Von Jürgen Heimann
Temporär sind die kleinen pausbackigen Kerlchen mit den lustigen Knopfaugen (erst mal) völlig von der Bildfläche verschwunden. Sie ratzen und halten in ihrem rund ein Meter unter der Grasnarbe angelegten Bau Winterruhe. Do not disturb! Real und im wahren Leben werden die Tiere die Platte in absehbarer Zeit ebenfalls geräumt haben. Und zwar völlig. Die Ära der akut vom Aussterben bedrohten Feldhamster neigt sich ihrem Ende zu. Wenn sie Ende April/Anfang Mai nach sechsmonatigem Erholungs- und Schönheitsschlaf wieder aus ihren unterirdischen Höhlen an die Oberfläche krabbeln, wäre es theoretisch möglich, jeden der Ihren mit Vornamen zu begrüßen. Denn es gibt nicht mehr viele von ihnen.
Aus Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern haben sich die putzigen Nager inzwischen komplett verabschiedet, in Nordrhein-Westfalen kann man sie fast an den Fingern einer Hand abzählen. In Baden-Württemberg siechen Schätzungen zufolge gerade mal noch hundert Exemplare vor sich hin. In anderen Bundesländern ist die Situation ähnlich. Hier mal mehr, dort mal weniger angespannt, aber durchgehend dramatisch. Der Trend ist überall negativ. Und das gilt auch für andere europäische Länder. 1.100 Tiere sollen es noch in Hessen sein, gerade mal 140 in Niedersachsen. Bundesweit wird der Bestand auf etwa 100.000 Exemplare geschätzt. Diese Zahlen hat das Bundesamt für Naturschutz (BfN) 2012 veröffentlicht. Aktuelle Erhebungen für 2017 liegen nicht vor. Aber die Lage dürfte seitdem nicht besser geworden sein.
Die Pausbacken vermissen das Bett im Kornfeld
Da nutzt den Tieren auch ihre naturseitig gegebene hohe Schlagzahl bei der Fortpflanzung nix. Früher warfen die Weibchen dreimal im Jahr 6-10 Junge, eine Zahl, die heuer ob der schlechten Lebensbedingungen längst nicht mehr erreicht wird. Die Reproduktionsrate kann den Schwund nicht mehr ausgleichen. Da Feldhamster notorische Einzelgänger sind, die ihr Territorium vehement gegen Artgenossen verteidigen, und jeder Bau nur von einem dieser Tiere bewohnt wird, lässt sich die Populationsgröße in ihrer Gesamtheit relativ gut abschätzen. Als bevorzugter Lebensraum des Pausbäckigen gelten Korn-, Klee- und Luzernefeldern. Vor allem Getreideareale sind wie ein Schlaraffenland für ihn. Werden diese jedoch abgeerntet, und das geschieht mit den modernen Hochleistungs-Mähdreschern ja immer effektiver, ist dies für den Feldhamster eine Katastrophe! Er lässt die leeren Backen hängen, weil für ihn bleibt nichts mehr übrig bleibt. Die Nahrung ist weg, die Deckung auch.
Point of no return: Die Entwicklung ist irreversibel
Auch diverse regionale Schutzprogramme, Nachzucht-, Auswilderungs- und Umsiedlungsaktionen haben die Situation nicht wesentlich entschärfen können. Sie ist offenbar irreversibel. Der Status Quo als “point of no return”. Da können die vielen privaten, ehrenamtlichen und/oder auch staatlich geförderten Initiativen allenfalls Schadensbegrenzung leisten. Aufhalten lässt sich der Niedergang wohl nicht. So widmet sich beispielsweise die in Gießen ansässige Arbeitsgemeinschaft Feldhamsterschutz unter wissenschaftlicher Begleitung dem Bestandsschutz der Tiere mit großem Engagement. Auch die Deutsche Wildtierstiftung ist auf diesem Sektor sehr umtriebig.
Und wenn die Politik auf Linie ist, umso besser. In Hessen (aber auch in anderen Bundesländern) setzt man unter anderem auf Naturschutzverträge mit den Landwirten, um die Ernährung der Tiere zu sichern. Die Schollenbewirtschafter verpflichten sich dazu, Teile ihrer Getreideflächen, sogenannte “Hamsterstreifen”, nicht abzuernten. Im Gegenzug erhalten sie vom Land Hessen eine Ausgleichszahlung. Für einen zwei Meter breiten Streifen auf einem ein Hektar großen Grundstück sind das immerhin 220 Euro. Welche Anstrengungen unternommen werden, um den kleinen Burschen das Leben etwas leichter zu machen und sie schützen, zeigt dieses Video:
Streng geschützt, doch chancenlos
Für den Titel “Tier des Jahres”, der dem seit 1998 in Germanien streng geschützten Hamster 2016 verliehen wurde, konnte er sich bislang aber eher nix kaufen. Es geht weiterhin bergab mit ihm. Den wenigsten Menschen dürfte ein Vertreter dieser Spezies, die bis zu 35 Zentimeter groß werden, schon mal in natura begegnet sein. Sie sind scheu und obendrein abend- und nachtaktiv. Ihre kleineren, bei uns domestizierten syrischen Vettern hingegen, die Goldhamster, die in ihren Käfigen so unermüdlich am Rad drehen, sind nicht nur hierzulande beliebte Haustiere. (Geflüchtete Zweibeiner aus diesem kriegsgeschüttelten Land mögen gewisse Leute in Deutschland hingegen weniger). In ihrer syrischen Heimat werden die Hamster als Ernteschädlinge vehement verfolgt und gelten dort inzwischen ebenfalls als gefährdet.
Als Ernteschädlinge gnadenlos verfolgt
Gnadenlos gejagt wurden die einheimischen Vertreter bis vor einigen Jahrzehnten auch bei uns. Aus dem gleichen Grund. In Teilen der ehemaligen DDR waren Feldhamster, die so groß wie ein Meerschweinchen und 500 Gramm schwer werden können, noch bis um 1980 so häufig, dass Kopfprämien ausgesetzt wurden. Die Felle der getöteten Opfer wurden hauptsächlich zum Ausfüttern von textilen Mänteln oder Jacken benutzt. In den 1950er Jahren wurde allein im Bezirk Magdeburg jährlich 1,1 bis 1,2 Millionen Exemplaren das Fell über die Ohren gezogen. Noch bis 1975 pflegte man in Aschersleben sogar Hamsterbaue zu begasen. In einigen Ländern werden auch heute noch Hunde darauf abgerichtet, die ungeliebten Schädlinge zu massakrieren. Chinesische Bauern fangen große Hamster und verfüttern sie an Katzen oder andere Heimtiere.
Größter Feind ist die industrielle Landwirtschaft
Doch die Verfolgung durch den Menschen oder der Appetit seiner natürlichen Feinde (Fuchs, Milan, Wiesel und Turmfalke) gilt nicht als Hauptgrund für den dramatischen Bestandsrückgang. Was den Hamster-Populationen in Germanien und in vielen anderen Ländern am meisten zusetzt und mittelfristig das Genick brechen wird, war und ist die industrielle Feldbewirtschaftung, die zunehmende Bebauung (Flächenversiegelung), die Isolation und Zerschneidung der Lebensräume, aber auch die Umstellung von Sommer- auf Wintergetreide. Der exzessive Gifteinsatz in der Agrarindustrie kommt erschwerend hinzu. Aber darunter haben ja auch noch andere Arten der heimischen Kulturlandschaft zu leiden: Rebhuhn, Feldlerche und Feldhase zum Beispiel. Im Industrieland Deutschland werden jeden Tag rund 70 Hektar mit Asphalt oder Gebäuden bebau. Das entspricht etwa 90 Fußballfeldern. Alles Flächen, die für die Natur verloren sind.
Denke dran, schaff‘ Vorrat an
So putzig die zu den Mäuseartigen gerechneten Underground-Architekten auch sein mögen, das Verhältnis des Menschen zu ihnen galt schon immer als angespannt. Was auch an dem ausgeprägten Hang dieser Tiere zur vorausschauenden Vorratsspeicherung lag. Hamster hamstern nun halt mal. Nomen est omen. Sie tun das, um im Winter etwas zu kauen zu haben. Um sich über die lange Zeit zu retten, benötigen sie mindestens zwei Kilogramm an Vorräten – und bedienen sich da schon mal ausgiebig beim Bäuerchen nebenan. Worüber dieses “not amused” war und ist.
Wo der Hamster (noch) lebt, darf nicht gebaut werden
Deshalb waren die Allesfresser früher, obwohl sie auch Regenwürmer, Engerlinge, Käfer und sogar Feldmäuse vertilgen, beim Agrarvolk vor allem als Schädlinge, Futter- und Nahrungskonkurrenten verschrien. Heute hingegen werden sie oft und gerne als Wirtschaftsbremsen diskriminiert. Dies, weil eine Handvoll von ihnen aufgrund aktueller Gesetzeslage schon mal den Bau neuer Straßen bzw. die Ausweisung neuer Wohn- oder Industriegebiete verhindern bzw. ausbremsen kann. Und das mit höchstrichterlichem Segen. Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes verpflichtet die EU-Mitgliedsstaaten dazu, jede Beschädigung oder Vernichtung der Fortpflanzungs- oder Ruhestätten dieser Tiere zu verhindern. Wo die Wühler zu Hause sind, darf laut Gesetz nicht gebaut werden. Kein Exemplar des Feldhamsters darf bedroht, gefährdet oder getötet, seine Lebensräume dürfen nicht zerstört werden.
Wenn Planer ihre Hausaufgaben nicht machen
Eine Vorgabe, die aber gerne schon mal ignoriert oder unter fadenscheinigen Gründen unterlaufen wird. Aktuell erleben wird das ausgerechnet im Main-Kinzig-Kreis, einer Region, die landesweit beim Feldhamsterschutz führend ist. Hier, zwischen Hanau-Mittelbuchen, Frankfurt-Bergen und Maintal befindet sich das bedeutendste Vorkommen dieser sowieso schon recht spärlich vertretenen Spezies in Hessen. Dieses Refugium droht durch das neue Baugebiet “Mittelbuchen Nordwest” drastisch beschnitten zu werden. Was, nebenbei bemerkt, auch Auswirkungen auf den hier lebenden Roten Milan haben wird. Aber es ist ja hier wie andernorts nicht der Feldhamster, der sich als “Baustopper” aufspielt. Es sind unprofessionelle Planer und Bauträger, die ihre gesetzlichen Hausaufgaben und Prüfaufträge nicht erfüllen. Genau so hat es Beate Jessel, die Präsidentin des Bundesamtes für Naturschutz, seinerzeit einmal treffend formuliert.
Die Stadt Hanau zeigt, wie man es nicht machen sollte
Die Stadt Hanau hält aber stur an ihren Plänen fest, obwohl ein ihr vorliegendes Artenschutzgutachten davor warnt und die Kommune bis heute kein geeignetes Ausweichgebiet hat ins Spiel bringen können. Angeblich, weil es keine entsprechenden Flächen gibt. Aber die Verantwortlichen haben erst gar nicht danach gesucht, oder nur halbherzig. Dagegen regt sich Widerstand. Durch eine entsprechende Online-Petition hoffen Naturschützer und Aktivisten der Interessengemeinschaft “IG Bauvorhaben Mittelbuchen Nordwest” , die fatalen Pläne durchkreuzen bzw. Öffentlichkeit herstellen bzw. Widerstand mobilisieren zu können. Unterstützen kann man den Protest hier:
Bemühungen solcherart werden auch gerne mal ins Lächerliche gezogen. Zumal dann, wenn es um wirtschaftliche Interessen geht. Was dem Menschen als Krone der Schöpfung nutzt, hat Vorrang. Was zählen dagegen schon so ein paar pelzige Untergrundler? Deren Schicksal geht den meisten sowieso am A… vorbei. Unabhängig von der Rolle, die Feldhamstern im ökologischen System zukommt und die vielen ja gar nicht richtig bewusst ist. Jede Tier- und Pflanzenart, die ausgerottet wird, bedeutet einen unwiederbringlichen Verlust. Nicht nur an Vielfalt. Die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen beginnt oft im Kleinen. Diese Lebensgrundlagen erodieren mit jeder Art, die vom Erdboden getilgt wird. Das kann dauerhaft einfach nicht gut gehen.
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