Von Jürgen Heimann
Sie sind da, aber nicht hier. Vielleicht ist es aber auch umgekehrt. Trauen sich nicht an die Oberfläche und fristen ein unterirdisches Dasein. Was die Pilzsammler zur Verzweiflung treibt. Die haben in diesem Jahr ganz schlechte Karten und blicken in die Röhre, aber nicht in die eines Dickröhrlings. Der hält es wie die Verwandtschaft und sich bedeckt. Das wird auch so bleiben, so nicht noch ein Wunder geschieht. Dass ein solches möglich ist, davon war Zarah Leander zwar seinerzeit überzeugt, doch die Mykologen von heute sind da eher pessimistisch. Selbst einige konstant frostfreie, möglichst warme Tage im Wechsel mit Sonne und Regen können die Saison wohl nicht mehr retten. Die Hoffnung, dass die Pilze dann noch einmal wie ihresgleichen aus dem Boden schießen, ist deshalb eher trügerisch. Da bleibt der Wunsch Vater des Gedankens. Die Wald- und Wiesenböden sind wie leer gefegt. Egal ob in Hessen, Rheinland-Pfalz, Brandenburg oder Sachsen, es ist überall Hängen im Schacht. Man kann stundenlang durch die Pampa stiefeln, ohne dass einem ein Schwammerl anlächelt. Und wenn, dann ist es eher kleinwüchsig, verkümmert oder aber von Natur aus nicht genießbar. Die bekömmlichen, essbaren Sorten machen sich hingegen rar bzw. sind gar nicht vorhanden.
War das milde September-Wetter auch für Sonnenhungrige und -anbeter ideal, den Fungi-Jägern vermasselte es die Sammler-Tour. Anhaltende Temperaturen über 25 Grad und fehlender Regen haben den Pilzen, die mitnichten von den Tannen gezapft werden, einen Dämpfer verpasst und sie in ihrem Wachstum ausgebremst. Was nicht heißt, dass sie über kein entsprechendes Potential verfügen. Doch das wird nicht ausgeschöpft bzw. aktiviert. Pilze leben ja unter der Erde. Was wir zu Gesicht bekommen und als Delikatesse schätzen, sind lediglich ihre Fruchtkörper, die eigentlich der Fortpflanzung dienen. Erscheinen die äußeren Entwicklungsbedingungen für die Sporen mies, bleiben die, auf bessere Zeiten hoffend, abwartend unter Tage, hocken quasi in den Startlöchern. Das ist genau die derzeitige Situation.
Weder Fisch noch Fleisch
Die Sachverständigen im Land – die Deutsche Gesellschaft für Mykologie (DGfM) zählt allein 430 solcher Experten in ihren Reihen – schieben derzeit eine eher ruhige Kugel. Können sie sich sonst vor An- und Nachfragen nicht retten, suchen heuer nur ganz wenige ihren Rat. Auch viele der sonst von ihnen angebotenen und geführten Pilzwanderungen müssen mangels Masse ausfallen. Wie viele verschiedene Arten es gibt, weiß kein Mensch. Weltweit sollen es bis zu einer Million sein. Wissenschaftlich beschrieben sind aber bisher nur 100.000 an der Zahl, seborrhoische Ekzeme, Haut-, Fuß-, Nagel- und Scheidenpilze inklusive. Für Deutschland geht man von 14.400 verschiedenen Arten aus, allenfalls 40 davon sind Speisepilze.
Pilze, die auf der Erde seit 1. 200 Millionen Jahren existieren, sind übrigens weder Fisch noch Fleisch, weder Pflanze noch Tier, sondern siedeln irgendwo dazwischen. Die Wissenschaft tat sich lange mit ihrer Einordnung schwer. Inzwischen weist man sie ob ihrer physiologischen und genetischen Eigenschaften der ritten Domäne im System der Lebewesen zu, der der Eukaryoten. Darin werden alle solche Lebewesen zusammengefasst, deren Zellen einen Zellkern besitzen. Das können Einzeller wie die Backhefe oder Vielzeller wie die Schimmelpilze und die Ständerpilze sein.
Finger weg von importierten Wildpilzen
Wer in diesen Tagen der Knappheit dennoch nicht auf die leckeren Gewächse verzichten mag, wird im Handel fündig. Doch dort sind die Preise aufgrund des kümmerlichen Angebots in Wald und Feld inzwischen fast explodiert. Pfifferlinge beispielsweise kosten auf dem Markt 30 Prozent mehr als in normalen Jahren. Und die Preisspirale dreht sich weiter nach oben. Handelt es sich um direkt vor Ort erworbene Zuchtpilze (dazu zählen Champignons, Stockschwämmchen, Austernpilze und Shiitakepilze), ist der Konsument in der Regel auf der sicheren Seite. Bei (beispielsweise aus Osteuropa) importierten und nicht nachzüchtbaren Wildpilzen (Pfifferlinge, Steinpilze, Butterpilze) hingegen sollte Vorsicht geboten sein. Lange Transportwege und Lagerung sind der Bekömmlichkeit selbst genießbarer Sorten abträglich.
Das nachträgliche Aufwärmen von Pilzgerichten galt früher als bedenklich, da man sich auf diese Weise eine Lebensmittelvergiftung hätte einfangen können. Dieser sicherlich gut gemeinte Ratschlag ist jedoch überholt und stammt aus Zeiten, in denen es noch keine Kühlschränke gab. Wenn die Pilze kühl gelagert werden, beispielsweise bei 4 Grad Celsius, kann man sich auch noch 24 Stunden nach der ersten Zubereitung an ihren gütlich tun, so sie zuvor wieder auf mindestens 70 Grad erhitzt werden. Aber es sollte schon bei einem einmaligen Aufwärmen bleiben.
Jeder Fungo hat einen giftigen Doppelgänger
Nach dem ersten Frost ist es aber gesünder, auf den Verzehr selbst gesammelter Pilze zu verzichten. Gefriert das in ihnen enthaltene Wasser, beginnen sie sich zu zersetzen, werden von Bakterien befallen und giftig. Jeder genießbare Pilz hat sowieso einen toxischen Doppelgänger. Deshalb gehören nur solche auf den Teller, über deren Wesen man/frau sich absolut sicher ist. Und die immer mehr in Mode kommenden “Pilz-Apps” für’s Smartphone sind auch nicht unfehlbar. Eine sichere Artbestimmung ist sowieso nur möglich, wenn man das Objekt der Begierde direkt vor Augen hat, statt ein digitales Foto zum Vergleich heran zu ziehen. Zu Risiken und Nebenwirkungen bekotzen Sie Ihren Arzt oder Apotheker oder trinken lieber gleich ein Pils. Davon gibt’s genug. Wohl bekomm’s!