Von Jürgen Heimann
Das Ergebnis war eindeutig – und irgendwie auch vorhersehbar: Patrick Stanke geht aus der Tecklenburger Spielsaison 2018 nicht nur gestärkt, sondern auch als beliebtester und bester Darsteller hervor. Der Wuppertaler konnte mit Abstand die meisten Zuschauer-Voten auf sich ziehen. Im Rahmen einer vom Musicalmagazin “Da Capo” initiierten Umfrage hatte das Publikum die Möglichkeit gehabt, seinen Prinzen bzw. seine Prinzessin zu küren. Und nutzte sie.
Stanke hat mit seiner packenden, intensiven Auslegung der Rolle des “Jean Valjean” in “Les Misérables” neue Maßstäbe gesetzt. Am Sommerbroadway des Münsterlandes ist man einiges gewohnt, aber selten zuvor hat ein Künstler so viel Applaus eingefahren wie der Tausendsassa aus dem Bergischen Land. Zu Recht! Was Stanke mit der auf die nackte Brust gemalten Sträflingsnummer “24601” stimmlich und mimisch in dem auf der Romanvorlage von Victor Hugo “Die Elenden” basierenden Musicalklassikers ablieferte, hatte Champions -League-Niveau.
Claude-Michel Schönberg (Musik) und Alain Boublil, die geistigen Väter dieses unsterblichen Bühnen-Hits, hätten ihre helle Freude an der Performance des umtriebigen Künstlers gehabt. Selbst Cameron Mackintosh, der penible Ur-Produzent und Rechteinhaber, mag seine anfänglichen Zweifel, ob die Macher um Intendant Radulf Beuleke das hinkriegen, inzwischen komplett über Bord geworfen haben.
Zur Not gibt er auch die Kaiserin von Österreich
Stanke, nebenbei auch als Regisseur und Rocksänger unterwegs, ist im Münsterländischen eine feste Größe und hat hier in zahlreichen bedeutenden Inszenierungen die Hauptrolle gespielt, beispielsweise bei “Mozart!”, “Jekyll & Hyde” oder “Jesus Christ Superstar”. Und immer waren da im Vorfeld Schlaumeier gewesen, die ob dieser Personalie die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen hatten – bildlich gesprochen. Nachzulesen in den einschlägigen Musicalforen. Und bisher jedes Mal konnte der Künstler alle Kritiker und Dummschwätzer eines Besseren belehren. Der Wuppertaler gilt inzwischen als universelle Vielzweckwaffe, dem man zutraut, wenn’s denn sein müsste, sogar die Kaiserin von Österreich in “Elisabeth” glaubwürdig zu verkörpern 🙂
Im deutschsprachigen Raum hat es wohl noch nie eine Les-Miz-Produktion gegeben, die mit der Tecklenburger Version vergleichbar war bzw. hat mithalten können. Hier stimmte alles. Die von Ulrich Wiggers zu verantwortende Inszenierung ist ein Meilenstein in der 38jährigen Geschichte dieses durchkomponierten Bühentraums, der seine Uraufführung 1980 in Paris erlebt hatte. Das Stück wurde in 38 Ländern und 227 Städten gespielt. Mehr als 51 Millionen Menschen haben es gesehen. Stand 2005. Inzwischen dürften es ein paar mehr sein. Hier eine kleine Kostprobe:
Les Misérables: 24 mal Full House
Und in Tecklenburg, der mit 1.700 Sitzplätzen größten Musical-Freilichtbühne Deutschlands, blieb während der Aufführungsreihe kein Stuhl unbesetzt. Full House. Am kommenden Samstag (15. September) fällt der imaginäre Vorhang nach 24 Shows letztmalig – und bleibt unten. Vor zwölf Jahren hatte das zu Tränen rührende Stück in Tecklenburg schon einmal auf dem Spielplan gestanden – damals mit Chris Murray in der Hauptrolle. Und der hatte, wie heute Stanke, vielen seiner Valjean-Vorgänger an anderen Spielstätten gezeigt, wo der Hammer hing.
Bei der Personalauswahl hatten die Münsterländern schon immer das richtige Näschen und ein glückliches Händchen. Damals wie heute. Das fing diesmal bei “F” wie Florian Peters als Marius an und hörte bei “J” wie Jens Janke als Schlitzohr-Wirt Thènardier noch lange nicht auf. In die Rolle des gerissenen Gastro-Clowns war als “Ausputzer” auch einmal der Regisseur geschlüpft: Ulrich Wiggers. Um zu zeigen, dass er vor den Kulissen genau so souverän agiert wie hinter selbigen. Allerdings hatte der Mann den Kneipier auch in Berlin schon über hundert Mal gegeben.
Ein Law & Order-Bulle wie aus dem Bilderbuch
Die Rolle des Inspektor Javerts mit Kevin Tarte zu besetzen, darauf war bislang auch noch niemand gekommen. Und der Graf Krolock i.R. schlug als Law & Order-Bulle ein wie eine Granate. Der Mann war nie besser. Das Publikum honorierte das entsprechend – nicht nur durch Beifall. Tarte landete im Beliebtheits-Ranking der männlichen Darsteller auf Platz zwei, gefolgt von den Spamelots Thomas Höhler (Sir Robin), Frank Winkels (König Artus) und Robert Meyer (Patsy).
Bei den Ladys hingegen gab es eine faustdicke Überraschung. Wer da Wetten auf den Ausgang des Contests abgeschlossen hätte, wäre seinen Einsatz los gewesen. Die Fee aus dem See ließ alle hinter sich und tauchte plötzlich aus dem Wasser auf: Femke Soetenga.
Die (nicht nur in Tecklenburg) beliebte Aktrice konnte die meisten aller Stimmen auf sich vereinigen. In Spamelot, dem Zweitstück der aktuellen Saison, machte sie als Wasserprinzessin eine Top-Figur. Auf den weiteren Positionen der Beliebtheitsskala folgen dann wiederum ausschließlich Les Misérables-Aktivistinnen: Milica Jovanovic (Fantine), Lasarah Sattler (Eponine), Daniela Braun (Cosette) und Frau Wirtin Bettina Meske.
Zwischen Don Camillo und Doktor Schiwago
Die Ritter der Tafelrunde haben ihre Schwerter inzwischen wieder im Waffenschrank eingeschlossen. Der Monty-Python-Brüller Spamalot ist seit dem 7. September Geschichte und erlebte im Theater auf der Burg 17 Aufführungen.
Die Weichen für die nächste Saison sind indes schon gestellt. Und dann treffen hier ein kommunistischer Dorfbürgermeister und ein schlitzohriger katholischer Priester aufeinander: Don Camilllo & Pepone. Die Bühnenadaption der berühmten Romanvorlage von Giovannio Guarweschi steht ab dem 21. Juni 2019 auf dem Spielplan. Das Stück stammt aus den Federn von Dario Farina und Michael Kunze. Und ab dem 26. Juli wird’s dann dramatisch, leidenschaftlich und ergreifend – wenn “Doktor Schiwago” seinen Arztkoffer auspackt.