Rotorman's Blog

Ilvesheim – ein Paradies für Füchse: Warum
die Behörden eine Reineke-Familie hetzten

Medientitel

Der Aufreger der Woche: Die Medien im Rhein-Neckar-Kreis ließen nix anbrennen. Doch der Fall schlug auch überregional hohe Wellen.

Von Jürgen Heimann

Das Schicksal einer Fuchsfamilie im Württembergischen Ilvesheim hat in den vergangenen Tagen bundesweite Anteilname generiert – und Betroffenheit ausgelöst. Mitunter auch ungläubiges Entsetzen. Der Mensch, Krone der Schöpfung, hatte sich angeschickt, eben dieser wieder mal zu zeigen, wo der Hammer hängt. Verwaltung und Behörden im Oberrheingraben waren, von tiefster Sorge um die Volksgesundheit sowie die öffentliche Sicherheit und Ordnung getrieben, zu Hochform aufgelaufen und hatten ihre Waffen gegen einen übermächtigen, bösen Feind in Stellung gebracht. Der hatte sich in Gestalt einer Fähe mit fünf Welpen hinter die feindlichen Linien geschlichen und sich auf dem Gelände einer Kindertagesstätte häuslich eingerichtet. Was das kommunale Idyll empfindlich beeinträchtigte. Deshalb sollte die Eindringlinge eliminiert werden. Man müsste drüber lachen, wenn der Hintergrund nicht so ernst wäre.  

Gegen die Übermacht ihrer Gegner hätten die tierischen Fab-Six wohl auch keine (Überlebens-)Chance gehabt. Zumindest ein Familienmitglied, in einer aufgestellten Falle stundenlang festgesetzt und dann von einem Jäger von panischen Qulen”erlöst”, hat den dreisten Hausfriedensbruch mit dem Leben bezahlen müssen. Frau Mama und die verbliebenen Geschwister sollten ihm, so war es geplant, in die ewigen Jagdgründe folgen. Doch so weit ist es dann (angeblich) nicht gekommen. Der Klügere gibt bekanntlich nach. Die Tiere, den das Pflaster wohl zu heiß geworden war, hätten es vorgezogen, das Feld freiwillig zu räumen, lautet die offizielle Version. Laut Bürgermeister Andreas Metz sind die Tiere geflüchtet, wären also somit ungeschoren davon  gekommen.

Die Rotoren der Hubschrauber-Eltern drehten sich

Fuchsschild

Jungs, sucht das Weite! Hier könnt ihr keinen Blumentopf gewinnen.

Die ganze Aufregung hatte sich an eben dieser kecken Füchsin entzündet, die meinte, ihre Bälger ausgerechnet auf dem Gelände der am Ortsrand gelegenen “Kinderkiste” aufziehen zu müssen. Zu diesem Zweck hatte das Tier sich einen Bau unter den Containern gegraben. Das Sextett lebte dort zunächst in sorgloser Friedfertigkeit, bis die frevelhafte Landnahme entdeckt wurde. Hubschrauber-Väter und -Mütter warfen die Rotoren an und schlugen in Sorge um die Gesundheit und das Wohlergehen ihrer Kids Alarm. Sie rannten, teilweise von Hysterie und Panik angetrieben, in diversen Amtsstuben und administrativen F(l)achabteilungen offene Türen ein.

Die Verwaltung des 1251 Jahre alten Ortes erbat beim Rhein-Neckar-Kreis eine Lizenz zum Töten, die dann auch nach Rücksprache mit der Unteren Jagdbehörde und dem Regierungspräsidium erteilt wurde. Die in dem Hort betreuten Kinder seien großen Gefahren ausgesetzt, hieß es zur Begründung. Sie könnten sich mit Krankheiten und Seuchen anstecken. Davon abgesehen ist ja schließlich auch bekannt, dass Füchse äußerst aggressive Wesen sind. Da kann es schlimmstenfalls sogar zu Übergriffen kommen.

Kita-Besucher unter Hausarrest

Die (zweibeinigen) Kleinen wurden zunächst einmal unter Hausarrest gestellt und durften das Außengelände der verseuchten Betreuungsstätte nicht betreten – bis zur finalen Bereinigung der Gefahrenlage. Anfang der kommenden Woche soll hier aber wieder Normalität einkehren. Vielleicht lässt man ja bis zur Entwarnung sicherheitshalber auch Hubschrauber des Grenzschutzes, Drohnen und Aufklärungs-Jets über dem Kriegsgebiet kreisen. Für den Fall, dass die ungebetenen Eindringlinge es sich anders überlegen du zurückkommen. Ein paar Hundertschaften Bereitschaftspolizei könnten das Areal weiträumig abriegeln. Schließlich handelt es sich hier fast um ein nationales Notstandsgebiet.

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Virenschleudern: Als potentielle Bandwurmüberträger haben auch Babyfüchse ihr junges Leben verwirkt. Da hilft nur eine „letale“ Endlösung. Foto: Mirko Fuchs

Mit welcher Fachkompetenz die Behörden der Region der Krise begegnet waren, beweist die Aussage einer Kreissprecherin. Füchse seien nämlich Überträger unterschiedlicher, auch für den Menschen relevanter Erkrankungen. Dazu zählten neben Pseudokrätze vor allem auch die Tollwut und der Fuchsbandwurm. Dass die Tollwut seit 2008 als ausgerottet gilt, muss die gute Frau wohl verschlafen haben. Und dass der berüchtigte Bandwurm auch von Hunden, Mäusen und Ratten verbreitet bzw. übertragen wird, hat sie wohl verdrängt, ausgeblendet oder ganz einfach nicht gewusst. Der Fuchsbandwurm ist eine meldepflichtige Krankheit, mit der sich bundesweit im Durchschnitt etwa 20 Menschen pro Jahr infizieren. Die Chance, sich damit anzustecken, ist noch geringerer, als sechs Richtige im Lotto mit Zusatzzahl zu holen oder vom Blitz getroffen zu werden.

Jagd auf buschschwänzige Virenschleudern

Alternativen zur prophylaktischen Eliminierung der buschschwänzigen Virenschleudern in Ilvesheim sahen Kreis- und Gemeindeverwaltung nicht – oder ließen sie nicht gelten. Beispielsweise dergestalt, dass man die Tiere, statt sie zu töten, einfangen und einer entsprechend qualifizierten Auffangstation hätte anvertrauen können. Zusagen diverser Einrichtungen, so auch der in Kaiserslautern, lagen nämlich vor. Dabei kennt man sich im Ländle mit Umsiedlungen doch eigentlich bestens aus. Im Rahmen des ehrgeizigen Bahnprojektes “Stuttgart 21” müssen, wie sich herausgestellt hat, für den Trassenbau etwa 10.000 Eidechsen “ausgelagert” werden. Pro Tier kostet der Umzug 8.600 Euro. Für das Geld hätten die fünf verbliebenen Ilvesheimer Reinekes mit Singapore Airlines First Class zehnmal um die Welt jetten können.

Im Zweifel gegen die Angeklagten

Eine Aufnahme in einer Wildstation wäre, wie man mit Erstaunen lesen konnte, aber nicht in ihrem Interesse gewesen. Weil: “Eine Handaufzucht ist eines Wildtieres unwürdig!” Das steht so wörtlich auf der Internetseite der Gemeinde. Echt. Eine erlösende Kugel ist da natürlich deutlich artgerechter – und würdiger. Außerdem: Dreist, wie Füchse nun mal sind, wären die nach erfolgter Auswilderung garantiert zum ursprünglichen Tatort zurückgekehrt. Und die Belagerung hätte von vorne begonnen. Deshalb lieber gleich reinen Tisch machen. Im Zweifel gegen den Angeklagten.

Pseudowissenschaftliche Kauderwelsch-Argumente

In zusammenhangloses, pseudowissenschaftliches Kauderwelsch verpackt, liest sich das auf der kommunalen Web-Seite dann so: “Eine Umsiedlung der Jungtiere nach vorherigem Aufziehen von Menschenhand ist nicht erfolgversprechend, da Jungfüchse ähnlich wie Hundewelpen in ihren ersten Lebenswochen eine Prägungsphase durchlaufen, die ihr Verhalten im zukünftigen Leben maßgeblich beeinflusst. Sind Füchse von Anfang an das Leben im Siedlungsbereich gewöhnt, so werden sie aufgrund dieser Prägung und die durch die Elterntiere vermittelten Methoden der Nahrungsbeschaffung (die einfacher ist als in der freien Wildbahn) immer wieder jene Bereiche aufsuchen und bevorzugt dort auch ihren künftigen Nachwuchs versuchen aufzuziehen. Durch die Gewöhnung an den Menschen erzieht man zudem halbzahme Tiere, die in ihren eigentlichen Lebensräumen auch unter Umständen nicht mehr überlebensfähig sind”. Usw., usf.. Wieder was gelernt. In den regionalen Postillen werden die Pressesprecherin des Kreises, dessen “Wildtierbeauftragter” und die “Sachbearbeiterin” aus dem hiesigen Rathaus fast wortgleich zitiert. Da hat man sich inhaltlich sehr gut abgestimmt.

Von der Verhältnismäßigkeit der Mittel

Leben und Leben lassen

Leben und Leben lassen:
Kein Paradies für Füchse: Die Jagd auf die Reineke-Mama mit ihren Welpen brachte der im Oberrheingraben gelegenen 9.100-Einwohner-Gemeinde bundesweite Publicity ein – allerdings nicht nur positive.

Mal ganz davon abgesehen, dass in dem aktuellen Fall von einer Verhältnismäßigkeit der Mittel auch nicht nur ansatzweise die Rede sein konnte. Wenn man eine solche Einrichtung wie die sich ihrer pädagogischen Arbeit stets rühmende Ilvesheimer Betreuungsstätte an den Ortsrand pflanzt, an den sich weitläufige Felder und Wiesen anschließen, braucht man sich doch eigentlich nicht zu wundern, wenn die Natur, deren Nähe man ja offensichtlich gesucht hat, einem auch ein Stück weit entgegenkommt. Auf die Idee, das Gelände der Einrichtung “fuchssicher” zu gestalten, war man hier bislang aber noch nicht gekommen. Das wird wohl jetzt erst nachgeholt. Bevor die Kids wieder draußen herumtollen dürfen, sollte das Areal erst einmal umfassend “kontaminiert” werden. Man wollte sichergehen, dass wirklich alle und vielleicht gar nicht vorhandenen Spuren des fiesen und sich meist im Kot der Räuber versteckenden Fuchsbandwurms getilgt sind.

Der Bau wäre nach dem “Flüggewerden” der Kleinen von seinen Bewohnern sowieso geräumt und verlassen worden. Danach hätte man ihn und das Terrain, damit es kein nächstes Mal gibt, immer noch abschotten können. Und den Kindern bis dahin vielleicht die Möglichkeit einräumen können, Einblicke in das soziale Gefüge und das Wesen dieser faszinierenden Tiere zu nehmen – natürlich aus sicherer Entfernung. Vielleicht unter Einsatz einer Wildkamera. Das wäre kindgerechter, hautnaher Bio-Unterricht gewesen. Hier wurde eine Chance vertan. Im rheinischen Haan besorgt so etwas  aktuell der Halter einer handzahmen Füchsin. Beide sind in den Kindergärten und Schulen der Region gern gesehene Gäste.

„Letale“ Problemlösungen und falsche Signale

Stattdessen hatten die Verantwortlichen von Anfang an einzig und allein auf eine “letale” Lösung gesetzt und sich hinter plakativen Aussagen versteckt, denen zufolge Kinder schließlich wichtiger als Tiere seien und ergo einen höheren Schutz genießen müssten. Natürlich stimmt das! Aber dieses unstrittige Postulat war in dem aktuellen Zusammenhang gar nicht relevant und diente nur als Vorwand. Wenn es denn Befürchtungen gab, dass sich die Kleinen hier sonst etwas hätten einfangen können, wäre es doch ein Leichtes gewesen, den gefundenen Kot auf Echinokokkose-Spuren hin untersuchen zu lassen. Dann hätte man Gewissheit gehabt und immer noch entscheiden können. Aber das war zu mühselig und offenbar zu aufwändig. Doch von Anfang an und ausschließlich auf die Bleikarte zu setzen, zeugte nicht unbedingt von Kreativität. War auch das falsche Signal. Zumindest aus pädagogischer Sicht. So kann man Kindern wohl kaum Respekt und Achtung vor der Schöpfung vermitteln. Man zeigt stattdessen, welchen Stellenwert ein Leben, und sei es nur ein tierisches, wirklich hat. Nämlich gar keinen.

Onlinepetition fand fast 32.000 Unterstützer

Petition

Eine Online-Petition gegen die geplante Tötung der Fuchsfamilie in Ilvesheim fand binnen weniger Tage fast 32.000 Unterstützer aus dem gesamten Bundesgebiet.

Wobei den Erzieherinnen des Hortes kein Vorwurf zu machen ist. Sie haben den “Vorfall” lediglich nach “oben” weiter kommuniziert. Was auch ihre Pflicht war. Und dann entwickelte die Angelegenheit, beflügelt von Kopflosigkeit und blindem Aktionismus, eine enormer Eigendynamik. Was vor allem der Gemeinde bundesweite Publicity einbrachte. Allerdings keine gute.

Ein gutes Ende oder doch eins mit Schrecken?

Natürlich gingen und gehen die Meinungen vor Ort über die richtige Strategie auseinander. Viele Einwohner, darunter auch betroffene Eltern, deren Kinder die Einrichtung besuchen, bezeichneten das Vorgehen der Behörden als skandalös und nicht nachvollziehbar. Und im Internet wurde eine Online-Petition gegen das Töten der Fuchsfamilie gestartet. Sie fand binnen kürzester Zeit fast 32.000 Unterstützer.

Aber das Problem soll sich ja inzwischen von alleine gelöst haben. Hat es das wirklich? Oder ist diese  „Ende gut, alles gut“-Nachricht leidglich eine Beruhigungspille, die die erhitzen Gemüter „militanter Tierschützer“ kühlen soll? Was wäre, wenn die Fox-Family klammheimlich „entsorgt“ worden ist? Die Öffentlichkeit würde es nie erfahren. Und kann sich somit über andere Dinge echauffieren.

Strafanzeigen gegen „geistesgestörte Tierrechtsterroristen“

Die Angelegenheit wird trotzdem noch ein Nachspiel haben, oder auch mehrere. Auf einer anderen Ebene. Die Gemeindeverwaltung hat angekündigt, gegen mehrere Personen Strafanzeige erstatten zu wollen. Weil diese sich in E-Mails und auf Facebook zu Hasskommentaren und schweren Beleidigungen hätten hinreißen lassen, gegenüber Behörden- und Kinderkrippenmitarbeitern beispielsweise. Sogar von “Morddrohungen” ist die Rede. Als eine solche wird beispielsweise ein auf Facebook platzierter Eintrag “Tierquäler, ich hol’ euch” interpretiert. Illustriert war der Post mit einem düster dreinblickenden Sensenmann.

Vor allem in den sozialen Medien waren die Emotionen hochgekocht. In der Wahl ihrer Worte zeigten sich die Diskutanten da nicht immer zimperlich. So ging es vor allem auf der Facebook-Seite der Kinderkiste Ilvesheim heiß her. Ich meine da aber auch etwas von “geistesgestörten Tierrechtsterroristen” gelesen zu haben….

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