Rotorman's Blog

Vogelsterben: Piepmätze müssen Federn
lassen – 12,7 Millionen Brutpaare weniger

Vogel-Kombi

Auf dem absteigenden Ast: Auch Goldammer, Buchfink (oben v.l.n.r.), Wintergoldhähnchen und Haussperling (unten v.l.n.r.) verzeichnen dramatische Bestandseinbußen. Nur eine Frage der Zeit, bis sie endgültig von der Bildfläche verschwunden sind. Fotos: Pixabay

Von Jürgen Heimann

Um unsere Gefiederten ist es schlecht bestellt. Sie zwitschern auf dem absteigenden Ast. Ihre Population ist in den vergangenen zwölf Jahren um 12,7 Millionen Brutpaare geschrumpft, was einem Rückgang um 15 Prozent entspricht. Diese alarmierenden Zahlen,  die  auf einer aktualisierten Auswertung der bereits 2013 von der Bundesregierung an die EU gemeldeten Bestandsdaten basieren, hat jetzt der Deutsche Naturschutzbund (NABU) veröffentlicht und aufbereitet. Die Organisation spricht von einem Vogelsterben dramatischen Ausmaßes. Hauptursache: die industrielle Agrarwirtschaft. Deren Vertreter sind nicht gut zu Vögeln.  

Gut, man könnte sich jetzt auf den Standpunkt zurückziehen, was uns denn bitteschön der gefiederte Schwund jucken soll. Kann Otto-Normal-Verbraucher doch am A… vorbei gehen. Allenfalls mag das die Malteser, die Zyprioten oder die Ägypter interessieren, die ja als (Zug-)Vogelfänger großen Stils agieren und Jahr für Jahr Abermillionen kleiner Flattermänner auf der Reise in den Süden für die Spezialitätenpfannen ihrer Gastronomie aus dem Verkehr ziehen. Und wenn der Nachschub nicht mehr so wie bisher gewohnt rollt bzw. (an-)fliegt, klingelt es auch in den Kassen der Häscher nicht mehr so üppig. Aber da steckt doch etwas mehr dahinter.

Es gibt bei uns immer weniger artenreiche Wiesen-, Weiden- und Brachflächen. Sie weichen ausgedehnten monokulturell bewirtschafteten Zonen, beispielsweise für den Mais- oder Rapsanbau. Und da stören Hecken und Feldgehölze nur. Dadurch reduziert sich nicht nur der Lebensraum der Piepmätze, sondern auch der der Insekten, einer ihrer Hauptnahrungsquellen. So ist die Dichte an Kerbtieren seit den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts um über 75 Prozent zurückgegangen. Was auch am massiven Chemie-Einsatz liegt. Hochtoxische Schädlings- und Unkrautvertilgungsmittel aus den Giftküchen von BASF, Bayer und Co. fordern ihren Preis. Wobei dem US-Multi Monsanto als Global-Player eine besondere Verantwortung trifft. Dessen bei den Landwirten so beliebtes und Glyphosphat enthaltene Unkrautvertilgungsmittel “Roundup” vernichtet nicht nur im großen Stil Pflanzen und Kleinlebewesen, sondern steht auch im Verdacht, beim Menschen Krebs auszulösen. Dutzende Klagen Geschädigter sind anhängig. Die EU entscheidet demnächst über eine weitere um zehn Jahre zu verlängernde Marktzulassung dieses Teufelszeugs. Die Bundesregierung ist zerstritten, wie sich Deutschland bei der Abstimmung verhalten soll. Der CSU-Agrarminister ist natürlich für eine Beibehaltung der Genehmigung, das SPD-gefüherte Bundesumweltmninisterium dagegen. Es wird wohl auf eine Enthaltung der Deutschen hinauslaufen.

Weniger Lebensraum, weniger Nahrung

Grafik

In den vergangenen zwölf Jahren haben sich viele Singvogelarten rar gemacht. Insgesamt gingen deutschlandweit 12,7 Millionen Brutpaare verloren. Die exzessiv betriebene industrielle Landwirtschaft macht den Piepmätzen das Leben zunehmend schwerer. Quelle: Naturschutzbund Deutschland

Die ornithologische Fraktion weiß nicht nur immer seltener, wo sie ihre Eier hinlegen soll, sondern hat auch kaum mehr etwas zu beißen. Ein fataler, sich gegenseitig bedingender Teufelskreis, der irgendwann wohl mal in den “stummen Frühling” mündet, den die amerikanische Biologin Rachel Carson in ihrem gleichnamigen Buch bereits 1962 vorausgesagt hatte. Dieses bedeutende Jahrhundertwerk lieferte seinerzeit die Initialzündung für die weltweite Umweltbewegung. Seitdem ist zwar viel erreicht worden, aber die Giftkeulen, die geschwungen werden, sind seitdem eher größer und vernichtender geworden.

Apropos nix zu beißen: Weniger Krabbler, Brummer, Summer und Huscher bedeuten nicht nur für die Vogelwelt weniger Nahrung. Auch der Mensch wird es zu spüren bekommen – und dann wohl den Gürtel enger schnallen müssen. Weil eben 75 Prozent unserer Nutzpflanzen auf eine Bestäubung durch Insekten angewiesen sind. Ohne können sie sich nicht fortpflanzen. Und dann gibt es auch kein Obst und kein Gemüse mehr. Der bekannte Entomologe Edward Wilson hat es mal so auf den Punkt gebracht: “Ohne Insekten kann der Mensch nicht länger als ein paar Monate überleben”. Ganz einfach deshalb, weil dann die Nahrungskette gestört bzw. unterbrochen ist. In den vergangenen 27 Jahren hat sich die Biomasse fliegender Kerbtiere um drei Viertel verringert. Jeder kann das im Alltag feststellen. Noch vor ein paar Jahren mussten wir die Scheiben unserer Autos und deren Kühlergrills regelmäßig von Fliegen-, Mücken- und Falterresten säubern, während nach Einbdurch der Dunkelheit im Luftraum um die Straßenlaternen mehr Betrieb herrschte als über dem Frankfurter Flughafen. Legen wir mal eine alte Platte von Bob Dylan auf: The times they are a changin! Wir steuern auf ein ökologisches Armageddon zu.

Vogel des Jahres: Der Star ist der große Verlierer

Stare

Zu den größten Verlierern gehören die Stare. Deren Population ist um 2,6 Millionen Brutpaare geschrumpft. Der NABU hat die pfiffigen Geräuschimitatoren zu Vögeln des Jahres gekürt – um auf den Artenschwund aufmerksam zu machen. Foto: Pixabay

Zurück zu den fliegenden Landwirbeltieren. Die Entwicklung verläuft zweigeteilt. Während es gelungen ist, einige seltene und große Vogelarten durch gezielte und aufwändige Schutzmaßnahmen vor dem endgültigen Aus zu bewahren, brechen andererseits die Bestände der sogenannten “Allerweltsvögel” rapide ein. Zu den großen Verlierern gehört beispielsweise der Star, den der NABU, um darauf hinzuweisen, unlängst zum Vogel des Jahres 2018 gekürt hat. Noch zählt er mit 3,65 Millionen Brutpaaren zu den häufigsten Vogelarten in Deutschland und Europa, noch. Die cleveren Stimmen- und Geräuschimitatoren haben zuletzt aber am meisten Federn gelassen. Um gut 20 Prozent sind ihre Bestände in den vergangenen zwölf Jahren gesackt. Das entspricht 2,6 Millionen Brutpaaren. Ebenfalls auf dem Rückzug sind Hausperling, Wintergoldhähnchen und Buchfink. Aber auch Feldlerche, Feldsperling und Goldammer machen sich zunehmend rarer.

Die Notbremse ziehen: Agrarförderung muss reformiert werden

Feldlerche

Da stehen einem die Haare zu Berge. Auch bei den Feldlerchen gibt es einen erheblichen personellen Aderlass. Die Zahl der Brutpaare hat sich um 720.000 verringert. Foto: Pixabay

Ein Ende dieser (übrigens weltweit zu beobachtenden) Entwicklung ist nicht absehbar. Vor allem dann nicht, wenn es in der Landwirtschaft ein unseliges Weiter-so gibt. Den Feldhamster beispielsweise haben die Framer ja schon so gut wie ausgerottet. Viele Naturschutzverbände und -organisationen fordern eine Umkehr und eine grundlegende Reform der Agrarförderung – auf nationaler wie auf EU-Ebene. Die aus öffentlichen Mitteln gespeiste Alimentierung der abendländischen Schollenbesteller dürfe nicht mehr länger nach dem Gießkannenprinzip erfolgen, sondern müsse sich gezielt an konkreten ökologischen Erfordernissen, Leistungen und Beiträgen dieser Klientel orientieren, heißt es. Nun hat der bisherige Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt in seinem Handeln  ja auch nicht nur ansatzweise erkennen lassen, dass er die Zeichen der Zeit verstanden hat. Sein Selbstverständnis war das eines agroökonomischen Chef-Lobbyisten und von nationalen wie branchenorientierten Eigeninteressen geleiteten Gralshüters. Für den CSU-Mann hieß und heißt es: German farmers first! Das eigene Hemd ist einem halt näher als der Rock anderer. Bleibt abzuwarten, wie sein Nachfolger tickt – wer immer das auch sein wird. Aber auch er bzw. sie dürften es schwer haben, sich gegen die omnipotente Agrarlobby zu behaupten und durchzusetzen.

Letztlich zerstören wir in “good old Europe” mit einem Festhalten an der bisherigen Praxis mittel- und langfristig nicht nur unsere eigenen Lebensgrundlagen, sondern vernichten aktuell auch die Existenzen Millionen armer Bauern in der Dritten Welt. Der Preis ist nämlich heiß. Mit den von den wohlhabenden Industrienationen subventionierten und sogar exportierten Agrarprodukten können die armen Schlucker jotwede kaum mithalten.  Indem wir mit künstlich im Preis reduzierten Nahrungsmitteln die Märkte in Afrika, Südamerika oder Asien überschwemmen, degradieren wir die Anbauakteure vor Ort zu Hungerleidern.

 Brummen wie ein Rasenmäher, klingeln wie ein  Handy

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Stars am Himmel: Vermutlich von Schwarmintelligenz gesteuerte Großformation im Westerwälder Luftraum. Foto: Siegbert Werner

Um noch mal auf den Vogel des Jahres 2018 zurück zu kommen: Bei Winzern und Bauern hält sich die Begeisterung über den Star ja eher in Grenzen. Weil er als  Konkurrent und Schädling gesehen wird. Je nach Größe des Pulks gelingt es den kleinen, schwarz schillernden, zwischen 19 und 20 Zentimeter messenden Schwarmfliegern schon mal, binnen kurzer Zeit einen kompletten Weinberg kahl zu fressen oder ein Getreidefeld abzuernten. Charakteristisch für den “Sturnus vulgaris”, so der wissenschaftliche Name, ist sein aus eindringlichen Lautmalereien bestehender “Gesang”. Er ist bekannt dafür, dass er andere Vögel und Tiere perfekt nachahmen  kann. Eine Fähigkeit, die schon Wolfgang Amadeus Mozart bewunderte. “Stahrl” nannte der Genius  seinen gelehrigen Stubenvogel, der sogar einige Kompositionen seines Besitzers nachzwitschern konnte. Womit das vokale Repertoire dieser Tiere aber noch lange nicht erschöpft ist. Sie sind auch in der Lage, den Klingelton eines Handys, das Klappern einer Schreibmaschine, das Brummen eines elektrischen Rasenmähers oder den Sound einer Gartenschere perfekt nachzuahmen.

Fliegende Teppiche mit Schwarmintelligenz

Besonders eindrucksvoll aber sind die Flugbilder, die diese Vögel an den Himmel malen. Sie zeichnen Figuren von unerreichter Präzision und Synchronität, in Formationen, die nicht selten aus 50.000 und mehr Exemplaren bestehen. Da bilden sich in Nullkommanix surreale Muster und Figuren, fliegenden Teppichen nicht unähnlich, die sich wie auf Kommando in Form und Struktur ständig verändern.  Der Schwarm folgt dem Kommando eines bis heute nicht eindeutig identifizierten „Leaders“ zum Richtungswechsel mit der in Nanosekunden umgesetzten Exaktheit eines eidgenössischen Uhrwerks. Keiner weiß, wie die Kerlchen diese luftigen und gigantischen Flashmobs hinkriegen. Das wird oft mit „Schwarmintelligenz“ erklärt, was immer das auch heißt. Das sieht dann so aus:

Wenn der Feind aus allen Wolken fällt

Warum die das machen? Selbstschutz. Für Greifvögel oder auch Krähen gelten Stare als leckeres Zubrot. Die Räuber warten meist an den Schlafplätzen ihrer potentiellen Opfer, um sich die bei der Rückkehr zu schnappen.  Die Strategie dagegen ist der Schwarm. So eine lebende „Wolke“ bietet relative Sicherheit.  Eine vergleichbare Taktik wenden ja  auch Heringe und Sardinen an, die sich im Riesenpulk so dicht zusammen drängen, dass Delfine und Thunfische den einzelnen Beutefisch gar nicht mehr erkennen können. So hat man beobachtet, dass Stare, sollte der Feind ihre Reihen einmal tatsächlich durchbrechen, noch enger zusammen rücken. Der Angreifer hat dann keinen Platz mehr, um mit den Flügeln zu schlagen, und fällt förmlich aus dem lebenden Schutzschild nach unten heraus. Upps! Da bekommt die Redewendung „aus allen Wolken fallen“ plötzlich eine ganz neue Bedeutungstiefe. Ein Ornithologe hat ein solches eindruckjsvolles Manöve rin Irland gefilmt:

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