Rotorman's Blog

Qualitäts-Journalisten im Jagdfieber
Großes Reinemachen in Wald und Feld

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Der Waschbär wird zum „Volksfeind Nr. 1“ hochgeschrieben. Ohne diese maskierten Killer gingen den Medien die Schlagzeilen aus. Deshalb lieben sie sie – und hassen sie dennoch.

Von Jürgen Heimann

Nicht vermeintlich Überhand nehmende Tiere wie Wildschweine, Füchse oder Waschbären werden zur Plage, sondern die unkritische Jagdpropaganda der Medien. Das hat Lovis Kauertz, der Präsident der gemeinnützigen Organisation “Wildtierschutz Deutschland”, sinngemäß so gesagt und beklagt. Und der Mann hat Recht! Was in diesen Wochen im gedruckten und elektronischen Blätterwald Deutschlands (und Europas) an Hetze gegen angeblich wilde, schädliche, räuberische und die abendländische Zivilisation bedrohende Mord-Kreaturen abläuft, ist unbeschreiblich. Zeitungen, Internetportale, Radio- und Fernsehsender vereinigen sich zu einem großen Chor. “Kill the beast” ist der Sommerhit 2016. Und die jüngst von der EU-Kommission veröffentlichte “schwarze Liste” über gebietsfremde, invasive Arten hat den dissonanten Gassenhauer in den einschlägigen Charts weiter ganz nach oben getragen. 

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Da werden selbst als honorig und objektiv “verrufene” Journalisten zum sprichwörtlichen Tier und kloppen und schäumen ihre durchsichtigen Hass-Botschaften, deren dünne Substanz noch nicht einmal auf dem eigenen intellektuellen Mist gewachsen ist, in Tastatur und Mikro. Das Phänomen ist zwar nicht neu, gewinnt aber durch die EU-Verordnung immens an Drive. Offenbar war es nie leichter und quotenträchtiger als heute, mit Forderungen nach einer exzessiven Verfolgung bestimmter Spezies hausieren zu gehen und zu punkten. Schließlich liegt das ja im Allgemeininteresse, oder etwa nicht?

Die Schlagzeilen werden immer krasser

Dabei waren plakative Headlines (“Waschbären-Bestie bedrängt Seniorin in ihrer eigenen Wohnung”) schon in den Wochen und Monaten zuvor immer krasser geworden. Es kann eigentlich nicht mehr lange dauern, bis uns Deutschlands größtes Revolverblatt, das mit den vier Buchstaben im Titel, mit der Nachricht erschreckt, ein Waschbär hätte ein Kleinkind missbraucht.

Dass die Jäger für deren Abschuss – also den der Bären, nicht der Kinder – jetzt Geld verlangen, ist nur eine Begleiterscheinung der hysterisch geführten Diskussion. Die Auswirkungen könnten, heruntergebrochen auf die Fauna, denen ähneln, wie wir sie mit Schrecken auf den Philippinen beobachten. Dort hat Präsident Rodrigo Duterte seine Landsleute aufgerufen, Drogensüchtige und –Dealer eigenhändig umzubringen. Hunderte Menschen, ob nun schuldig oder nicht, sind inzwischen dem von oben sanktionierten Lynch-Mob zum Opfer gefallen. Das könnte auf anderer Ebene auch bei uns passieren, nämlich dann, wenn sich der brave deutsche Michel aufgerufen fühlt, gewissen, als schädliches “Kroppzeugs” verschrienen Arten eigenhändig den Garaus machen zu müssen. Genügend Beispiele dafür gibt es leider inzwischen. Wer einen Waschbären oder eine Nutria erschlägt, darf sich als Held fühlen. Der Respekt der Allgemeinheit für sein mutiges Handeln ist ihm gewiss.

Fallensteller-Kurs als “Fortbildungsmaßnahme”

Und inzwischen ist es ja schon so weit. Da dürfen die Jägervereinigung Lauterbach und die Untere Jagdbehörde ungescholten an den Killerinstinkt einschlägig disponierter Mitbürger appellieren und diese zur Teilnahme an einem Fallensteller-Lehrgang aufrufen. Sinn und Zweck dieser “Fortbildungsmaßnahme”: Otto Normalverbraucher in die Lage zu versetzen, selbst etwas gegen die vermeintliche Waschbärenplage zu unternehmen. “Engagierte” Bewohner der Region sollen die verfolgten Tiere festsetzen und dann einen Jagdausübungsberechtigten alarmieren, der die Kreatur durch den “finalen Rettungsschuss” von ihrem Erdendasein und Leiden erlöst.  Ja, und dann sind da noch die Waid-Kollegen im Südhessischen, die sich formieren, eine Kolonie geschützter Weißstörche sturmreif zu schießen. Mehr zum Thema hier:

Getrübtes Urteilsvermögen

taz

Die Berliner „taz“ lässt hochdekorierte „Edelfedern“ auf die Waschbären los. Vermutlich ist die Kollegin aber selbst noch nie einem solchen Tier in freier Wildbahn begegnet. Aber sie weiß um die Gefahren, die von den maskierten Klein-Petzen ausgehen und empfiehlt: Macht ‘nen Pelz draus! Alternativ käme der Kochtopf in Frage. Einen weiteren Theodor-Wolff-Preis gibt es für dieses Geseiche aber sicherlich nicht. (Screenshot)

Das sind aber letztlich auch die Auswirkungen eines unverantwortlichen journalistischen Gehabes, das nicht auf einer gewissen Berufsethik, auf Objektivität und Neutralität fußt, sondern dessen Vertreter sich zum Büttel ganz bestimmter Interessengruppen machen. Franz von Holtzendorff (1829 – 1889)  hat einmal in einem ganz anderen Kontext folgendes gesagt: “Der denkbar höchste Grad der Lüge ist dann erreicht, wenn das Urteilsvermögen zwischen Wahrheit und Falschheit aufhört und der Lügende seiner eigenen Lüge glaubt und sich darüber entrüstet, dass andere in seine Worte Zweifel setzen.” Gut gebrüllt, Löwe!

Natürlich ist es mühsam und zeitaufwendig, komplexe und anscheinend aus berufenem Munde stammende Behauptungen auf ihre Stichhaltigkeit und ihren Wahrheitsgehalt hin zu überprüfen. Es gibt schließlich bequemere Wege, auftragsgemäß die Seite oder die Sendezeit zu (er-)füllen. Nachplappern gehört dazu. Viele Redakteure und Reporter machen es sich da verdammt einfach. Vielleicht möchte man auch ganz einfach mal etwas zum Thema beitragen – und sei es noch so überflüssig. Motto: Hauptsache, wir haben, blabla, auch mal unseren Senf dazu gegeben. Möglich, dass die Schreibtischtäter in den Redaktionsstuben wider besseres Wissen handeln, oder es eben nicht besser wissen (wollen).

Wessen Brot ich ess, dessen Lied ich sing‘

Durchaus denkbar aber auch, und das ist/wäre schlimmer, dass sich diese Multiplikatoren einer gewissen und nicht unbedeutenden gesellschaftlichen Klientel eher verpflichtet fühlen als solch (kleinen) Leuten, die wenigstens noch zur Empathie mit ihren Mitgeschöpfen fähig sind, statt in ihnen nur Komparsen für ein blutig-tödliches Freizeitvergnügen zu sehen. Die Akzeptanz der Jäger in der Bevölkerung sinkt zwar rapide, aber Vertreter dieser Zunft sitzen immer noch in maßgeblichen Positionen von Wirtschaft, Politik und Verwaltung. Viele von ihnen sind Arbeitgeber und/oder Verleger. Da ist einem das grüne Lodenwams doch glatt näher als die Hose. Wessen Brot ich ess’, dessen Lied ich sing‘. So läuft das (vielfach).

Nur einige Beispiele des alltäglichen Irr- und Schwachsinns: “taz”-Redakteurin Waltraud Schwab hat als passionierte Stadtpomeranze vermutlich noch nie einen Waschbären in freier Wildbahn gesehen, obwohl es davon ja auch in Berlin viele gibt. Die stets gut informierte Lady freut sich aber tierisch darüber, dass es diesen Viechern an den Kragen gehen soll. “Endlich”, schreibt sie. Und dann folgt als argumentative Bekräftigung die sattsam bekannte Leier, der zufolge die maskierten Kleinbären für das Aussterben zahlreicher anderer Tierarten verantwortlich seien, Vogelnester ausräumen und Obstbäume kahl fressen würden. Deshalb müsste man sie (nicht nur sprichwörtlich, sondern im wahrsten Sinne des Wortes) in die Pfanne hauen. Diese Tiere, prophezeit die Schreiberin hier, könnten für Gourmetköche interessant werden, ihre Pelze, die es ja kostenlos gibt, der Textil- und Modebranche neuen Schub verpassen. Dann müssten diese Biester nämlich nicht umsonst sterben. Ich weiß jetzt nicht, welche Substanzen zweifelhafter Herkunft sich die Dame normalerweise reinpfeift, aber den Theodor-Wolff-Preis, den einmal errungen zu haben sie und ihr Haus sich rühmen, gibt’s für dieses Geseiche diesmal garantiert nicht!

Nachhilfeunterricht vom Kanadier

Kölner Stadtanzeiger

Ein kanadischer Austausch-Journalist bietet seinen Gastgebern im Kölner Stadtanzeiger an, ihnen Waschbären aus seiner Heimat zu schicken. Der Handel gilt, aber nur dann, wenn sich der Mann im Gegenzug unverzüglich zurück nach Toronto begibt. Schreiberlinge wie ihn gibt es leider bei uns mehr als genug. (Screenshot)

Und da darf sich ein austauschbarer, für einige Monate in Deutschland weilender Austauschjournalist aus Kanada im Kölner Stadtanzeiger über die (natürlich falsch verstandene) Waschbären-Sympathie hiesiger Tierfreunde, die es auch bedauern, dass diese Tiere künftig nicht mehr im Zoo zu sehen sein werden, lustig machen: “Wenn Ihr Kölner die Waschbären vermisst — ich schicke Euch gern ein paar Tiere aus Kanada”. Zitat Ende. Der Handel gilt. Aber nur unter der Voraussetzung, dass der Autor, ein gewisser Dylan Robertson, im Gegenzug ganz schnell wieder in den Häuserschluchten Ottawas, wo die kleinen Bären ja angeblich besonders krass wüten und Leib und Leben der Bewohner bedrohen, abtaucht. Das wäre doch ein fairer Tausch. Qualitätsjournalisten seines Schlages haben wir hier bei uns nämlich (leider) selbst genug.

WDR

Brigitte Simnacher-Sinnfrei ließ uns im WDR-Radio an ihrem umfangreichen Hintergrundwissen über Waschbären teilhaben. Was raucht die Frau für ein Zeug? (Screenshot)

Brigitte Simnacher lässt uns auf WDR 5 ebenfalls an ihrem fundierten Hintergrundwissen teilhaben. Sie sorgt sich zutiefst um das biologische Gleichgewicht in Europa und spricht von biologischen Zeitbomben. Jedes Exemplar dieser Tiere bei uns sei eines zu viel. Da frage ich mich, wer hier eigentlich zu viel und damit entbehrlich ist? Vielleicht sollte die “Kommentatorin” ihren Nachnamen in “Sinnfrei”, “Sinnlos”, oder, falls sie es eher mit den Blaublütigen hat, in “von Sinnen” ändern. Die Unions-Liste der EU-Kommission als “sinnvolle Maßnahme” zu verkaufen, grenzt schon an Wahrnehmungsverzerrung im Endstadium. Brüssel hat ja auch den südamerikanischen Nasenbär als gemeingefährlich eingestuft und auf die Abschussliste gesetzt. Abgesehen von ihrer Heimat gibt es diese Tiere in freilebender Version nirgends sonst im europäischen Abendland. Ausnahme: “Malle”. Auf der spanischen Urlaubsinsel haben sich einige Exemplare verselbstständigt.

Auch der Fuchs ist wieder im Visier

Und die Zeit scheint günstig, auch den Kampf gegen einen anderen biologischen Erzfeind wieder aufzunehmen: den Fuchs. Auch in diesem Zusammenhang fällt wieder der Begriff “Plage”. Zu einer solchen sei Meister Reineke in und um Dormagen geworden, berichtet die Neuss-Grevenbroicher Zeitung, eine Schwesterblatt der Rheinischen Post in ihrer Onlineausgabe. Am Niederrhein seien wieder viel zu viele dieser roten Räuber unterwegs. Die Schonzeit für Füchse ist dort seit dem 16. Juli vorbei. Jetzt wird wieder scharf (auf sie) geschossen. Dabei folgen die Jäger (natürlich) nicht ihrem eigenen Triebe, sondern leisten, hilfsbereit, wie sie nun einmal sind, lediglich der Aufforderung besorgter Bürger und/oder Landwirte, deren Geflügelbestände durch die bösen Räuber dezimiert würden, Folge. (Selbst dran schuld, wenn sie ihre Gehege nicht besser sichern).

Außerdem würden, kramt die Rheinische Post das alte, verstaubte Mantra wieder aus der Schublade hervor, die bösen Feinde ja auch Niederwild wie Fasane (die zwecks späteren Abschusses von den Jägern ja oft selbst ausgesetzt werden), Feldhasen und Rebhühner drastisch dezimieren. Vor allem dann, wenn sie, wie hier, angeblich Überhand nehmen. Und dann dürfen sich Waidleute in der Zeitung darüber auslassen, wie heldenmütig, mutig und mit welch taktischen Geschick sie der Gefahr trotzen, ihre Opfer aufspüren und erlegen. Dass Füchse sich überwiegend, zu fast 90 Prozent, von Mäusen ernähren und in der Natur eine wichtige Rolle als Gesundheitspolizisten spielen, muss man ja nicht erwähnen. Das passt irgendwie nicht in die Argumentationslinie.

Fragen Sie Frau Dr. Kern

NGZ

Die NGZ (Neuss-Grevenbroicher Zeitung), ein Ableger der Rheinischen Post, warnt im Schulterschluss mit der hiesigen Jägerschaft vor den immensen Gefahren einer angeblich erstarkten Fuchspopulation. Feuer frei! (Screenshot)

Für Tierärztin Dr. Annette Kern vom Kreisveterinäramt wäre eine verstärkte Jagd auf Füchse keine schlechte Sache. im Gegenteil. Auch wenn der Rhein-Kreis Neuss kein Risikogebiet für den Fuchsbandwurm sei, dass Deutschland insgesamt tollwutfrei sei, hätte, so wird die Veterinärmedizinerin zitiert, mit intensiven Bekämpfungsmaßnahmen und eben der Jagd zu tun. Aber hier irrt die “Expertin”. Die Tollwut wurde nämlich nicht durch intensive Bejagung ausgemerzt, sondern erst durch das flächendeckende Ausbringen von Impfködern. Und den berüchtigten Fuchsbandwurm, vor dem allerorts gewarnt wird, hat der Reinecke ja nicht selbst erfunden, sondern er wird in erster Linie durch Mäuse verbreitet. Und die wiederum geben sie an die Haustiere weiter.

Und überall dort, wo der Jagddruck steigt, erhöhen sich auch die Populationen. Füchse wie auch Wildschweine (und andere Wildtiere) gleichen erhöhte Abschusszahlen durch eine gesteigerte Geburtenrate aus. Das ist ein Automatismus der Natur und wissenschaftlich erwiesen.

Von ausgeleierten Hoheliedern und der „vierten Gewalt“

Aber wen von denen, die das ausgeleierte Hohelied der waid- und naturgerechten Hege und Pflege singen und lauthals über bedrohte Artenvielfalt lamentieren, juckt das schon? Leider geht es in dieser Debatte nicht um Tatsachen, sondern um Meinungsmache. Und der am lautesten Zeter und Mordio schreit, findet bei den Medien das meiste Gehör – auch wenn ihre Glaubwürdigkeit dadurch erheblichen Schaden nimmt. Es fällt zunehmend schwerer, Presse und Rundfunk als vermeintlich vierte (publikative) virtuelle Gewalt in unserem Staate anzusehen, ernst- und wahrzunehmen. Seinen zentralen Aufgaben, die Bevölkerung, aber auch die Regierenden aufzuklären und letzteren gegebenenfalls auf die Finger zu klopfen, kommt der Journalismus der Neuzeit längst nicht mehr nach.  Er hat sich mit der „fünften Gewalt“ zusammen getan – dem Lobbyismus.

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