Rotorman's Blog

Prügeleien beim Frühstück, Mutti und die
Hauptstadt-Korrespondenten meiner Zeitung

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„Meine“ Zeitung spricht mit den Mächtigen: Die Mutti hat den Hauptstadt-Korrespondenten der Zeitungsgruppe Lahn-Dill ein ganzseitiges Interview gegeben – „tiefenentspannt und konzentriert“. Da sieht man mal wieder: Die Medienprofis aus Wetzlar haben ihr Ohr am Puls des Geschehens und sind sogar in der Hauptstadt mit einem eigenen Büro vertreten.

Von Jürgen Heimann

Also, ich räume zerknirscht und Besserung gelobend ein: Ich habe meiner regionalen Heimatzeitung bisher bitter Unrecht getan. Zumindest immer dann, wenn ich sie als lieblos gemachte, provinzielle Käsepostille verunglimpft und diskreditiert habe. Ein Blatt, das im Grunde genommen so überflüssig sei wie ein Messer ohne Klinge, bei dem auch noch der Griff fehlt. Jetzt weiß ich, dieses gedruckte und weltoffene Nachrichtenmagazin für mündige, intellektuelle und aufgeklärte Bürger von heute und vorgestern kickt in der ersten Liga der deutschen Printmedien. Und das auf qualitativer und bedeutungsrelevanter Augenhöhe mit der FAZ, der Süddeutschen und der ZEIT.    

Was ich bislang nicht wusste: Die Jungs (und Mädels) der in Wetzlar ansässigen Mittelhessen-Presse leisten sich sogar eigene Hauptstadt-Korrespondenten. Und derer mindestens zwei. Dabei dachte ich bislang immer, jenseits der lokalen, auf unterirdischer Honorarbasis operierenden Outdoor-Agenten in den dörflichen Außen- und Grenzposten gebe es bei denen keine weiteren hochkarätigen Zuträger. Und die wenigen in den Redaktionen noch verbliebenen und in Ehren ergrauten altvorderen Schreibtischtäter würden und müssten sich darauf beschränken, von externen V-Leuten eingereichte News sinnentstellend zu veredeln. Welch ein Trugschluss!  Die haben personell nicht nur ab-, sondern sogar noch aufgerüstet. Und das in diesen wirtschaftlich für sie so schweren Zeiten.

Als Zeitungsleser im Auge des Hurrikans

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Die Ausgabe vom 17. März hat mich definitiv eines Besseren belehrt. Das Hauptstadt-Büro meines Blattes, von dessen Existenz die wenigsten bislang eine Ahnung gehabt haben dürften, hatte sich zu Wort gemeldet – und ganze Arbeit geleistet. Ich bin begeistert! Ja, und es war kein unwichtiger politischer Hinterbänkler, der den beiden Kollegen Rede und Antwort gestanden hat, sondern unsere, meine Volkskanzlerin! Und sie tat das „tiefenentspannt und konzentriert“ – auf einer kompletten Zeitungsseite. Sprach über sich und die Mächtigen der Welt. Über ihren Angstgegner, den Maddin, aber auch über solche von durchaus fragwürdiger Reputation:  Sultan Erdoğan, Donald Duck Trump und Konsorten. Wir, die Leser im mittelhessischen Outback, durften uns da ganz dicht dran am Puls der Zeit fühlen, quasi mittendrin im Auge des Hurrikans.

Recherche vor Ort: Von der Lahn an die Spree

Hauptstadt-Korrespondenten gibt es bei der Mittelhessen-Presse wirklich. Auch wenn sie nicht im Impressum oder einer anderen Who’s-who-Liste des Verlages auftauchen. Die mir die Welt und noch vieles andere  mehr erklärenden Info-Dealer aus der Elsa-Brandström-Straße in der LDK-Kreishauptstadt scheuen doch wirklich keine Mühen und Kosten, ihre Abonnenten auf dem Laufenden zu halten. Ihre Außendienst-Mitarbeiter sind stets dicht dran am globalen Geschehen und fühlen den Mächtigen auf den Zahn. Und lassen uns, die dankbaren Leser, daran teilhaben.

Werner Kolhoff heißt der eine, der seine Nase stets tief in die Brennpunkte der Ereignisse steckt. Nun ist dieser Top-Journalist – und das meine ich jetzt wirklich bar jedweder Ironie –  wirklich eine große Nummer. Und sein Jahrgang, 1956, gilt ja auch als ein anerkannt ziemlich guter. Der Knabe war mal einflussreicher Mitarbeiter des Bundespresseamtes, wo er versuchte, den durch die Agenda 2010 von Basta-Schröder verursachten Image-GAU für die SPD klein zu reden und abzufedern. Der Erfolg dieser Bemühungen war, wie man heute freilich weiß, eher bescheidener Natur. Das muss jetzt aktuell halt Herr Schulz richten. Schaun mer mal, was dabei herauskommt.

Exklusive Nachrichten brüderlich geteilt

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Geballte Information, aktuelle News, hingebungsvoll recherchiert und mit viel Kompetenz aufgearbeitet. Deshalb liebe ich meine Zeitung.Foto: Pixabay

Heuer ist Kolhoff Leiter des Hauptstadt-Büros der zur Holzbrinck-Verlagsgruppe gehörenden „Berliner Medien Service GmbH (BMS)“. Als solcher versorgt er die Saarbrücker Zeitung, den Pfälzischen Merkur in Zweibrücken, die Lausitzer Rundschau in Cottbus, den Trierischen Volksfreund sowie die Aachener Nachrichten, die Pirmasenser Zeitung, das Offenburger Tageblatt, die Ludwigsburger Kreiszeitung, die Nordsee Zeitung, die Pforzheimer Zeitung, das Tageblatt in Luxemburg, die Westdeutsche Zeitung, das Solinger Tageblatt, den Remscheider General-Anzeiger, die Hessische/Niedersächsische Allgemeine, den Hanauer Anzeiger und, tataa, auch das Pressehaus in Wetzlar mit „exklusiven“ Nachrichten und Kommentaren. Er ist also ein (unabhängiger) Lohnschreiber, der auf Bestellung vielen Herren nach dem Mund redet und auf deren Hochzeiten tanzt – und sich dies wohl auch so schlecht nicht bezahlen lässt. Aber der Job fordert den ganzen Mann. Wenige Tage nach der journalistischen Großoffensive im Kanzleramt musste der umtriebige Kollege beim Krönungsparteitag der Bundes-SPD erneut ran, um daselbst den genossenschaftlichen Hoffnungsträger aus Würselen zu entzaubern und auf Normalmaß zurecht zu stutzen.

Die letzte Weihnachtsfeier einfach geschwänzt

In meiner Heimatzeitung meldet sich die fleißige Edelfeder auch sonst regelmäßig mit richtungsweisenden Kommentaren zum Zeitgeschehen zu Wort. Ebenso ihr Sidekick Stefan Vetter, der bei der Dampfplauderei mit Mutti auch dabei war und im gleichen BMS-Stall tippt. Hagen Strauß macht das Trio der externen politischen Hochleistungs-Analytiker komplett. Was täte die Wetzlarer Nachrichtenredaktion ohne deren Zuarbeit? Sie müsste noch stärker aus dem konturlosen Material-Pool der Deutschen Presseagentur schöpfen. Deshalb firmieren die genannten Herren in der Lesart ihrer Auftraggeber/Abnehmer auch offiziell und wie selbstverständlich als „unsere Hauptstadtkorrespondenten“. Wobei die Betonung auf „unsere“ liegt. Dennoch haben sie mit dem Pressehaus in der Lahnstadt in etwa so viel zu tun wie Wladimir Putin mit der Augsburger Puppenkiste. Und auf der letzten Weihnachtsfeier, der des Zeitungszentrums, nicht der der Puppenkiste, glänzten sie auch durch Abwesenheit.

Bewegungsübungen im Freien, aber keine Vorstandswahlen

Hat es ein „modernes und in Hessen führendes Pressehaus“ (Eigenwerbung) wirklich nötig, zu derart plumpen Mitteln der Profilierung und Kundenverdummbeutelung zu greifen? Offenbar schon. Denn: Den Verlagslenkern in der mittelhessischen Domstadt geht der Arsch auf Grundeis. Die aktuellen Verkaufszahlen sprechen (wieder einmal) gegen sie. Wie sie es in den zurückliegenden Jahren mit konstanter Impertinenz ständig getan haben. Immer mehr ihrer Stammleser springen ab  – oder sterben (einfach) so weg. Wer, bitteschön, will auch bei der morgendlichen Frühstückslektüre zwingend wissen, dass der Herborner Westerwaldverein am 26. März in den Frühling wandert, Bewegungsübungen zwischendurch inklusive? Außer Christiane Apel vielleicht. Das ist die Vorsitzende. Oder dass der Verein für Dorf- und Landschaftspflege Haigerseelbach entgegen einer ersten anderslautenden Eil-Meldung im Rahmen seiner aktuellen Zusammenkunft nun doch keinen neuen Vorstand wählt, sondern erst im nächsten Jahr? Dafür dann aber diesmal  ein Fahrdienstservice zur Versammlungsstätte anbietet?

Leichtmatrosen mit viel Schlagseite

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„Good Times, Bad Times“, sangen Led Zeppelin schon 1969. Erstere scheinen auch für Wetzlarer Zeitungsmacher definitiv vorbei zu sein. Im vierten Quartal 1998 hatte die Zeitungsgruppe Lahn-Dill noch 80.999 Abonnenten, Ende vergangenen Jahres waren es gerade noch 54.882, wie aus der aktuellen IVW-Auflistung hervorgeht. Quelle: IVW

Bedeutsame Nachrichten, die das pulsierende gesellschaftliche und kulturelle Leben der Region widerspiegeln. Und die die Rezipienten nebenbei regelmäßig vom Küchenhocker hauen. Wie es auch das „Moment-mal“-Wort zum Aschermittwoch getan hatte, ein in die gleichnamig benannte Killer-Kolumne eingebetteter poetischer Abgesang auf die verendete Faschingszeit. Originalzitat: „Das stolze Narrenschiff, einst mit geblähten Segeln der guten Laune auf voller Fahrt, seit gestern aber mit ebenso viel Schlagseite dahindümpelnd wie viele seiner von Lachmuskelkater geplagten Leichtmatrosen. Jetzt ist es endgültig untergegangen“. Seemannsgrab! Narhallamarsch!

Die lokalen Zeitungsschreiber haben ihr Meinungsmonopol und das Privileg der Deutungshoheit über das Geschehen in Stadt, Land und der Welt längst verloren. Auch wenn sie es selbst vielleicht noch nicht bemerkt haben sollten oder wollen. Die Zeitungsgruppe Lahn-Dill hat seit 1998 fast 30 Prozent ihrer Abonnenten eingebüßt. Zum Ende des vierten Quartals 2016 brachten sie es laut IVW (Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern) mit allen Unterausgaben auf eine verbreitete  Auflage von 59.782. In dieser Summe sind die  5.981 nicht wankenden und niemals schwankenden Geriatrie-Abonnenten des zuletzt immer schwindsüchtiger werdenden Dillenburger Verlagshauses Weidenbach (Dill-Zeitung, Herborner Echo, Haigerer Kurier)  schon enthalten.

Der letzte Kampf der aufmüpfigen Gallier

Letzteres hatten die Wetzlarer Mitte vergangenen Jahres aufgekauft und damit eine 174-jährige Familientradition beendet. Die drei Titel werden aber unter ihrem bisherigen Namen weiter geführt, waren aber auch in den Jahren zuvor schon völlig gleichgeschaltet und wurden aus dem Output einer uninspirierten, aus beiden Lagern zusammengepuzzelten Einheitsredaktion gespeist. Da hatten sich die wackeren Gallier den Römern längst ergeben. Mit ihrem finalen Kotau wurde dann aber gleichzeitig auch ein Stück mitunter durchaus aufmüpfiger Meinungsvielfalt beerdigt.

Zur verbreiteten Auflage einer Zeitung zählen auch all jene Exemplare, die im Rahmen von PR-Maßnahmen, Lese-Aktionen in Schulen oder auf Messen kostenlos unters Volk geworfen werden. Dann gibt es als Größe noch die „Verkaufte Auflage“. Dazu zählen alle Exemplare, die gegen Kohle über den Tresen wandern. Ob sie nun in den Briefkästen der Abonnenten landen, als Lesezirkel-Ausgaben in den Arztpraxen ausliegen, den Passagieren in Zügen oder Bussen die Zeit verkürzen oder im Einzelverkauf einen Abnehmer finden. Die seriöseste und aussagekräftigste Kenn-und Messzahl, die etwas über die Bedeutung eines Mediums aussagt, ist jedoch die der IVW-kontrollierten Abonnenten-Summe. Die der mittelhessischen Zeitungsgruppe liegt aktuell bei 54.882. Da klingt eine andere Angabe aber doch gleich viel besser: Über 200.000 (in ihrer Mehrheit natürlich begeisterte) Leser würde man tagtäglich erreichen, werden die Herausgeber nicht müde, ihren Werbekunden und Geschäftspartnern weiszumachen. Eine Zahl, bei deren Zustandekommen Seriosität nicht unbedingt die bestimmende Maxime war.

Häusliche Gewalt beim Kampf um den Lesestoff

Auflage Dill-Zeitung

Die Zahlen sprechen für sich und zeugen vom rapiden Niedergang eines traditionsreichen Verlagshauses. Ende 2002 hielten noch 8.730 Bezieher der Dill-Zeitung, dem Herborner Echo und dem Haigerer Kurier die Treue. Im letzten Quartal 2016 war diese Zahl auf 5.981 gesackt, was einem Auflagenschwund von 31,49 Prozent entspricht. Mitte des vergangenen Jahres wurde das Verlagshaus Weidenbach von der Zeitungsgruppe Lahn-Dill geschluckt. Aber die Redaktionen waren schon lange vorher gleichgeschaltet. Quelle: IVW

Da mag schon etwas Schönfärberei mit im Spiel (gewesen) sein. In der Printbranche wird gerne mit dem „Leser-pro-Exemplar-Faktor“ (LpE) operiert. Der liegt, was allgemein akzeptiert ist, bei 2,5. Also jede verkaufte Zeitung wird von durchschnittlich 2,5 Lesern goutiert. Das wären dann im Falle der Wetzlarer 149.455 Konsumenten und nicht, wie großmäulig und dreist verbreitet, 200.000. Bei den publikationsfreudigen Mittelhessen sind es jedoch jeweils gleich 3,3 wissbegierige Menschen, die sich immer (mitunter zeitgleich) auf die begehrte Lektüre stürzen. Das mag sicher an den hochkarätigen, von engagierten und kompetenten Mitarbeitern recherchierten und generierten Inhalten liegen. Und erklärt andererseits aber auch die hohe Zahl von häuslicher Gewalt, wenn sich die Info-Süchtigen morgens am Frühstücktisch um die besten Seiten prügeln. Vielleicht hat man aber auch ganz einfach den Publikumsverkehr in den Fußgängerzonen, in denen Zeitungsschaukästen stehen, mit in die Berechnung einbezogen und die Zahl der vorbeihastenden Passanten hinzuaddiert.

Noch eine weitere Zahl mag die Relationen etwas gerade rücken. In den drei Landkreisen Lahn-Dill, Marburg-Biedenkopf und Limburg-Weilburg, in denen die Mittelhessenpresse mit einer verbreiteten Auflage von insgesamt 59.782 präsent ist, leben 670.300 Menschen. Das bedeutet:  Nur jeder elfte interessiert sich für das, was die da in ihrem am südöstlichen Stadtausgang Wetzlars gelegenen Medienhaus an Nachrichtlichem fabrizieren.

Wenn Karl Valentin einen Anti-G-Anzug trägt

Bedeutung und Reichweite ihres regelmäßig auch im kostenlosen Wochenend-Magazin „Kompakt“ bejubelten Web-Auftritts sind allenfalls marginal, und selbst die aktuell 20.331 „Likes“ auf der Facebook-Seite von „mittelhessen.de“ machen in lausigen Zeiten wie diesen höchstens notorischen Optimisten Mut. Womit sich bestätigt, was Karl Valentin (1882-1948), von Liesl Karstadt übrigens unwidersprochen, über eben solche ketzerisch gesagt hat: „Der Optimist ist ein Mensch, der die Dinge nicht so tragisch nimmt, wie sie sind“. Dabei ist die Realität ja noch viel schlimmer und brutaler als die Wirklichkeit. Das ist längst kein schleichender Prozess mehr. Die Abwärtsspirale nimmt weiter Fahrt auf, das Tempo auf dem Weg in die Bedeutungslosigkeit wird immer höher. Da brauchen die Piloten in den Redaktionen mittlerweile einen Anti-G-Anzug, um diese Fliehkräfte aushalten zu können.

Erschöpfte Zusteller dehydrieren am Wegesrand

Die  erwähnte WE-Post ist Zwangslektüre. Sie ist spätestens Samstagabend in unseren Briefkästen gelandet, ob wir das wollen oder nicht. Man kann das wuchtige Gesamtkunstwerk kaum aus dem Schlitz ziehen, ohne es zu beschädigen. Werbende Beilagen machen die aufgeblähte Gratis-Postille so fett und schwer bzw. inhaltslos, dass die Austräger ohne eine zuvor absolvierte Body-Builder-Ausbildung in einem Fitness-Studio ihrer Wahl sowie zusätzlich geschluckter dem Muskelaufbau dienender Nahrungsergänzungsmittel in Form von Kohlehydrat- und Proteinpulvern schon nach zwei Straßenzügen erschöpft aufgeben und nach Luft schnappend am Wegesrand dehydrieren müssten. Zuletzt wog die Postille einschließlich ihrer 13 beigelegten Reklamebroschüren und -kataloge, die nicht selten einen Seitenumfang von 36 und mehr aufweisen, fast ein Pfund. Da bekommt der Begriff „inhaltsschwer“ doch gleich eine ganz andere Bedeutung.

Waldi-Klos und entkernte Pampelmusen

Kompakt

Kaum zu glauben, was so alles in einen einzigen Briefkasten passt. Das inhaltsschwere Wochenendmagazin „Kompakt“ bringt fast ein Pfund auf die Waage und erweist sich als Trojanisches Pferd. Den Bauch der Gratis-Postille füllten nicht weniger als 13 Werbebroschüren, Beilagen und Reklamemagazine, teils 38 Seiten und mehr umfassend.

Nachdem die Spreu vom Weizen getrennt, lesen wir dann die bedeutendsten News der vorangegangenen Woche noch einmal in gleicher Aufmachung. Und erfahren im visionär vorausschauenden Ausblick, mit was uns die Schreiber in der Folgewoche zu beglücken gedenken. Selbige sind dann, damit wir uns ein Bild von ihnen machen und einen persönlichen Bezug zu ihnen herstellen können, jeweils mit einem kleinen, aber selten gelungenen Passbild abgelichtet. Personal Identity als vertrauensbildende Maßnahme. Und auf welche berichtenswerte Ereignisse müssen wir uns einstellen? Auf die Gemeindevertretersitzung in Breitscheid beispielsweise, in der die Parlamentarier über eine neue Gebührensatzung für die Nutzung der in der Feldgemarkung der Flugplatzkommune errichteten Hunde-Toiletten beraten und entscheiden. Oder halt auf den wöchentlich wiederkehrenden Mittwochs-Markt im pulsierenden Herzen Dillenburgs, auf dem aus der Region stammende Mobil-Händler die innovativsten Produkte und Neuerungen für ökologisch korrektes Entkernen von Äpfeln und Pampelmusen präsentieren. Nebenbei bemerkt: Diese publizistische Pionier-Initiative dient einzig und allein dem Zweck, das rückläufige Anzeigenaufkommen im (all)täglichen Tageszeitungsgeschäft wenigstens einigermaßen zu kompensieren und den Werbekunden ein ihnen genehmeres Umfeld zu bieten. Eine Plattform, die die strenge, vom Presserecht vorgegebene Trennung zwischen Reklame und redaktionellen Inhalten aufweicht. Zu diesem Zweck wurde der Begriff „Schaufenster“ erfunden.

Darf’s auch etwas weniger sein?

Hund

Immer mehr Zeitungen kommen auf den Hund.

Dafür fällt dann aber die offizielle, reguläre und diesmal immerhin 80 Gramm (bedeutungs-)schwere 22 Seiten „starke“ Sonntags-Ausgabe etwas dünner und eine Nummer kleiner aus, aber nur ein bisschen. Der Luxus, auch an Sonntagen mit der Tageszeitung beglückt zu werden, ist keineswegs selbstverständlich und wird auch nicht allen deutschen Zeitungskonsumenten zuteil. Uns schon. Wir wissen dieses Privileg durchaus zu schätzen. Gut, was Umfang und Inhalt angeht, muss man natürlich Abstriche machen. Der Lokalteil ist in der Regel drei Seiten „stark“. Es können aber auch schon mal vier sein. Der größte Teil des mühsam zu füllenden Raumes geht für Leserbriefe, das Impressum, den Veranstaltungskalender, das „Wort zum Sonntag“, das Bibelzitat des Tages, die Rubrik „Herrchen gesucht“, die Hammer-Kolumne „Moment mal“, zwei Comic-Folgen und ein fünfspaltiges Ankündigungsfoto drauf. Letzteres, an exponierter Stelle platziert, soll noch einmal an einen besonders interessanten Termin erinnern, der aber bis dato mindestens schon zweimal angekündigt worden war. Bei so viel geballtem Lesestoff vergeht der Sonntag wie im (Tief-)Flug.

Das Blütenmeer in der gedruckten Sahelzone

Montags blüht und sprießt es in der gedruckten Sahelzone aber auch nicht viel üppiger. Immerhin deutet sich da schon schemenhaft an, was in den folgenden Tagen an erhellenden Schlaglichtern auf die Leserschaft zurollen wird. Unzählige Vereine haben am Wochenende ja wieder Bilanz gezogen und auf ein erfolgreiches Jahr zurückgeblickt und, wie es die Männergesangvereine bei diesen Gelegenheiten gerne zu tun pflegen, über akuten Nachwuchsmangel gejammert. Davon handeln dann die nächsten Ausgaben. Die Sinfonie  aus dem Klimpern der überreichten Ehren- und Treuenadeln für aufopferungsvolle, langjährige Mitgliedschaften ist der Soundtrack, der uns auch in den nächsten Tagen noch zudröhnt. In den Lokalredaktionen hat man am Wochenende nur mit Sparbesetzung recherchiert. Um den auf dienstfrei gesetzten Kollegen Gelegenheit zu geben, neue Kräfte der Inspiration zu sammeln. Die brauchen sie auch, um in Folge den sich angesammelten Nachrichtenstau aus dem implodierenden Vereinskosmos  besser kanalisieren und aufbereiten zu können. Der Einzelpreis der Zeitung beträgt 1,80 Euro. Freitags und samstags kostet sie zwei Euro. Sonntags und montags wären 60 Cents noch Wucher.

Top-News aus dem La-La-Land

Die dramatisch rückläufige Akzeptanz der lokalen Tageszeitungs-Presse ist eine (offenbar unumkehrbare) Entwicklung, unter der Deutschland-weit alle diesbezüglich positionierten Verlagshäuser leiden. Haben sich ihre Produkte überlebt? Es sieht fast so aus. Es ist gerade jungen Leuten doch kaum zu vermitteln, 440 Euro für ein Jahres-Abo hinblättern zu sollen, wenn sie als „Gegenleistung“ ein Produkt erhalten, das in weiten Teilen aus Agenturmaterial, versteckter PR , behördlichen Pressemitteilungen, Vereinsnachrichten und solchen aus dem La-La-Land besteht. Und aus überdimensionierten, großformatigen Porträtfotos regionaler Promis und Wirtschaftsverrenker (18 x 26,5 Zentimeter messend), die die Zeitungsseite zu mehr als einem Drittel ausfüllen. Und das nicht nur im Sommerloch. Von Legasthenie-Sprech und den grammatikalischen und stilistischen Verwerfungen ambitionierter, aufstrebender Sprachkünstler ganz zu schweigen. Wer sich ein Jahr lang den „SPIEGEL“ im Einzelverkauf  gönnt, zahlt hingegen nur 254,80 Euronen dafür. Und ist deutlich besser im Bilde. Aber dessen Verkaufszahlen brechen ja auch im zweistelligen Bereich ein. Die aufstrebenden Kids von heute saugen, um mitreden zu können, aus anderen Quellen. Wohlwissend (oder auch nicht), dass die meisten davon ziemlich trübe sind. Nicht von ungefähr wird in den sozialen Medien auch so viel erschreckender Unsinn verbreitet.

Alkoholismus und Relevanzverlust

Sterben

In Deutschland gibt den Angaben des Bundes deutscher Zeitungsverleger (BDZV) zufolge aktuell noch 333 Tageszeitungen, 22 Wochenzeitungen und 6 Sonntagszeitungen. Zusammen hätten diese eine Auflage von rund 19,09 Millionen Exemplaren. Was ja gemessen an der Bevölkerungszahl so viel auch nicht ist.

Aber der Preis ist es natürlich nicht allein. Auch die Schuld für das Zeitungssterben auf das Internet zu schieben, ist zu kurz gegriffen. Wir haben es hier schlicht und ergreifend mit einem Relevanzverlust zu tun. Man könnte es auch so ausdrücken: Was in der Zeitung steht, interessiert junge Menschen nicht mehr. Etwas Schlimmeres kann man einem Medium kaum mehr nachsagen. Über mögliche inhaltliche Versäumnisse und darüber, dass das Konstrukt Tageszeitung womöglich wirklich überholt sein könnte, weigern sich die in der Regel ja gar nicht mal so schlecht bezahlten Verlagsmanager auch überhaupt nur nachzudenken. Aber das gilt stellenweise auch für die Journalisten und ihre Gewerkschaften. „Cicero“, das monatlich erscheinende „Magazin für politische Kultur”, hat es mal so formuliert: „Die Tageszeitungsbranche legt ein merkwürdiges Verhalten an den Tag: Wie ein Alkoholiker, der die Ursache seiner Krankheit in den bösen Ärzten sieht, die ihn nicht richtig behandelt haben“. Eine sehr informative Situationsanalyse dazu findet sich hier:

Eine ARD-ZDF-Studie kam bereits 2012 zu dem Ergebnis: Während das mutmaßlich zukunftsentscheidende junge Publikum am Tag mehr als zwei Stunden jeweils mit Netz, TV und Radio verbringt, widmet es sich nur einem Bruchteil dieser Zeit einer Tageszeitung: 10 Minuten gehören ihr im täglichen Medienmix. Und der Trend  hat sich ja seitdem noch erheblich beschleunigt. Die Folge: Immer mehr kleinerer Verlage (siehe Dill-Zeitung) geben auf, die Konzentration und Gleichschaltung nimmt zu. Der Eichstätter Professor Klaus Meier prophezeit: Geht es mit dem Auflagenschwund so weiter, dann erscheint 2034 in Deutschland die letzte gedruckte Zeitung. In Deutschland gibt es den Angaben des Bundes deutscher Zeitungsverleger (BDZV) zufolge aber aktuell noch 333 Tageszeitungen, 22 Wochenzeitungen und 6 Sonntagszeitungen. Zusammen hätten diese eine Auflage von rund 19,09 Millionen Exemplaren. Ist jetzt angesichts der aktuellen Einwohnerzahl Deutschlands (82,2 Millionen) auch nicht so berauschend….

Super-Plus und Überraschungseier an Karfreitag

Liebe

Da helfen auf Dauer auch die ausgefuchstesten und abenteuerlichsten Eigenwerbe- und PR-Aktionen nichts. Etwa dergestalt, dass man an der Tanke beim Zapfen von 15,5 Litern Super-Plus den Heimatsportteil der Zeitung gratis obendrein bekommt – den mit den B-Liga-Ergebnissen aus der Vorwoche. Oder es winkt ein cooles Osterfeiertags-Spezial-Geschenk-Überraschungs-Ei-Abo für zwei Ausgaben, wobei der Karfreitag und der Ostermontag sowieso außen vor bleiben, weil da die Zeitung eh nicht erscheint. Cross-Selling ist ja auch ganz groß in Mode. Zum einmonatigen Kurzzeit-Bezug gibt es als kleinen Treue-Bonus eine um 25 Prozent preisermäßigte Kinokarte für das lokale „Filme-die-sonst-keiner-sehen-will“-Festival. Vor Beginn des im serbokroatischen Hochgebirgs-Dialekt synchronisierten Hauptfilms mit albanischen Untertiteln müssen die Ticketgewinner den Saal allerdings wieder verlassen, bekommen die Pfandgebühr für die Mehrweg-Popkornbox dafür aber am Ausgang zur Hälfte erstattet.

Mit der Post-Mortem-App Zugriff auf alle Traueranzeigen

Oder wie wär’s mit einer Post-Mortem-App? Solche kleinen Tools sind ja heuer relativ leicht zu programmieren. Damit erhalten die User gegen einen geringen Aufpreis zum Digital-Abo für drei Monate kostenlosen und unbegrenzten  Zugriff auf die in den vergangenen acht Jahren veröffentlichten Todesanzeigen. Wobei es ja in diesem Zusammenhang sicherlich höchst interessant ist zu erfahren, welche Beerdigungen man wieder mal verpennt hat.

Die Suche nach dem Stein der Weisen ist mühselig, weil der ziemlich gut versteckt ist. Die Modelle und Strategien, von denen die Macher hoffen und glauben, den trendigen Auflage- und Abonnentenschwund stoppen bzw. verlangsamen zu können, sind von Haus zu Haus unterschiedlich. Eine erfolgversprechende, stringent-schlüssige Lösung, wie der Exitus auf Raten aufzuhalten wäre, hat jedoch noch keiner anzubieten. Auch die eigenen Hauptstadt-Korrespondenten reißen es da nicht raus. Ach ja: Wo steckt eigentlich der Kollege, den die Dill-Post  im Weißen Haus akkreditiert hat? Von dem hat man auch seit längerem nix mehr gehört. Und von ihrem investigativen Undercover-Enthüller aus dem Kreml auch nicht.

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