Von Jürgen Heimann
Vergessen wir Heidegger, Nietzsche, Kant, Schopenhauer, Habermas und Hegel. Auch Goethe, Kleist, Hölderlin, Heine und Hesse waren vergleichsweise kleine Lichter. Das gilt ebenso für Einstein und Kepler, Heisenberg, Braun und Hahn. Wir reden vom Otto, nicht vom Olli. Der heißt ja außerdem auch Kahn. Die wahren Geistesgrößen, Philosophen und intellektuellen Überflieger findet man im Fußballstadion – auf dem grünen Rasen, auf der Trainerbank, den Vorstandsetagen der Clubs oder in den Kabinen der TV- und Rundfunkmoderatoren. Ob sie nun Lothar Matthäus, Rudi Völler, Mehmet Scholl, (“Super”-)Mario Basler, Matthias Sammer oder Gerhard Delling heißen.
Das sind die wahren Dichter und Denker, Philosophen und wissenschaftlichen Wegbereiter, die dank ihrer überragenden Erkenntnisfähigkeit den Lauf der Dinge und die Entwicklung der Menschheit wesentlich vorangebracht haben und das Abendland vor der Barbarei des nur so daher Gesagten bewahren. Und diese mentalen Einzeller werden auch nicht müde, es weiterhin zu tun. Auch wenn sich der ein oder andere mittelmäßig bemittelte Kohlenstoffler schon mal in diesen erlauchten Kreis mogelt, was allerdings schon ziemlich versorgnisbergend ist. Die Welt gehört schließlich all jenen, die lauter denken als andere schreien. Und sie sind wie Tautropfen der Labsal, weil die intellektuelle Wüste so groß geworden ist.
Bis zum Beweis des Gegenteils gilt Torwarttrainer Stefan Wessels fundamentale Einsicht: “Es ist nicht immer alles wahr, was stimmt“ – zumal die Realität ja oft noch krasser als die Wirklichkeit daherkommt. Die inhaltliche Sprengkraft dieser Schlussfolgerung ist immens. Weshalb man auch Johannes B. Kerners gut gemeinten, während einer besonders spannenden Partie erteilten Rat berücksichtigen sollte: „Halten Sie die Luft an, aber vergessen Sie das Atmen nicht.“ Denn: “Gerade in einem Spiel, in dem die Nerven blank liegen, muss man sein wahres Gesicht zeigen und die Hosen runter lassen!“ (Alexander Strehmel). Dabei sollte man aber nie den Blick für das Wesentliche verlieren. Um es mit Andreas Brehme zu formulieren: “Das Unmögliche möglich zu machen wird ein Ding der Unmöglichkeit.“ Während Jürgen Klinsmann, bis Ende letzten Jahres National-Coach der US-Treter, beklagte, “dass wir noch nicht so aufgetellt sind, wie wir das gerne wollen würden”.
Hochdeutsch als zweite Fremdsprache
Viele unserer der Ballartisten sind polyglott aufgewachsen, beherrschen neben der Muttersprache meist eine oder mehrere Fremdsprachen, (grammatikalisch korrektes) Hochdeutsch inklusive: „Das sind Gefühle, wo man schwer beschreiben kann.“ (Jürgen Klinsmann). Aber auch Englisch ist weit verbreitet. Um es mit dem unvergleichlichen “Loddar” M. zu formulieren: „Jeder, der mich kennt und der mich reden gehört hat, weiß genau, dass ich bald englisch in sechs oder auch in vier Wochen so gut spreche und Interviews geben kann, die jeder Deutsche versteht.“ Den Beweis lieferte er prompt: „I hope, we have a little bit lucky“! Sprach’s und steckte den Sand in den Kopf, “wo wir ihn jetzt aber nicht stecken lassen dürfen” (Timo Rost). Nun ist ja gerade Herr Matthäus bekannt dafür, dass er keinen Wermutstropfen vor den Mund nimmt und sagt, was er denkt. Und wenn er nicht denkt, sagt er trotzdem was. Aber man muss ihm zugutehalten, dass er nie die Constanze verliert….
Über Karotten im Tunnel nicht das Knie brechen
Mit bildhaften Redensarten haben es die belesenen Balltreter ganz besonders: Da muss dann auch mal einer “die Hand ins Heft nehmen”, wie es Ex-Nationalspieler Thomas Helmer einst tat. Da war sein britischer Kollege Stuart Pearce schon ein ganzes Stück weiter, als er die “Karotte am Ende des Tunnels” zu sehen glaubte. Dabei heißt es doch “Am Ende des Horizonts ist ein Tunnel”. Aber das sei “Schnee von morgen”, konterte Jens Jeremies (1860 München), der offenbar aus dem gleichen Pulver geschnitzt ist. Nicht ausgeschlossen auch, dass hier jemand “Äpfel und Birnen durcheinander geworfen hat” (Berti Vogts). Aber: “Wie so oft, liegt auch hier die Mitte in der Wahrheit.“ (Rudi Völler). Man kommt irgendwie auf keinen grünen Nenner und muss aus diesem Grund böse Miene zum guten Spiel machen. Deshalb sollte man über Tante Käthe “jetzt nicht das Knie brechen”, zumal letztere selbst einst “ohne Tal und Fehdel” gespielt hat (Reporter Jochen Galeit), was Reiner Calmund ein paar Jahre später dazu veranlasste, die Arme hochzukrempeln. Apropos: Der “Calli”, der ist ja gar nicht dick. Der Mann hat lediglich Körpermumps oder steht halt auf der falschen Seite der Ernährungstabelle. An seiner Leibesfülle sind die Diätbücher mehrerer Jahrtausende wirkungslos abgeprallt. Aber lieber etwas Speck auf den Hüften als Magersucht im Gehirn.
Das muss man sich jetzt mal auf der Zunge vorstellen. Das hätte jetzt auch von Thorsten Legat (“Ich bin prima in die Mannschaft intrigiert.”) stammen können, ist aber auf dem Mist von Kabarettist Ralf Miller gewachsen. Er und seine Kollegen könnten sich das Leben wesentlich einfacher machen. Statt stundenlang an pfiffigen Formulierungen und Pointen zu feilen, müssten sie nur unseren Fußballhelden aufs Maul schauen. Der nächste Auftritt wäre gerettet.
Die Finger in den Wunden unter den Tisch gekehrt
Dass Lothar Matthäus ein Privatleben eher privat genießt und Karl-Heinz Körbel seine Eintracht vom Pech begünstig sieht, nehmen wir mal kommentarlos hin. Kamm drüber, Schwamm drauf. Gilt auch für das zerknirschte Eingeständnis von Lorenz-Günther Köstner, „dass man fehlende Cleverness habe vermissen lassen“. Aber was Paul Breitner da fertig gebracht hat, als er “seine Finger in die Wunden legte, die sonst unter den Tisch gekehrt worden wären”, macht ihm so schnell keiner nach. Ist schon starker Tee, oder Tobak, oder was auch immer. Vielleicht hatte Potato-Paule aber auch irgendetwas geraucht…? Von ihm stammt ja auch der Satz „Da kam dann das Elfmeterschießen. Wir hatten alle die Hosen voll, aber bei mir lief´s ganz flüssig.“ Davon abgesehen: Er und die Seinen haben ja sowieso “den Blick für Orte, wo man sich die Seele hängen und baumeln lassen kann”(Gerhard Delling).
Wer den Himmel auf Erden sucht, hat bekanntlich im Erdkundeunterricht nicht richtig aufgepasst. Gilt auch für Mehmet Scholl, der, nach seinem Urlaubsziel befragt, verkündete: „Ich fliege irgendwo in den Süden – nach Kanada oder so“. Das liegt irgendwo im Spezifischen Ozean. Bei Heribert Faßbender gibt es neben einigen Nachhilfeeinheiten in Geografie auch noch etwas Völkerkunde dazu: „Die Saudis sind übrigens Asienmeister, obwohl das ebenso wenig Asiaten sind wie die Türken Europäer. Die Saudis haben ja gar keine Mandelaugen, wie man das von Asiaten erwartet. Das sind eher Araber statt Asiaten.” Alles klar? Derselbe TV-Kommentator warnte ja auch: „Die Polen darf man nicht unterschätzen. Diese Balkan-Kicker sind unberechenbar!“ Und dass Portugal mit fünf Ausländern spiele, darüber hatte uns einst Bela Rethy in einer Live-Reportage in Kenntnis gesetzt. Felix Magath assistierte, als er von “europäischer Weltklasse” sprach, während Andy Möller („Ich hatte vom Feeling her ein gutes Gefühl.“) klare Vorstellungen hatte, wo er gerne unter Vertrag stehen würde: „Mailand oder Madrid – Hauptsache Italien!“ Der Mann glaubt ja bis heute, “Nutella” sei das italienische Wort für “Prostituierte”.
Oberschenkelzerrung am linken Fuß
Wichtigstes Kapital der Fußballer ist ihr in unzähligen, schweißtreibenden Trainingsstunden gestählter Athletenkörper. Das Hirn ist da nicht so wichtig, zumal die meisten die es umgebende Hülle sowieso nur zum Köpfen des Balls einsetzen. Und weil das so ist, kennen sich die Herren auch in Anatomie und Medizin bestens aus. Auf jeden Fall gehöre der Oberarm zur Hand, hat Bela Rethy einmal unmissverständlich klargestellt. Guido Buchwalds Selbstdiagnose, er habe eine Oberschenkelzerrung im linken Fuß, hätte jeden Orthopädie-Professor vor Neid erblassen lassen. Schwer erwischt hatte es auch einmal Thomas Strunz, aber er trug’s mit Humor: „Es ist ein Sehnenabriss am Schambeinknochen. Hört sich lustig an, ist aber trotzdem beim Fußball passiert“.Und dass die Sanitäter ihm sofort eine „Invasion“ gelegt hätten, wie Fritz Walter jun. weiland nach einem an ihm begangenen Foul berichtete, lässt vermuten, dass es sich bei den Ersthelfern um nur in militärischen Kategorien denkende Angehörige des Sanitätskorps der Bundeswehr gehandelt hat.
Es ist ja bekannt, dass es auf dem grünen Rasen nicht immer ganz gewaltfrei zugeht. Er jedenfalls könne sich an keine Begegnung erinnern, bei der so viele Spieler mit der “Barriere vom Platz getragen” worden seien, bilanzierte Michael Lusch nach einer besonders ruppigen Partie. Dabei habe er seinen Gegner doch nur leicht retuschiert, entschuldigte sich Olaf Thon bei anderer Gelegenheit. Die Ankündigung von Michael Tarnat, an seinem rechten Fuß feilen zu wollen, fällt hingegen eher in die Kategorie „Selbstverstümmelung“.
Aber alle bilden im Grunde genommen eine große Familie, ziehen an einem Boot und bilden eine lebensähnliche Gemeinschaft, in der sich alle richtig lieb haben. Da muss man notfalls auch mal über den inneren Schweinehund springen. Homosexualität unter bzw. von Fußballern ist, obwohl augenscheinlich weit verbreitet, jedoch, aller spektakulären Coming-Outs zum Trotz, immer noch ein Tabu-Thema. Dabei hatte Sebastian Kehl schon vor Jahren eingeräumt: “Es war immer ein schönes Gefühl, den Olli hinten drin zu haben.“ Dem hielt Werner Hansch missbilligend entgegen: “Wer hinten so offen ist, der kann nicht ganz dicht sein!“ Das focht den Ex-Dortmunder Steffen Freund aber nicht an: „Es war ein wunderschöner Augenblick, als der Bundestrainer sagte: `Komm Stefan, zieh deine Sachen aus, jetzt geht´s los‘.“ „Wir lieben uns alle, und wenn wir keine Frauen hätten, wären wir auch miteinander verheiratet“, setzte Georg Koch noch einen drauf. Da muss man sich über das Gerede der Leute ja nicht wundern. Aber das spielt eigentlich keine Kontrolle, denn, wie man sich bettet, so schallt es heraus.
Nicht nur ein Drittel, mindestens ein Viertel
Ein Mathematik-Diplom zählt nicht unbedingt zu den Einstellungsvoraussetzungen der Bundes- und Zweitligavereine. Wenngleich etwas arithmetisches Basiswissen auch nicht schaden kann. “Wenn man ein 2:0 kassiert, dann ist ein 1:1 nicht mehr möglich”, half Aleksander Ristic, als er noch Coach von Fortuna Düsseldorf war, seinen Schützlingen dahingehend auch auf die Sprünge. Sein Amtsbruder Fritz Langer wollte seinen Spielern zwar keine Steine in den Wald legen, hatte ihnen aber ein paar Jahrzehnte zuvor gar Unmögliches abverlangt: „Ihr Fünf spielt jetzt vier gegen drei!“ Motto: “So sechs wie wir fünf sind keine vier anderen, weil wir drei die zwei einzigen sind.” Horst Szymaniak, genannt “Schimmi”, einer der letzten großen Kumpel-Treter aus dem Pott und darum bemüht, seine Schnäppchen ins Trockene zu bringen, soll während einer Gehaltsverhandlung zudem einmal gesagt haben, er verlange nicht nur ein Drittel, sondern mindestens ein Viertel mehr Kohle. Womit bewiesen wäre: 27 Prozent aller Deutschen können nicht lesen. Die übrigen 56 Prozent können nicht rechnen.
Saarbrücken ist es Klaus Schwarze zufolge einmal gelungen, Freiburg mit 1:1 zu besiegen, während “Calli, the Klops” zur Halbzeit die Sieges-Chancen der Leverkusener mit 60:60 taxierte, obwohl “das Chancen-Plus ausgeglichen war” (Lothar Matthäus). Zu 50 Prozent stehe man im Viertelfinale, aber die halbe Miete sei das noch lange nicht, hatte Nationaltrainer Völler während der WM 2002 errechnet, gab sich bei anderer Gelegenheit aber überzeugt, dass der Tabellenerste jederzeit den Spitzenreiter schlagen könne. Nicht immer geht die Rechnung freilich auf: “Wir wollten in Bremen kein Gegentor kassieren. Das hat auch bis zum Gegentor ganz gut geklappt.“ (Thomas Häßler). Das vorletzte Wort in diesem Kapitel hat Fritz Walter: „Der Jürgen Klinsmann und ich sind schon ein tolles Trio“! Aber mit einer solchen Einschätzung kann Kölns Ex-Coach Holger Stanislawski locker mithalten: „Die Drei gehören zusammen wie siamesische Zwillinge“, hat der Mann in seiner seiner Eigenschaft als ZDF-Experte festgestellt.
Kein Sieg ohne Tore
Viele Protagonisten haben auch in stillen Stunden über das Wesen und den tieferen Sinn ihrer geliebten Sportart nachgedacht und sind dabei zu erstaunlichen Schlussfolgerungen und Ergebnissen gelangt. Grundsätzlich gilt: Wer zuerst kommt, fängt den Wurm. Schon der große Jean-Paul Sartre hat ja gesagt: “Bei einem Fußballspiel verkompliziert sich alles durch die Anwesenheit der gegnerischen Mannschaft”. Sportmanager Helmut Schulte pflichtete dem Franzosen inhaltlich bei: “Das größte Problem beim Fußball sind die Spieler. Wenn wir die abschaffen könnten, wäre alles gut.“ Reinhold Franz, der bis 2013 Sportdirektor beim SV Wilhelmshaven war und einst die kubanische Nationalmannschaft trainierte, verstieg sich gar zu der kühnen Behauptung, dass es schwer sei, ein Spiel zu gewinnen, wenn man keine Tore schieße. Nichtsdestotrotz gilt: „Wenn wir alle schlagen, können wir es schaffen.“(Horst Hrubesch). Auch wenn die Lage noch nie so ernst war wie immer. Und stets dran denken: „Wenn der Ball am Torwart vorbei geht, ist es meist ein Tor.“(Mario Basler). Er steht zu dieser Aussage: „Das habe ich (…) dann auch verbal gesagt.“ Und bis zum Beweis des Gegenteils gilt, was Otto Rehagel einst nach längerem Meditieren herausgefunden hatte: „Leichte Bälle zu halten ist einfach, schwierige Bälle zu halten ist immer schwierig.“
Keinen Zweifel an der eigenen Chancenlosigkeit
Aber selbst wenn man nie an der eigenen Chancenlosigkeit gezweifelt hat (Richard Golz) und “die Lage bedrohlich, aber nicht bedenklich ist” (Friedhelm Funke), “je länger man auswärts nicht gewonnen hat, desto größer wird die Wahrscheinlichkeit, wieder ein Auswärtsspiel zu gewinnen.“ Behauptete zumindest Uwe Neuhaus, als er noch Trainer von Union Berlin war. Da ist was dran.
Aber dem außenstehenden Laien fehlt da nun mal das tiefere Verständnis für das Wesen der Dinge. Beispielsweise dann, wenn „die Breite an der Spitze dichter geworden ist“ (Berti Vogts). Das gilt vor allem auch für die ausgereiften, mal auf Erfahrung, mal auf Intuition,mal auf kreativem, analytischem Denken beruhenden taktischen Konzepte der Spielelenker: “Wir greifen aber als ganze Mannschaft an und da kann es manchmal sogar von Vorteil sein, wenn man etwas genauer gedeckt wird, weil sich dann woanders Löcher auftun. Man nimmt quasi am Spiel teil, indem man nicht teilnimmt.“ (Nils Petersen). Und jetzt das Wort zum Sonntag….