Rotorman's Blog

Sturm auf den Turm: US-Jagdbomber
fackeln Eschenburgs Wahrzeichen ab

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Da stand er noch in stattlicher Größe: Der Eschenburgturm aus der Luft. Knapp neun Jahre nach der Einweihung schossen zwei amerikanische Jagdbomber die beliebte Ausflugsstätte in Brand. Foto: Archiv Regionalmuseum Eschenburg

Von Jürgen Heimann

Eigentlich ist er ja zweimal gebaut worden, der Eschenburgturm, das vorweggenommene Wahrzeichen der damals noch gar nicht existenten Großgemeinde Eschenburg. Hat dem zuletzt 38 Meter hohen Gebäude aber auch nix genutzt. Ein paar gezielte Feuerstöße aus den Bordkanonen zweier US-amerikanischer Jagdbomber, und die hölzerne Konstruktion brannte wie Zunder – und bis auf die Grundmauern nieder. 70 Jahre ist das jetzt her.
Wenige Tage vor Kriegsende hatte es das imposante Gebäude, das nicht nur als Ausflugs- und Aussichtspunkt diente, doch noch erwischt. Im obersten Geschoss der Aussichtplattform befand sich eine „Fluwa“ (Flugwache), die an diesem Morgen des 23. März 1945 mit drei Luftwaffenhelferinnen besetzt war. Die Mädels konnten sich in letzter Sekunde ins Freie retten, wurden aber noch auf ihrer Flucht von den Angreifern beschossen. Sie blieben unverletzt. Gerade mal neun Jahre nach Einweihung der Stätte war das Turm-Kapitel damit Geschichte. Aber erledigt ist es damit noch lange nicht. Nach wie vor existieren Pläne, die „Eschenburg“ wieder aufzubauen – allerdings unter anderen Vorzeichen und basierend auf einem völlig anderen Nutzungskonzept als dem ursprünglichen.

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Die einzig existierende Aufnahme vom brennenden Eschenburgturm. Hans-Hartmut Conrad aus Niederscheld hatte als 12-jähriger Bub im entscheidenden Moment auf den Auslöser gedrückt. Als die Löschmannschaften den Brandherd erreichten, war die hölzerne Konstruktion bereits komplett abgefackelt. Foto: Hans-Hartmut Conrad

Der alte „Turm des deutschen Bergmanns“, wie er auch genannt wurde, lebt nicht nur in den Erinnerungen und den Gedanken vieler Menschen der Region weiter, sondern auch ganz real in den Fundamenten und Grundmauern einiger Nanzenbacher Wohngebäude. Der damalige Bürgermeister des heute zu Dillenburg gehörenden Dorfs hatte das aus 500 Kubikmeter Grünstein (Diabas) gemauerte, 20 x 20 Meter messende Untergeschoss bereits im Juli 1945 in einer Hauruck-Aktion sprengen und als Baumaterial abtransportieren lassen. So etwas wie den Baustoffhandel in Lixfeld, Obi oder Hellweg gab es ja damals noch nicht. Man wusste sich zu helfen, was freilich nicht bei allen, deren Herz an dem Bauwerk gehangen hatte, ungeteiltes Entzücken auslöste. Zurück blieben nur einige mächtige Trümmerbrocken, die noch Jahrzehnte später erahnen ließen, wie stattlich die Stätte einstmals gewesen ist. Sie sind inzwischen auch beseitigt.

Grüner Anstrich, braune Gesinnung

Heute erinnert noch ein Modell am ursprünglichen Standort daran. Aber vielleicht wird es ja irgendwann durch etwas Richtiges ersetzt. Dieser Eschenburg-Turm in Klein, gestiftet von einem Dillenburger Geldinstitut, stimmt allerdings in wesentlichen Details nicht mit dem ursprünglichen Original überein. Es hat ein Stockwerk zu viel und entsprechend zu viele Fenster. Die Farbe, ein rostiges Braun kommt auch nicht hin. Gestrichen war der hölzerne Aufbau nämlich mit einer grünen Lasur. Aber „Braun“ ist in einem anderen Zusammenhang sinnbildlich und relevant. Der historischen Korrektheit wegen darf nicht verschwiegen werden, dass das ganze Projekt durchaus auch im Sinne der NSDAP war, wie in zahlreichen Quellen nachzulesen ist. Und „die Partei“ förderte es nach Kräften. Nicht von ungefähr war der Vorsitzende der „Arbeitsgemeinschaft für Volkstum und Heimat Eschenburg“, die quasi als Bauherr operierte, ein gewisser Richard Manderbach, ein gebürtiger Wissenbacher und seines Zeichens Reichshauptamtsleiter und SA-Brigadeführer. Nicht zu verwechseln mit Wilhelm Manderbach aus  Siegen, der als Architekt mit der Planung betraut war. Und Reichsleiter Robert Ley, Chef des Einheitsverbandes „Deutsche Arbeistfront“, gehörte ebenfalls zu den Mäzenen. In einem Gedicht eines frühen Poetry-Slamers namens Brücker heißt es über den Turm u.a.: „Du schwingst Dich auf zum Gruß an unseren Führer, der deutsches Schicksal, Not und Schmach gewandt….“

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Der Rest vom Schützenfest. Der damalige Bürgermeister von Nanzenbach ließ das Untergeschoss wenige Monate nach dem Turmbrand sprengen. Die Steine fanden beim Bau dreier Wohnhäuser Verwendung. Foto: Archiv Regionalmuseum Eschenburg

Vom Akt der Zerstörung gibt es nur ein einziges, leicht verwackeltes Foto, das zwar nicht den Angriff auf den Turm direkt zeigt, aber dessen unmittelbare Folgen wenige Augenblicke nach der Attacke. Eine dicke, schwarze Rauchfahne steigt über der brennenden Spitze in den Himmel. Damit hatte sich das während der Einweihung am 20. Juni 1936 von vielen hundert Kehlen angestimmte Lied „Flamme empor“ auf fatale Weise erfüllt. Besagte Aufnahme stammt von dem Niederschelder Hans-Hartmut Conrad, der, nachdem zu Hause ausgebombt, bei seiner Tante in Wissenbach eine vorübergehende Bleibe gefunden hatte. Die Leica seines „alten Herrn“, des Niederschelder Pfarrers, hatte er immer in seiner Hosentasche dabei und drückte natürlich auch im entscheidenden Moment auf den Auslöser.

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Heute würde man von ABM-Maßnahmen reden: Etwa 150 Arbeitslose, aber auch viele freiwillige Helfer legten sich beim Bau des Turms und der Anlage der Zufahrtsstraße ins Zeug. Foto: Archiv Regionalmuseum Eschenburg

Es gibt unterschiedliche Deutungen, warum der Turm ins Zielvisier der US-Jabos vom Typ P-47 „Thunderbolt“ gerückt war. Letztere waren an diesem sonnigen 23. März wie auch an den Tagen zuvor sowieso wie angestochen und nahmen in weitem Umkreis alles unter Feuer, was bei Drei nicht auf dem Baum oder in einem schützenden Keller war. Am Ortseingang von Wissenbach beschossen Tiefflieger ein Kuhfuhrwerk, das gerade ein Jauchefass transportierte. Der Brand eines Wohnhauses im Ort selbst, in das etliche Geschossgarben einschlugen, durfte da als „Kollateralschaden“ dieses Angriffs verbucht worden sein.

Ausflugsziel und militärische Flugwache

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Von der Eschenburg schweift der Blick weit ins Land. Auf diesem Foto ist Wissenbach zu sehen. Die Aussichtsplattform des Turmes gewährte einen herrlichen Fernblick auf das Rothaargebirge, den Westerwald und bei klarem Wetter sogar bis in den Taunus hinein. Foto: Archiv Regionalmuseum Eschenburg

Die Aussichtsplattform des Turmes gewährte einen herrlichen Fernblick auf das Rothaargebirge, den Westerwald und bei klarem Wetter sogar bis in den Taunus hinein. Und weil das so war, hatte das deutsche Militär hier bereits im Juli 1943 eine in Folge rund um die Uhr besetzte Flugwache eingerichtet, die Tag und Nacht nach feindlichen und eigenen Flugzeugen Ausschau hielt und durch eine direkte Fernsprechleitung mit dem Flugwach-Kommando („Fluko“) in Gießen verbunden war. Dies dürfte den Angreifern durchaus bekannt gewesen sein. Aber ihre zerstörerische Operation wurde noch durch eine weitere Komponente beflügelt. Erst später sollte bekannt werden, dass sich etwa 1 Kilometer unterhalb des Eschenburgturms unweit des Steinbruchs just an diesem Tag eine sich auf dem Rückzug befindliche und von einem jungen Leutnant befehligte Maschinengewehr-Abteilung der Wehrmacht festgesetzt hatte. Ihr galt offensichtlich zunächst die Aufmerksamkeit der gegnerischen Jagdpiloten, die ihr Ziel in immer kürzeren Intervallen und Abständen umkreisten.

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Gefürchtete Zerstörer: Die P-47 Thunderbolt galt als Schrecken des Himmels. 15.600 Stück wurden während des Krieges produziert. Heute gibt es nur noch eine Handvoll flugfähiger Exemplare davon. Foto: Luftfahrtarchiv

Die Deutschen eröffneten mit zwei M9-Maschinengewehren das Feuer auf die Flugzeuge, deren Besatzungen darüber, dass, wie ein Chronist später formulierte, „ihnen die Bohnen durchs Leitwerk flogen“ offenbar „not amused“ waren. Sie vermuteten offensichtlich einen unmittelbaren militärischen Zusammenhang zwischen Turm und Truppe, „verschwinden hinter dem Kamm der hohen Fichten, stoßen aus ganz geringer Höhe auf den Turm herab, schießen ihm einige Feuerstöße Brandmunition in die Wände und ziehen dann hoch, als bereits die Rauchfahnen ihrer zündenden Wirkung aus den oberen Stockwerken heraus ziehen“. So schilderte es der Dillenburger Dr. Karl Dönges in einem zeitgenössischen Zeitungsbericht. Durchaus denkbar aber auch, dass das Interesse der Angreifer ursprünglich dem Hirzenhainer Segelfluggelände gegolten hatte und sie abgelenkt worden waren. Anschaulich beschrieben wird der Fall auch in dem von Winfried Krüger, Wolfgang Hofheinz II und Horst Holighaus 2008 herausgegebenen Buch „Der Eschenburgturm“, von dem das Regionalmuseum Eschenburg noch einige Exemplare vorrätig hält.
Hauptlehrer Reinhard Lückoff aus Wissenbach, der u.a. auch in Hirzenhain unterrichtete und hier als Segelflieger aktiv war, zählte zu den treibenden Kräften des Turmbaus. Er hat dessen Geschichte in dem Buch „Meinen Kindern zu eigen“ anschaulich und detailliert dargestellt. Diktion und Wortwahl sind freilich jener unsäglichen Zeit geschuldet, die die Dauer des tausendjährigen Reiches auf gerade mal zwölf Jahre komprimierte.

Da gab es nichts mehr zu löschen

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Plakat zur Eiweihung des Eschenburgturms am 20. Juni 1936. Foto: Archiv Regionalmuseum Eschenburg

Nach knapp einer Stunde hatten die ersten Helfer aus dem Tal den Ort des Geschehens erreicht, doch zu löschen gab es für sie nichts mehr. Noch während sie fassungslos in die rauchenden Trümmer starrten, kehrten die Jagdbomber zurück. Die Menschen flüchteten in Panik in das angrenzende Gebüsch, doch die Flugzeugführer hatten ihre Munition vermutlich schon alle verschossen oder kein Interesse an einem Blutbad. Thunderbolt-Piloten waren es übrigens auch gewesen, die zwei Tage zuvor über Hirzenhain einen aus seinem brennenden Düsenjäger (Me 262) abgesprungenen deutschen Unteroffizier noch am Fallschirm baumelnd erschossen hatten. Von diesem bulligen Ganzmetall-Mitteldecker waren während des Krieges 15.600 Exemplare produziert worden. Sie galten als Zerstörer. Aufzeichnungen der Amerikaner zufolge haben Piloten dieser Maschinen allein zwischen März 1943 und August 1945 auf den weltweiten Kriegsschauplätzen 7000 andere Flugzeuge abgeschossen, 1340 Lokomotiven, 86.000 Lkw, 6000 gepanzerte Fahrzeuge bzw. Panzer und 60.000 Fuhrwerke.
Eine wie auch immer geartete militärische Verwendung hatten die (Wissenbacher) Väter des Eschenburgturm-Gedankens natürlich ursprünglich nicht im Sinne gehabt, als sie Pfingsten anno 1934 die Arbeitsgemeinschaft „Volkstum und Heimat Eschenburg“ aus der Taufe hoben. Erklärtes Ziel: Die Errichtung eines Aussichtsturmes mit integriertem Museum auf der mit 592 Metern über NN höchsten Erhebung der Gegend. Ihnen schwebte eine Stätte der Begegnung vor, die auch touristische Magnetwirkung entfalten sollte. Obwohl der Begriff „Touristen“ ja erst viel später gebräuchlich wurde. Damals sprach man eher von „Sommerfrischlern“. Und vor allem solche aus dem „Ruhrpott“ hofft man durch das Projekt anlocken zu können. Daneben sollte die Einrichtung ein Museum mit Exponaten aus der Welt des Bergbaus und des Hüttenwesens sowie solchen aus der Frühgeschichte der Region beherbergen.

ABM-Maßnahme: Jobs für 150 Arbeitslose

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Frühe Farbaufnahme des Turms in der ersten Version. Die Aussichtsplattform war noch offen. Sie erhielt Nach Abriss und Wiederaufbau Glasfenster. Foto: Archiv-Regionalmuseum Eschenburg

Das Grundstück stand freilich auf Nanzenbacher Hoheitsgebiet, wechselte dann aber nach zähen Verhandlungen für 1500 Reichsmark den Besitzer. Die Planierung der Freifläche, für die 10.000 Quadratmeter Fichtenwald weichen musste, und die Arbeiten für den Bau der Zufahrtsstraße konnten beginnen. Dadurch war die Beschäftigung von 150 arbeitslosen Wohlfahrtsempfängern für vornherein ein halbes Jahr gesichert.

Während Kellergeschoss mit Unterbau, Erdgeschoss und Aufbau aus massivem Mauerstein bestanden, wurden die zehn darüber liegenden Etagen mit ihren insgesamt 160 Fenstern in Holzbauweise gefertigt. 150 Kubikmeter Holz waren dafür erforderlich. Die Zeit drängte, weil der avisierte Einweihungstermin zur Sonnenwende am 20. Juni 1936, immer näher rückte. Aber „Husch“ bedeutete in diesem Falle auch „Pfusch“. Unter anderem wurden Eckbalken in aller Eile einfach angesägt, um Fenster einsetzen zu können, was die Tragfähigkeit der gesamten Konstruktion unterhöhlte.
Die riesige Einweihungsparty mit viel Brimborium konnte zwar pünktlich erfolgen, doch schon am 30. Juni bezog ein Gendarm am Eingangsportal Position und verwehrte jedem Besucher den Zutritt: Wegen erheblicher Baumängel wurde die Anlage komplett für jedweden Publikumsverkehr gesperrt. Tatataaa! Das zog einen langwierigen Rechtsstreit nach sich, der sich natürlich auch um die Frage drehte, wer denn letztlich für den Murks haftbar zu machen wäre. Es blieb den Verantwortlichen nichts anderes übrig, als den kompletten Holzaufbau Stück für Stück abzutragen und durch einen auch statisch gesünderen (und ein paar Meter kleineren) zu ersetzen. Während Version 1 unter dem Dach eine offene Aussichtsplattform aufwies, wurden die Luken beim Neubau durch eiserne Fenster geschlossen. Am 15. Juni 1937 hatte schließlich zum zweiten Male Einweihung gefeiert werden können.

Studie zeigt Chancen eines Wiederaufbaus auf

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Heute erinnert eine nicht ganz detailgenaue, verkleinerte Nachbildung an den „Turm des deutschen Bergmanns“. Nach wie vor wird der Platz gerne von Wanderern und Radlern angesteuert. Die Aussicht ist von hier oben ins Tal ist immer noch famos.

Das alles ist lang her. Die Zeitzeugen, die sich daran erinnern können, werden weniger. In der Neuzeit fanden auf dem Gelände wiederholt Bergmannsfeste statt, aber Bedeutung erlangt so wie einst hat es nie mehr. Das könnte sich freilich ändern. Seit 2008 liegt eine detaillierte, von der Stadt Dillenburg, der Gemeinde Eschenburg und der Region Lahn-Dill-Bergland in Auftrag gegebene Machbarkeitsstudie für einen Wiederaufbau und eine touristische Nutzung auf dem Tisch. Das Papier zeigt höchst interessante Perspektiven und Ansätze auf. Doch die Kommunen sind derzeit zu klamm, um eine solche Investition, die je nach Ausführung zwischen  423.000 und 2 Millionen Euro liegen würde, zu stemmen. Aber die Sache ist nach wie vor aktuell und von Bürgermeister Götz Konrad noch längst nicht zu den Akten gelegt. Bis 2020 könnten die den Beteiligten im Falle einer Umsetzung mit nicht unerheblichen öffentlichen Fördermitteln aus Bundes- und EU-Mitteln rechnen. Schaun‘ mer mal….

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