Rotorman's Blog

Wirt-uos auf dem absteigenden Ast: Die
Dorf-und Eckkneipen als Auslaufmodelle

Weizenbierkneipe

Die klassische Eck- oder Dorfkneipe scheint ein Auslaufmodell. Die Gäste bleiben aus, die Wirt-uosen zapfen auf verlorenem Posten.

Von Jürgen Heimann

Unsere Wirt-uosen haben’s auch nicht leicht. Von den Sch…-Arbeitszeiten mal ganz abgesehen. Das Kneipensterben hat sich zwar etwas verlangsamt, hält aber an. In den vergangenen zehn Jahren haben deutschlandweit 18.486 Spelunken dicht gemacht. Seit 2001 sind in jeder vierten Schankwirtschaft die Zapfhähne nach oben gedreht worden – für immer. Der aktuelle Bestand an den noch real existierenden und mehr oder weniger gastlichen Stätten beträgt somit aktuell 221. 309. Insofern braucht ja keiner zu verhungern oder zu verdursten. Und findet „on Tour“ immer auch noch ein Plätzchen für sein müdes Haupt. Aber der Wettbewerb wird härter, die Gewinnmargen dümpeln vor sich hin oder weisen nach unten.  

In der Zahl 221. 309 sind alle gastronomischen Betriebe enthalten, reine Schankstätten ebenso wie Hotels, Pensionen, Gourmet-Tempel, Cafés, Imbissbuden und Stehbierhallen –  die schwarz betriebenen pseudo-privaten Schluck-Höhlen und –Höllen jetzt mal nicht mitgerechnet. Zusammen erzielten sie im vergangenen Jahr gegenüber 2015 ein nominales Umsatzplus von 2,9 Prozent. Bereinigt waren es real 0,9 Prozent. Also so doll auch wieder nicht.

Nur noch Alte in der „Alten Post“

Um sich von den freundlichen Mitbewerbern abzuheben, müssen nicht nur Qualität und Service stimmen. Ein stringentes Konzept und, ganz wichtig, ein origineller Name sind mindestens ebenso wichtig. Dahingehend mangelt es vielen nicht, sieht man mal vom “Hotel zum Goldenen Hirsch”, dem Gasthaus “Zur Krone”, dem “Bürgerstübli”, der “Alten Post” oder dem “Treffpunkt” ab. Diese Bezeichnungen locken nur noch alte Hunde hinter dem Ofen hervor, solche, die hier immer schon am Tresen gebellt haben bzw. hier mittags und/oder abends ihren Napf leeren.

Große Portionen im „Scheunendrescher“

SOS

Das Kneipensterben geht weiter. Seit 2001 sind in jeder vierten deutschen Schankwirtschaft die Lichter ausgegangen.

Aber es gibt auch viele innovative und kreative Ausnahmen, lustige zumal, die teils eine gehörige Portion Selbstironie der Betreiber widerspiegeln, andererseits aber auch ein Alleinstellungsmerkmal sind oder sein können. Oft, aber nicht immer, wird ersichtlich, wo der Gastgeber seine Stärken sieht. Mitunter geschieht das durch verklausulierte Wortspiele. Beim “Scheunendrescher” könnte man überdurchschnittlich große Portionen erwarten, während der Koch im “Geschmacksverstärker” wohl eher nicht mit Gewürzen geizt. Im “Suppenkasper” erwartet den Löffler eine schier unübersichtliche Auswahl an Kraft- und Fleischbrühen, Boullons und Eintopf-Pampen, während er beim “Mikrowellen-Sepp” von vornherein weiß, dass der nicht selbst am Herd steht, sondern seinen Gästen lediglich Aufgewärmtes auftischt.

Rülpsen in der „Schmatzhöhle“

Der Name “TurkManIsDa” lässt auf einen osmanischen  Gastronomen schließen, während es in der “Gerüchteküche” wohl doch mehr als nur Tratsch und Getuschel gibt. Das “Esstablishment” gilt als alt eingesessenes Spezialitäten-Restaurant mit gut bürgerlicher Küche, und in der “Schmatzhöhle” scheint man auf gute Tischmanieren nicht sonderlich viel Wert zu legen. Einen guten Magen benötigen die Gäste im Lokal “Zum Hartgesottenen”, während sie im “Ess-Press” damit rechnen müssen, ziemlich schnell abgefertigt zu werden.

Im „Satt-In“ steht die „Cookubine“ am Herd

Zapfen

Ozapft is: Aber auch wenn der Bierhahn glüht, mit Getränken allein lässt sich heute nix mehr reißen. Viele Wirtshäuser bieten nur ein minimales Verpflegungs- und Unterhaltungsangebot. Für erlebnishungrige Zecher entschieden zu wenig.

Weitere aus der grauen Namensmasse herausragende Bezeichnungen wären “Lunchpaket”, “Eingebrockt”, “Mampferia”, “Wiederkäuer”, “Remou-Laden”, “Fress-Sack”, “Kartoffelpuff”, “Tirami-Sue” und “Friss oder stirb'”. In der “Halben Portion” sind letztere eher knapp bemessen, im “Satt-in” überdurchschnittlich. Im “Land-Gericht” verkehren nicht nur Richter, Staatsanwälte und Rechtsverdreher. Hier stehen stattdessen lokale Spezialitäten der regionalen Traditionsküche auf der Agenda, zubereitet von der “Cookubine”, so der Name einer weiblich geführten Fressoase ein paar Straßen weiter. In einer niedersächsischen Kleinstadt findet sich das Lokal “Zum Linsengericht”, während sich der Besitzer der “Kichererbse” ebenfalls auf Hülsenfrüchte spezialisiert zu haben scheint.

Ein Blick in die Branchenverzeichnisse zeigt, dass auch die Betreiber von Konditoreien und Kaffeestuben zu kreativem Output in der Lage sind. Das “Café Strudellutscher” zeugt davon, ebenso das Café “Zum stillen Törtchen” oder das “Ferrari-Küsschen”. Schräg gegenüber wartet die “Kaf-Fee” auf Kundschaft, die Konkurrenz nebenan nennt sich “Aber bitte mit Sahne”. Der Name “Zum TeeNager” lässt eher auf ein Teehaus schließen, das überwiegend von jüngeren Gästen frequentiert wird.

Knusprige Hähnchenschenkel im „MoreHuhn“

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Jetzt auch nicht unbedingt ein Paradebeispiel kreativer Namensgebung. Heute geht man in den „Wiederkäuer”, den “Remou-Laden”, den “Fress-Sack”, oder den “Kartoffelpuff”. Foto: Pixabay

Es gibt klassische und reine Steakhäuser, aber auch solche, in denen ausschließlich Geflügelgerichte serviert werden. Die heißen dann “Ente gut – alles gut”, “Gans billig”, “MoreHuhn”, “Zum Kotflügerl” oder “Zur lahmen Ente”. Dreimal darf man raten, was unsereins vorzugsweise im “Eier-Tollah” und im “Omelett-it-be” vorgesetzt bekommt. Was es hingegen beim “Pommfritz” gibt, ist offenkundig. Dessen Frau heißt übrigens “Fritzeuse”. Ein kongeniales Team. Auch das “Fettneszentrum” legt die Vermutung nahe, dass bei der Zubereitung mit Schmierstoff nicht gegeizt wird. Beim “Fettischist” sowieso nicht. “Schönerdöner” gibt’s beim türkischen Kollegen am Izmir-übel-Stand.

Eine Männerkneipe namens „Prostata“

Reine Fischrestaurants spielen schon mal mit Bezeichnungen wie “Aalglatt”, “Kabeljauche” oder “Au-Stern”. Aber in diesem Segment gibt es auch den “Sushi-Sascha”, die “Aalothek” und die “Krabbenstube”. “Krebs erregend” ist da auch ziemlich einprägsam.

Wer eher auf flüssige Nahrung abonniert ist, muss nicht unbedingt im “Pils-Eck” oder in der “Bierstube” einen Deckel machen. Da gibt es Besseres. Wie wär’s mit der “Vetternwirtschaft”? Eine “Alkoholberatungsstelle” gibt es schon. “Prostata” heißt eine reine Männerkneipe im Ruhrpott. Hier kann man(n) sich auch in der “Trinkleranlage” berieseln (lassen), während in Berlin-Moabit  der “Dauerbrenner” ein solcher ist. Sicher scheint andererseits zu sein, dass man in dem „Bar-Bier“ getauften  Schuppen nicht rasiert wird, zumindest nicht an Kinn und Backe.

Zwischen Alka Seltzer, heißer Bockwurst und Chris Howland

Und was uns der Betreiber der “Wirt schafft” wohl mit dieser Namenswahl sagen will? Davon abgesehen aber gilt: Immer weniger Wirte schaffen’s tatsächlich und auf Dauer, sind geschafft oder schaffen sich selbst ab. Der Traditionsfixierung  oder euphorischen Gründerphase folgt sehr schnell Ernüchterung – im wahrsten Sinne des Wortes. Kater inklusive. Und da hilft auch kein Alka Seltzer. Gilt in gleichem Maße für alteingesessene Traditionsstuben. Solche mit Seele und Atmosphäre. In der klassischen Dorf- oder der städtischen Eckkneipe bespaßen die Pilsschäumer immer weniger Schoppenfreunde und zapfen längst auf verlorenem  Posten. Diese Etablissements, auch als „Getränke-orientierte Einraumstuben“ bezeichnet, sind tot oder gelten als Auslaufmodelle. Sie sind mit ihrem dürftig-schmalen Unterhaltungs- und Verpflegungsangebot aus der Zeit gefallen und locken allenfalls noch ein paar tapfere, trinkfreudige Rentner an, die so betagt sind wie ihr Lieblingsweinbrand heißt: “Asbach Uralt”. Eine heiße Bockwurst stellt hier das höchste der kulinarischen Gefühle dar; das Entertainmentprogramm beschränkt sich auf das Rattern eines altersschwachen, stets klammen Geldspielautomaten oder erschöpft sich in einer nostalgischen Musicbox, die immerhin noch mit dem neuesten Hit von Chris Howland aufwarten kann.

Ohne blauen Dunst fehlte vielen die Luft zum Atmen

2-Raucherkneipe

Das Rauchverbot hat unzähligen Kneipiers das Genick gebrochen. Es führte dazu, dass mehr draußen gestanden als drinnen getrunken wurde. Für viele Gastronomen wurde die Luft dadurch zu dünn.

Was den Niedergang beflügelt hat? Unter anderem auch das Rauchverbot, das nach seiner Einführung wie ein Brandbeschleuniger wirkte und zunächst dazu führte, dass mehr draußen gestanden als drinnen getrunken wurde. Da wurde die Luft für viele Gastronomen zu dünn, auch wenn die entsprechenden Gesetze von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich rigide formuliert waren. Und dann war bzw. ist da ja auch noch das böse Internet. Fragen wir mal einen Trendforscher. Der Zukunftswissenschaftler Horst Opaschowski hat die Entwicklung analysiert. Den Grund, warum es immer weniger Leute an den Tresen zieht, sieht der Mann im veränderten Kommunikations- und Ausgehverhalten der Menschen. Die wollen etwas erleben, und das möglichst in kurzer Zeit. Und halt nicht nur mit von Stunde zu Stunde starrer werdendem Blick in ihre Gläser stieren.

Das „zweite Zuhause“ verliert an Bedeutung

Nur noch ganz Unentwegte wünschen sich: „Begrabt meine Leber an der Biegung der Theke“. Früher, so der Trendscout, sei die Kneipe ein zentraler Ort des Alltags gewesen, Feierabendtreff ebenso wie Meeting-Point nach dem Kirchgang. Damals hätten sich die Leute den Kneipengang auch erst noch verdienen müssen. Indem sie zuvor die Gardinenpredigt des Talarträgers über sich ergehen ließen – oder halt den Anschiss des Vorgesetzten. Das Gasthaus war ein ausgleichender Gegenpol zur Arbeit, in dem man(n) sich gehen lassen durfte und konnte. Die Funktion eines „Schlüsselerlebnisortes“ hat die Kaschemme aber inzwischen längst eingebüßt und somit als zweites Zuhause ausgedient.

Die Menschen genießen zwar immer noch gerne ihr Feierabendbier, doch weniger an der Theke, sondern eher vorm eigenen Fernseher. Der Alkoholkonsum verlagert sich bei konstant hohem Level ins Private. Die Deutschen rangieren da mit einem Verbrauch von 11,4 Litern reinem Alkohol pro Kopf in der entsprechenden Hitliste der Weltgesundheitsorganisation nach wie vor im Spitzenfeld, nach den noch trinkfreudigeren Belgiern, Engländern, Polen und Franzosen.

Thekenkommunikation in sozialen Netzwerken

Bar-Biier

Der Durst der Deutschen ist ungebrochen. Doch der Konsum verlagert sichzunehmend ins Private. Die klassische Thekenkommunikation findet heute in den sozialen Netzwerken statt. Gehaltvoller ist sie dadurch aber auch nicht geworden.

In unsicheren Zeiten mögen Zeit und Geld ein weiterer Grund für den mehr feuchten als fröhlichen Rückzug in die eigenen vier Wände sein. Auch die klassische Thekenkommunikation hat sich ja verschoben – in soziale Netzwerke. Laut Opaschowski stellt das Internet für die junge Generation die neue Kneipe des 21. Jahrhunderts dar. Ein (virtueller) Ort, wo sich Freunde finden lassen, wie auch immer man diese definiert. (Die Thekenfreunde von früher waren ja auch keine Freunde im eigentlichen Sinne dieses Wortes). Aber die Dummschwätzer und Dumpflaberer erzielen heute dank Facebook eine deutlich höhere Reichweite als jene, die sich anno-batsch  mit schwerer Zunge in kleiner geselliger Runde die Köpfe heiß geredet und nach diversen Bier mit Korn die Lösung für fast alle Probleme dieser Welt gefunden hatten. Getreu dem Motto: Trinken für den Frieden. Schmiedet Schwerter zu Zapfhähnen! Peter Alexander hatte dies ja in seinem Lied „Die kleine Kneipe“ 1976 so unvergleichlich und treffend beschrieben. Der Niedergang der Kneipenkultur ist insofern ein Indiz für gesellschaftliche und soziale Verarmung.

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