gift-Magnet: Auf der glatten Oberfläche sammelt sich nach und nach immer mehr Toxisches an, das von Fischen, Garnelen und Krebsen verspeist wird und sich in deren Fettgewebe ablagert. Diese Zutaten können wie Hormone wirken, krebserregend sein und die Fruchtbarkeit schädigen. Wenn der Ehefrau also über Nacht ein Bart wächst und sie Anzeichen von Brustbehaarung zeigt, hat sie vermutlich einen entsprechend belasteten Alaska-Seelachs gegessen.
Bis 2050 mehr Plastikmüll als Fische in den Ozeanen
Die Verschmutzung der zur großen Müllhalden verkommenen Ozeane ist ja ein Thema für sich. Sie ähneln heute schon einer Plastiksuppe. Jährlich landen fast sieben Milliarden Tonnen an Kunststoffen darin. Im Jahr 2025 wird in den Weltmeeren auf jeweils drei Tonnen Fisch eine Tonne Kunststoff kommen. Bis 2050 wird ihr Gewicht das der Fische überholt haben. Jeder Quadratmeter enthält bis zu 46.000 Teile davon. Die Menge ist so groß, dass sie sogar aus dem Orbit zu erkennen ist. Nun sollte man sich vor Augen führen, dass den Menschen jeder Atemzug mit den Ozeanen verbindet. Der Großteil des von uns benötigten Sauerstoffs wird von ihnen erzeugt. Sie regulieren das Klima und das Wetter und machen aus Wasser regenspendende Wolken. Und sie sind Heimat für fast 80 Prozent aller Lebewesen der Erde. Wie deren Verschmutzung zustande kommt und welcher fatale Kreislauf dadurch in Gang gesetzt wird, veranschaulicht diese animierte Video:
Aktuell läuft eine internationale, an alle Staats- und Regierungschef der Welt gerichtete Online-Kampagne, diesen auf Dauer selbstmörderischen Wahnsinn zu stoppen. Unterstützten kann man diese Aktion hier.
An die Adresse der EU richtet sich eine ähnliche von der Bürgerbewegung Campact gestartete Initiative. Die Eurokraten in Brüssel haben das Thema inzwischen auch auf dem Radar und planen gesetzliche Verschärfungen. Campact gehen die Pläne jedoch nicht weit genug. Worauf es nach Ansicht der Berliner Organisation ankommt und wie der Verbraucher den Forderungen Nachdruck verleihen kann, steht hier: Ein entsprechender Video-Trailer zur Aktion:
Aber am tückischsten, siehe oben, sind die Minis, die man mit bloßem Auge nicht sieht. Sie zerfasern und verselbstständigen sich bei jeder Maschinenwäsche. Fleece-Pullover verlieren einer Studie zufolge 1.900 Fasern pro Waschgang, während es bei einem Polyester-Hemd nur halb so viele sind. Aber die Acryl-Hose reißt es dann wieder raus. Bei einer 6-Kilo-Ladung verabschieden sich bis zu 700.000 Kunststofffasern durch den Abfluss. Mikroplastik in kaum sichtbarer, mit bloßem Auge nicht erkennbarer Gestalt feiner Kügelchen findet sich daneben auch in den meisten Peelings, Duschgels, Zahncremes, Shampoos und als Füllstoff in Make-Ups, Lippenstiften und Cremes. Völlig egal, ob da nun Nivea, bebe, Palmolive, Isana oder adidas draufsteht.
Von dem anfallenden Verpackungsmüll wollen wir gar nicht reden. Das Kölner Institut der deutschen Wirtschaft hat ausgerechnet, dass jeder Deutsche 37 Kilo Plastikmüll pro Jahr produziert. Davon werden nur 42 Prozent recycelt. Der Rest landet auf Umwegen im Meer. Schon an dieser Stelle könnte jeder einen eigenen Beitrag dazu leisten, das Aufkommen zu verringern. Indem er beispielsweise Seife statt Duschgel benutzt, das ja fast ausschließlich in Kunststoffflaschen vertrieben wird. Oder man verbannt die Plastikzahnbürste aus dem Badezimmer und verwendet stattdessen ein entsprechendes Tool aus Bambus. Und die praktischen blau-weißen Wattestäbchen, mit denen sich die Gehörgänge reinigen oder der Rest der Mascara vom Augenlid putzen lässt, gibt es längst in einer Papier- und Baumwollversion.
Die Deutschen besitzen 5,2 Milliarden Kleidungsstücke
Das Problem ist aber weniger die Reinlichkeit der Verbraucher. Sondern deren Hang zu immer neuen Outfits. Laut Greenpeace besitzen die Deutschen 5,2 Milliarden Kleidungsstücke. 40 Prozent davon werden selten oder nie angezogen. Jeder Michel und jede Micheline, Kinder und Greise eingeschlossen, kauft im Durchschnitt zwischen 60 und 70 neue textile Zubehörteile pro Jahr. Nicht nur gezielt in der Mode-Boutique, sondern meist sogar als Mitnahmeprodukte, im Vorbeigehen im Supermarkt, bei Ikea oder im Drogeriemarkt. Das sind Wegwerfartikel mit der Halbwertzeit einer Party-Nacht, wie es die große Umweltorganisation formuliert.
Bis zu 14 neue Kollektionen im Jahr
Die Kollektionen der großen Chic-Produzenten, ob das nun H&M oder Zara, Pimkie oder Mango sind, wechseln immer häufiger und schneller. Man nennt das Fast-Fashion. Bis zu 14 neue Linien werfen die großen Textilketten pro Saison auf den Markt. Und kaum sind sie draußen, tönt schon der Rabattschlacht-Lärm. Man kann das in diesem Frühjahr wieder schön beobachten. Der Frühling war noch gar nicht richtig eingeläutet, da gab es Ende März schon den „Mid Season Sale“, eine Art Zwischenschlussverkauf mit Preisnachlässen von bis zu 50 Prozent. Ist doch klar, dass notorische Schnäppchenjäger dann zuschlagen, obwohl sie vielleicht gar keine neuen Klamotten brauchen.
Produktion am wirklichen Bedarf vorbei
Der zum Teil auch durch hohe Baumwollpreise ausgelöste Polyester-Höhenflug hat dazu geführt, das weltweit im Jahr 2014 hundert Milliarden neue Kleidungsstücke hergestellt wurden – völlig am tatsächlichen Bedarf vorbei. Die können nie und nimmer alle getragen werden. Zwischen 2005 und 2012 hat sich der Ausstoß fast verdoppelt. Die Klamotten werden billig verkauft – und, wenn überhaupt, nur wenige Male getragen. Dann liegen sie unbeachtet in der Schrankecke oder wandern früher oder später in den Müll, im günstigsten Fall in den Altkleider-Container. Was aber letztlich auch nix bringt, denn: Recyclingfähig sind die wenigsten Teile. Weil sie ja nicht nur aus einer einzigen Kunstfaserlinie zusammengeschustert wurden, sondern viele weitere synthetische und auch natürliche Komponenten wie Baumwolle beinhalten. Letzteres, damit sich der Inhalt nicht so wie seine Verpackung anfühlt.
Die einzelnen Bestandteile wieder voneinander zu trennen, ist ein so gut wie aussichtsloses Unterfangen. Also enden die Teile mit etwas Glück als Putzlappen oder Dämmstoff. Auf ein Neues. Und wenn die großen modischen Konzerne beispielsweise Kreationen aus 100 % recyceltem Polyester präsentieren, sind das Leuchtturm- und Prestigeprojekte, die nur der Augenwischerei dienen. Es handelt sich um “Sondermodelle”, deren Material in der Regel aus PET-Flaschen gewonnen wird und wurde.
Baumwolle spielt längst keine Rolle mehr
Die Forschung arbeitet zwar daran, Polyesterstoffe ökologisch zu optimieren, aber so richtig funktioniert das immer noch nicht. Mit den neuen Fasern ist es noch nicht möglich, bestimmte Materialqualitäten zu erreichen. Baumwolle ist ebenfalls keine Alternative, auch wenn solche, sofern sie aus biologischem Anbau kommt, ökologisch betrachtet das Non-Plus-Ultra darstellt. Von diesem sauberen Rohstoff werden weltweit aber gerade mal 12.000 Tonnen eingefahren, der faserige Gesamtbedarf liegt aber global bei 61 Millionen Tonnen. 40 Prozent davon steuert der konventionelle Baumwollanbau bei, andere Naturfasern wie Wolle, Flachs oder Hanf fallen mengenmäßig kaum ins Gewicht.
C&A bringt vollkompostierbares T-Shirt heraus
Inzwischen hat die Handelskette C&A, zu deren Imperium 1.600 Modehäuser in 22 Ländern gehören, ein vollkompostierbares T-Shirt aus Bio-Baumwolle aufgelegt. In einer Stückzahl von einer halben Million. Das ist zwar ein positiver Ansatz und auch gut fürs Image, behebt aber das Gesamtproblem mangelnder Nachhaltigkeit und Langlebigkeit nicht. Auch wenn diese Linie nach dem sogenannten Cradle-to-Cradle-Goldstandard zertifiziert wird. Das bedeutet, dass beim Produktionsprozess darauf geachtet wird, die Umwelt und die Gesundheit der mit der Herstellung Beschäftigten zu schützen, beispielsweise durch die Verwendung ungiftiger Farben. Auch Energieverbrauch und der Umgang mit Wasser sollen verbessert worden sein. An der Wegwerfmentalität der Konsumenten wird sich dadurch ja im Prinzip nichts ändern, wenn diesen in immer kürzeren Abständen neue Kollektionen vorgesetzt werden. Hier muss ein Umdenken auf beiden Seiten einsetzen.
Im Vergleich zu “normal” angebauter Baumwolle schneiden Synthetics in der Ökobilanz erst einmal gar nicht so übel ab. Der Baumwollanbau geht nämlich mit einem riesigen Wasserbedarf einher. 8.000 Liter sind notwendig, um ein Kilo Baumwollfasern zu erzeugen. Polyacryl ist da mit 210 Litern weit weniger durstig. Die Schwachstelle der petro-chemischen Fraktion ist jedoch ihr Energieverbrauch, der beispielsweise für Polyester doppelt so hoch ausfällt wie für Baumwolle. Für Polyacryl dreimal so hoch. Der Rohstoff Erdöl, der benötigt wird, ist ja nicht erneuerbar. Eingerechnet in die Öko-Bilanz müssen zudem auch Umweltschäden bei der Rohölproduktion wie die Verseuchung von Regenwald, Tankerhavarien und der Energiegehalt der Ausgangsstoffe.
Ein Verzicht auf Kunstfasern ist utopisch
Aber es gibt keine Alternative dazu. Ein Verzicht auf Kunstfasern ist utopisch. Auch oder vor allem die Sportbekleidungsbranche kommt längst nicht mehr ohne aus. Wer will schon in muffige Baumwollsack und Asche gewandet durch die Pampa traben, wo es doch für das Outdoor-Training atmungsaktive, schmutzabweisende, gegen Nässe, Kälte und Wind schützende High-Tech-Dienstkleidung aus Elastan, Polyester und Polypropylen mit integriertem Wärme- und Feuchtigkeitsaustausch gibt? Muss und tut auch keiner. Allerdings: In den meisten Outdoor-Artikeln sind zum Teil hohe Konzentrationen von fluorierten Chemikalien (PFC) zu finden. Schädliche Substanzen, die sowohl bei der Herstellung der Sachen als auch beim Tragen in die Umwelt entweichen und ebenfalls im Verdacht stehen, Krebs erregend zu sein und sich auf Hormonhaushalt und Immunsystem auszuwirken. Deshalb empfiehlt es sich, neue Kleidungsstücke vor dem ersten Tragen unbedingt zu waschen. Andernfalls kann der Chemie-Cocktail über den direkten Hautkontakt in unseren Körper dringen – vor allem, wenn wir schwitzen. Die Aufnahme der Chemikalien ist ebenso durch die Atemluft möglich.
Kein neues Kostüm, dafür einen Satz Staubsaugerbeutel
Andererseits: In der extrem hohen Langlebigkeit der kleidsamen Synthetic-Textilien liegt ja auch eine Chance. Die halten schon ein paar Jährchen verlustfrei durch. Da muss frau sich nicht alle paar Wochen ein neues Fitness-Dress, ein Top oder eine neue Bluse zulegen. Gilt für die Herren der Schöpfung allerdings auch, beispielsweise für die Krawattensammler, Oberhemden-Freaks und Armani-Dandys unter diesen. Und sollte sich die bessere Hälfte, die ja bereits einen ganzen Schrank voll nix zum Anziehen hat, zum Geburtstag ein neues Kostüm von Jil Sander oder Gaultier wünschen, was dann schon das 34. so gut wie nie oder kaum getragene in ihrer bescheidenen Kollektion wäre, gibt’s stattdessen einen mit Liebe verpackten und mit roten Schleifchen garnierten XXL-Satz Staubsaugerbeutel für den neuen Vorwerk…. 🙂