Rehe, Wildschweine, Waschbären, Füchse und anderes Getier im Revier rund um das Forstamt Groß-Gerau müssen sich am 4. November warm anziehen. Der Hessische Ministerpräsident persönlich gibt sich die Ehre und hat ausgesuchte, handverlesene Nimrods zu einer exquisiten Gesellschaftsjagd gebeten: http://www.rotorman.de/gesellschaftsjagd-als-toetungs-happening-unter-dem-deckmantel-der-wohltaetigkeit/ Jeder passionierten (Abzugs-)Drücker-Berger, der auf Volker Bouffiers Gästeliste steht, dürfte das als besondere Auszeichnung empfinden. Eine Teilnahme ist nur mit persönlicher Einladung, die nicht übertragbar ist, möglich. Vielleicht ist das ja auch so eine Art Dank des Vaterlands für gewisse Verdienste oder erwiesene Gefälligkeiten….Die Frage nach Sinn und Notwendigkeit einer solchen blutigen Standesbelustigung stellt sich schon. Ausbaden müssen diese Tötungsorgie ja die Wildtiere. Je nach Trefferquote ganz schon viele. Und es ist ja der Steuerzahler, der das grenzwertige, auf einen überschaubaren elitären Kreis beschränkte Vergnügen letztendlich bezahlt. Muss das eigentlich sein? Und wenn ja, warum? Ganz, ganz großes Fragezeichen. Nein, es gibt keinen triftigen, zwingenden Grund dafür.
Wir wollen Spaß: Totschießen als Hobby
Machen wir uns nix vor: Hier, wie auch bei anderen, vergleichbaren Anlässen und waidwerkischen Fun-Events geht es einzig und allein um den Spaß, die Freude am Töten und den damit verbundenen Adrenalin-Kick. Das hat mit Hege, Bestandsregulierung und Naturschutz, wie immer mal gern behauptet wird, nichts zu tun, aber auch rein gar nichts. Und unsere Landesregierung adelt dieses grenzwertige, anachronistische Spektakel, indem sich ihr Chef an die Spitze der umstrittenen, mehr und mehr ins gesellschaftliche Abseits geratenen Bewegung setzt und sich gemein mit denen macht, für die Totschießen eine Hobby ist.
Für die Tierrechtsorganisation PETA sind Gesellschaftsjagden eine abartige Form der Freizeitbeschäftigung. Wildtiere würden zum Spaß in Todesangst vor die Gewehre der Schützen getrieben, viele von ihnen würden durch Fehlschüsse einen langsamen und schmerzhaften Tod sterben. Vanessa Reithinger, PETA-Fachreferentin für Wildtiere: „Hinsichtlich dieser deutlichen Positionierung Seitens der Politik ist es nicht verwunderlich, dass es die bestens vernetzte Lobby der Jägerschaft immer wieder schafft, ihre eigenen Interessen vor den Tierschutz und das Allgemeinwohl zu stellen“.
Was jene, die diesen mal als Hobby, mal als Sport deklarierten Mordspaß so hingebungsvoll praktizieren, dabei empfinden, können Außenstehende nicht oder nur schwer nachvollziehen. Das gilt samt und sonders auch für all die damit ver- und eingebundenen obskuren, seltsamen Riten und Gebräuche, die auf Jahrhunderte alte Traditionen zurückgehen.
Für die Strecke auf der Strecke bleiben
Die überwiegend chancenlosen Beutetiere, die es in Groß-Gerau nicht heil über die Runden schaffen und auf der Strecke bleiben, werden nach dem Halali als “Strecke ausgelegt”. Daher der Begriff “Zur Strecke gebracht”. Heißt im Klartext: Die Kadaver werden malerisch und dekorativ aufgereiht präsentiert. Natürlich nicht wahllos, sondern, der Tradition entsprechend, einem genau festgelegten choreografischen Muster folgend.
Sie müssen grundsätzlich auf der rechten Seite liegend positioniert werden. Erst die Männlein, dann die Weiblein. Die männlichen Tiere bekommen auch den “letzten Bissen” in Gestalt eines Zweiges ins Maul gesteckt, die Damen waren ja (wieder mal) auf Diät und gehen deshalb leer aus. Dieses Ritual, so ist auf der Webseite Jagderleben.de nachzulesen, “macht einen Jagdtag erst so richtig rund”.
Tiefer Blick in erloschene „Lichter“
Und wenn die erfolgreichen Schützen dann mit feierlichen, ernsten Mienen vor ihre Opfer treten, andächtig die Hüte abnehmen und ihrer Beute tief in die erloschenen “Lichter” blicken, soll das als Ehrerbietung gegenüber dem getöteten Wild verstanden werden. Die Jäger gehen in sich und lassen das Geschehene an ihrem geistigen Auge vorüber ziehen. Sie sollten, verlangt der Kodex, sich dabei (schon) bewusst werden, einmaliges Leben ausgelöscht zu haben. Wie rührend!
Aber wir wollen nicht übertreiben! (Krododils-)Tränen müssen jetzt wirklich nicht sein… Doch wenn die Festkapelle, die Bläsergruppe des Hegerings Hinterhalt-West, dann zum Requiem anhebt – “Totverblasen” heißt das in der Jägersprache – dann kommt Stimmung auf. Jede “Kategorie”, Damwild, Muffelwild, Rehe Füchse, Sauen usw., hat da ihr spezielles, eigens für sie komponiertes “Lied vom Tod”. Das stellen sich bei diesem und jenen sicherlich die Nackenhärchen auf – und anderes. Das hat Atmosphäre. Plakative Bilder von dieser feierlichen Zeremonie werden sicherlich durch ganz Deutschland gehen.
„Schüsseltreiben“ in luxuriöser Kulisse
Das “Schüsseltreiben”, als festliches Mahl im “Kleinen Speisesaal” des luxuriösen 5-Sterne-Schloss-Hotels Kronberg konzipiert, haben sich die tapferen Flintendfreaks anschließend redlich verdient, zumal sie sich während der vorangehenden, nervenaufreibenden Stunden mit Minimalverpflegung aus dem Rucksack haben begnügen müssen. Danach erst warten heiße Getränke und Blechkuchen am wärmenden Streckenfeuer, bevor die Völlerei beginnt und der Maître d’hôtel zu Tisch bittet.
Bisher mucken nur PETA und die Linken
Der Protest gegen dieses Schmierentheater hält sich in Grenzen, noch. An der politischen Frontlinie ist es dahingehend verdächtig ruhig. Den Grünen scheint es aus Gründen der Koalitionsräson die Sprache verschlagen zu haben, die Sozis ducken sich sowieso weg. Einzig die Landtags-Linke muckt auf. Und von unseren ach so kämpferischen Tierschützern hört man bisher auch recht wenig. Ausnahme: Die Tierrechtsorganisation PETA und einige engagierte Splittergruppen. Da hätte ich schon mehr erwartet. Aber vielleicht kommt da ja noch was.
Kein alleiniegs Entscheidungsrecht über Leben und Tod
Zu Ehrenrettung der Grünen sei deren naturschutzpolitische Sprecherin Ursula Hammann zitiert. Die streitbare Öko-Frau, selbst Jagdscheininhaberin, hat den Jägern in einem Interview mit der FAZ einige bemerkenswerte Sätze ins Stammbuch geschrieben – allerdings nicht ob der geplanten Gesellschaftsjagd, sondern im Zusammenhang mit der Diskussion über die Jagdverordnung: “Teile des Landesjagdverbandes glauben, ihnen gehören alle Tiere, die frei herumlaufen. Aber der LJV hat nicht das alleinige Entscheidungsrecht über Leben und Tod von Tieren in Wald und Flur. Es muss eine Rechtfertigung dafür geben, Leben zu vernichten. Sinnloses Töten oder Töten nur aus sportlichen Gesichtspunkten lehne ich absolut ab”. Chapeau!
Apropos Rechtfertigung: Die Worte hör’ ich wohl…. Eine solche (Selbst-)Verpflichtung gilt natürlich nicht für den Ministerpräsidenten und seine illustre Gästeschar. Außerdem: Wer redet denn hier überhaupt von sinnlos? Es ist doch für eine gute Sache. Nämlich die “Elly-Heus-Knapp-Stiftung”, besser bekannt als Müttergenesungswerk. Und dabei gilt nun mal: Des einen Freud’, des anderen Leid…